EuGH: Schutzheilige der europäischen Privatsphäre

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Gegen Google und Vorratsdatenspeicherung, für das Recht auf Vergessen: Die Luxemburger Richter beschäftigen sich längst nicht mehr mit binnenwirtschaftlicher Detailarbeit, sondern fällen gesellschaftspolitische Grundsatzurteile.

Brüssel/Luxemburg. Wer in den vergangenen Jahren mit dem Europäischen Gerichtshof zu tun hatte, befasste sich meistens mit der trockenen Materie des europäischen Binnenmarkts – denn der EuGH war vor allem damit beschäftigt, dessen Spielregeln zu interpretieren und ihre eventuelle Nichteinhaltung zu ahnden. Von dieser Beschränkung auf zumeist wirtschaftliche Detailarbeit hat sich das in Luxemburg ansässige Gericht aber längst emanzipiert. Und besonders deutlich wird dieser Wandel in einem Bereich, der mit der zunehmenden Vernetzung des Alltags immer wichtiger wird: dem Schutz der Privatsphäre – und zwar einerseits gegen expansionistische Internetkonzerne, andererseits aber gegen den Datenhunger der europäischen Staatsapparate.

Am gestrigen Donnerstag trafen Vertreter des US-Konzerns Google in Brüssel mit europäischen Datenschützern zusammen, um über die Konsequenzen eines EuGH-Urteils zu beraten. Vor zwei Monaten hatte das Gericht befunden, dass die Suchmaschine ihre Ergebnisse modifizieren muss, wenn diese das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz einer Person verletzen. Anlassfall war die Klage eines Spaniers, dessen Grundstück Ende der 1990er-Jahre zwangsversteigert wurde – eine längst verjährte Episode, die in Internet-Suchergebnissen aber nach wie vor prominent platziert war.

Global oder national?

Nach Ansicht der EuGH-Richter werden Suchmaschinen mittlerweile wie selbstverständlich zur Erstellung von Personenprofilen benutzt, was einen Ausgleich zwischen den Interessen der User und der betroffenen Person notwendig mache. Ende Mai fing Google damit an, das Urteil umzusetzen und beanstandete Links zu löschen – allerdings nur auf den nationalen Seiten der Suchmaschine. Ein von der spanischen Website gelöschtes Suchergebnis lässt sich also weiterhin auf der deutschen oder französischen Google-Seite mühelos finden. Nach Informationen der „Financial Times“ wollen die europäischen Datenschutzverbände nun erreichen, dass beanstandete Inhalte global gelöscht werden, weil das EuGH-Urteil ansonst umgangen werde. Der US-Konzern, der in Brüssel mit wettbewerbsrechtlichen Problemen zu kämpfen hat (siehe rechts), hält diese Forderung für zu weitgehend und will sie nicht umsetzen – was in Konsequenz weitere Klagen nach sich ziehen könnte.

„Schwerwiegender Eingriff“

Eine zweite Front im Kampf um die Privatsphäre eröffneten die Luxemburger Richter mit einem weiteren bahnbrechenden Urteil: Im April kippte der EuGH nämlich die gesamte EU-Richtlinie zur Speicherung personenbezogener Daten auf Vorrat. Das Gesetz aus dem Jahr 2006 sah vor, dass Telekombetreiber Daten ihrer Kunden für mindestens sechs und maximal 24 Monate aufbewahren müssen, um sie bei Bedarf den nationalen Ermittlern zu übergeben – was nach Ansicht der Richter einen „besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens“ darstellt und mit der europäischen Charta der Grundrechte nicht in Einklang zu bringen ist.

Aus der Sicht des EuGH stellt nicht die Auswertung der Daten ein Problem dar, sondern das prophylaktische Speichern von Informationen über unbescholtene Personen. Soll heißen: Datenspeicherung und -auswertung ist nur dann legitim, wenn es einen konkreten Verdachtsfall gegen den Betroffenen gibt. Flächendeckendes Speichern hingegen ist tabu.

Der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht weist darauf hin, dass dieses Urteil Konsequenzen haben wird, die weit über die Prozedere der europäischen Gesetzeshüter hinausgehen. Denn gemäß einer von den europäischen Grünen in Auftrag gegebenen Studie, die Albrecht am Mittwoch präsentierte, entfällt mit dem Richterspruch die gesetzliche Grundlage für die Lieferung von Kontoinformationen und Flugpassagierdaten an die USA. Im Lichte des Urteils seien Neuverhandlungen über die zwei Abkommen unumgänglich, „auch wenn es schmerzhaft ist“, sagt die Ko-Autorin der Studie, die deutsche Juristin Franziska Böhm – eine Ansicht, die von der EU-Kommission nicht geteilt wird. Ebenfalls infrage gestellt ist demnach die geplante Speicherung biometrischer Daten von Reisenden an den Außengrenzen der EU.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

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