Silicon Valley: Aufstand gegen den neuen IT-Geldadel

Protesters block a bus full of Apple employees during a protest against rising costs of living in San Francisco
Protesters block a bus full of Apple employees during a protest against rising costs of living in San FranciscoREUTERS
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In San Francisco regt sich immer mehr Unmut über die Spitzenverdiener aus dem Silicon Valley: Sie würden die Mieten treiben und die Kultur der Stadt zerstören. Die jüngsten Proteste dürften erst der Anfang gewesen sein.

Die öffentlichen Verkehrsmittel in San Francisco sind so eine Sache: Die Busse sind veraltet und heillos überfüllt, die Anbindung entlegenerer Gegenden ist dürftig – und eigentlich muss man Glück haben, wenn sie überhaupt daherkommen. Aber damit müssen sich ohnehin nur „Normalos“ herumschlagen. Eine Gruppe erspart sich den nervtötenden Spaß: die Mitarbeiter von Apple, Facebook, Google und Co. werden täglich von eigenen Bussen in die Arbeit kutschiert. Vom sympathischen, lebenswerten San Francisco in die öden Vororte in der Bay Area, wo viele zwar arbeiten, aber längst nicht mehr leben wollen.

Diese Shuttles sind klimatisiert, haben WLAN und verspiegelte Fenster. Die Menschen darin sind in ihren Zwanzigern, tragen Sonnenbrillen und verdienen ein Vielfaches dessen, was ein normaler Arbeiter oder Angestellter in San Francisco nach Hause bringt. Wo der Google Bus hält, steigen nachweislich die Mieten – und Stadtviertel, in denen bis vor Kurzem noch Familien, Arbeiter und Studenten lebten, werden für diese plötzlich unleistbar. Deshalb ist der Google Bus längst zum Symbol für die rasant voranschreitende Gentrifizierung in der einstigen Hippie-Enklave San Francisco geworden.

In vielen Teilen der Stadt sind die Mieten schon jetzt für viele unerschwinglich. 3000 Dollar Monatsmiete und mehr für eine Zwei-Zimmer-Wohnung werden zunehmend der Normalfall. Das liegt einerseits daran, dass der Wohnraum in San Francisco begrenzt ist. Immer mehr Menschen ziehen in die Stadt an der Bucht. Es werden zwar neue Wohnungen errichtet – aber nicht genug, um mit der steigenden Nachfrage Schritt zu halten. Oft sind es auch Luxusimmobilien, die sich kaum jemand leisten kann. Dazu kommen völlig veraltete Mietgesetze. Für Wohnungen, die vor Juni 1979 gebaut wurden, dürfen die Mieten kaum erhöht werden, so lange jemand darin wohnt. Das ist zwar gut für die aktuellen Mieter, aber schlecht für jene, die gerade auf Wohnungssuche sind. Denn sobald eine solche Wohnung auf den Markt kommt, wird die Miete oft auf einen Schlag um hunderte Dollar erhöht.


Delogierungen nehmen zu. Die Eigentümer haben kaum Anreize, zu renovieren – denn oft dürfen sie nicht einmal die Inflation weitergeben. Viele Vermieter ziehen es vor, ihre Wohnungen nicht mehr zu vermieten, anstatt sich mit den strengen Gesetzen herumzuschlagen, was das Angebot zusätzlich verknappt. Delogierungen sind erlaubt, wenn der Eigentümer seine Immobilie verkaufen will. Und weil der Markt derzeit eine Blüte erlebt, machen viele von dem Recht Gebrauch – die Zahl der Rauswürfe ist zuletzt deutlich gestiegen. Immobilienmakler schwärmen, durchschnittliche Mieter verzweifeln. Viele Mittelschichtsfamilien können sich das Leben in San Francisco schlicht nicht mehr leisten.

Und inmitten all dessen der Google Bus, dessen Insassen jeden Preis zahlen können – und das auch tun. Auf dem Wohnungsmarkt kommt es zu regelrechten Lotterien: Die Spitzenverdiener aus der IT-Branche legen häufig einfach ein paar Hunderter auf den veranschlagten Mietpreis drauf und bekommen dafür den Zuschlag. Unter der Oberfläche brodelt es schon lange.

Seit Kurzem aber nicht mehr nur dort. Mehrmals demonstrierten in den vergangenen Wochen Menschen gegen die steigenden Mieten und die Delogierungen. Sie hielten mehrere der ungeliebten Busse auf, die gerade auf dem Weg ins Silicon Valley waren. Unangenehm für Google: Mitten in dem öffentlichen Tumult sickerte ein E-Mail durch, in dem der Konzern seine Mitarbeiter aufforderte, in einer Sitzung mit Stadtpolitikern Sätze zu sagen wie: „Ich bin so stolz, in San Francisco zu leben und Teil dieser Gemeinschaft zu sein.“ Das gab den Kritikern Stoff. Anstoß für die Proteste war auch, dass die Google-Busse die öffentlichen Bushaltestellen nutzen. Kritiker fordern, dass sich die Firmen finanziell an Wohnungsinitiativen beteiligen. Die Unternehmen verteidigen sich: Die Pendlerbusse würden den Verkehr und die Umwelt entlasten.

Politiker betonen den Mehrwert, den der Techboom der Stadt bringt: Die Firmen schafften Arbeitsplätze, der Wohlstand steige und das Hoch im Silicon Valley helfe der Gegend aus der Wirtschaftsflaute. Und es stimmt: Vom größten Techboom seit den Nullerjahren profitieren viele – allein der Twitter-Börsegang habe 1600 Millionäre geschaffen, schreibt die „New York Times“. Aber eben nicht alle.

Dem neuen Geldadel aus dem Silicon Valley wird noch mehr vorgeworfen als nur, die Mieten zu treiben und die städtische Infrastruktur auszunutzen. Sie würden die typische Kultur San Franciscos zerstören, ätzen Kritiker: Die Stadt, in der In- und Ausländer, Hippies, Schwule, Künstler, Arbeiter und Mittelstandsfamilien so lange glücklich zusammengelebt hätten. Jetzt dominierten zunehmend teure Biosupermärkte, Kräutergärten auf den Dächern und viel zu coole Cafés.

Die Kritik kommt nicht nur von jenen, die selbst nicht dazugehören, sondern auch aus den eigenen Reihen. Die Stimmung in der Stadt sei schlimmer als zu Zeiten des Dotcom-Booms, schrieb Chris Tacy, selbst umtriebiger Angehöriger der ansässigen Start-up-Szene, im Sommer auf seinem Blog. „Es geht nur noch ums Geld“, so Tacy. „Jeder ist reich und privilegiert oder hektisch bestrebt, reich und privilegiert zu werden“, schreibt er. Konkret kritisiert er, dass die Tech-Hipster die „Mission“ ruinierten – einen Bezirk im Zentrum von San Francisco, der bis vor Kurzem noch von ethnischer und sozialer Vielfalt geprägt war –, die jetzt zunehmend von reichen Schnöseln bevölkert werde, schreibt Tacy selbstanklagend. Schließlich sei er selbst daran beteiligt gewesen, dass San Francisco in einen „Spielplatz für die Reichen und Gebildeten“ verwandelt wurde. Diesen Wandel will er jetzt stoppen.

Auch einige einflussreiche Unternehmer haben das Problem erkannt. Zum Beispiel Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der voriges Jahr eine Milliarde Dollar an die Silicon Valley Community Foundation spendete, die Projekte für Bedürftige in der Region unterstützt. Die Firma Salesforce gab Millionen an öffentliche Schulen und Twitter finanziert Anwälte, die gegen drohende Delogierungen vorgehen. Der Kurznachrichtendienst hat erst 2011 seinen Hauptsitz vom Silicon Valley nach San Francisco verlegt.

Inzwischen hat man sich zwar darauf geeinigt, dass die Unternehmen einen Dollar pro haltendem Bus bezahlen. Eine Lösung für den schwelenden Konflikt ist das nicht. Im Gegenteil: Man hat den Eindruck, dass die Demonstrationen erst der Anfang waren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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