Telekom-Branche: „Polizei missbraucht Überwachung“

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Laut Telekom-Wirtschaft versucht Polizei, mit neuen Befugnissen die Justiz auszuhebeln. T-Mobile legt Beschwerde gegen Sicherheitspolizeigesetz bei Verfassungsgericht ein.

Wien.Rücken die neuen Überwachungsbefugnisse der Exekutive die Republik in die Nähe eines Polizeistaates? Die gesamte Telekom-Branche glaubt: Ja. Und die Wirtschaftskammer spricht von „Missbrauch“, ortet bewusste Umgehung der Justiz. Andere schreiten zur Tat: T-Mobile legte – mit 3,2 Millionen Handy-Kunden im Rücken – am vergangenen Freitag beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde gegen das kürzlich novellierte Sicherheitspolizeigesetz (SPG) ein.

Seit 1.1.2008 nämlich darf die Polizei bei „Gefahr in Verzug“, und „wenn bestimmte Tatsachen die Annahme einer konkreten Gefahrensituation rechtfertigen“, von Internet- oder Mobilfunkbetreibern Namen, Adressen, Verbindungsdaten oder Standorte erfragen. Ohne richterlichen Beschluss, unverzüglich und auf Kosten des jeweiligen Betreibers.

Hans-Jürgen Pollirer, Obmann des Sparte Information und Consulting in der Wirtschaftskammer, kann darüber nur lachen. Er nämlich kennt nach eigenen Angaben „zahlreiche Fälle“ von Überwachungsanfragen, die Zeitpunkte betreffen, die sechs oder gar zwölf Monate in der Vergangenheit liegen. „Ich wundere mich schon, was derartige Anfragen mit Gefahr in Verzug zu tun haben.“

Zum Gesetzesbruch gezwungen?

Eigentlich soll das SPG der Exekutive Mittel in die Hand geben, die geeignet sind, Straftaten im Vorhinein zu verhindern. Mittel, die der Aufklärung bereits begangener Straftaten dienen, vielleicht sechs oder zwölf Monate in der Vergangenheit liegen, sind in der Strafprozessordnung geregelt. Die schreibt jedoch vor: Wollen Staatsanwaltschaft und Polizei jemanden über Internet oder Mobiltelefon ausspähen, orten oder überwachen, braucht es die Genehmigung eines Richters. Im SPG jedoch entscheidet die Polizei allein. Pollirer: „Man könnte also sagen, dass die Polizei das Gesetz dazu missbraucht, Überwachung an der Strafprozessordnung vorbei durchzuführen.“ Wie weit Polizeianfragen gemäß SPG höchstens in die Vergangenheit reichen dürften? Pollirer: „48Stunden.“

Noch schärfer kritisiert wird das neue Sicherheitspolizeigesetz vom Mobilfunkbetreiber T-Mobile. Vergangenen Freitag brachte das Unternehmen eine 38 Seiten lange Beschwerde (das Schreiben liegt der „Presse“ vor) beim Verfassungsgerichtshof gegen Paragraf 53 Abs.3a und Abs.3b ein.

Was den Mobilnetz-Betreiber an den neuen Befugnissen der Exekutive stört? „Dass einzig und allein die Polizei selbst entscheidet, ob Gefahr in Verzug besteht, oder nicht“, sagt Klaus Steinmaurer, Leiter der Rechtsabteilung. Gleichzeitig werde der Telekom-Dienstleister von der Polizei gezwungen, gegen Telekommunikationsgesetz (TKG) und Menschenrechtskonvention zu verstoßen, so die Argumentation. Aufgesprungen auf den T-Mobile-Zug sind inzwischen die Grünen, die am Donnerstag beim VfGH ebenfalls Beschwerde gegen das SPG einbrachten.

Rechtsschutz zahnlos

Auskunftsbegehren nach dem SPG sind von der Polizei derzeit mittels eines standardisierten Formulars zu stellen. Eingebracht werden können sie ausschließlich von den neun Landeskriminalämtern, dem Bundeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sowie dem Büro für interne Angelegenheiten.

Die von der Politik versprochene Kontrolle von Spähangriffen im Nachhinein ist de iure zwar vorhanden, de facto jedoch zahnlos. Der entsprechende Rechtsschutzbeauftragte hat nämlich keine Befugnisse, bei einem Missbrauch Konsequenzen gegen die ermittelnden Beamten zu verhängen, und verfügt lediglich über ein Recht auf Akteneinsicht.

Innenminister Günther Platter scheint die Kritik wenig zu beeindrucken. Er forderte am Donnerstag einmal mehr die möglichst rasche Umsetzung der umstrittenen Online-Durchsuchung von Privat-PCs („Bundes-Trojaner“).

Die Presse/GK

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2008)

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