Das Geschäft mit dem inneren Schweinehund

Felix Dibelka hat mit Neukurs eine virtuelle Plattform zur Weiterbildung geschaffen.
Felix Dibelka hat mit Neukurs eine virtuelle Plattform zur Weiterbildung geschaffen.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Das Lernen via Handy und in kleinen Wissenshäppchen boomt. Ob Fremdsprache oder Managementkurs: Wer es schafft, die Aufmerksamkeit des modernen Publikums zu halten, der hat gewonnen.

Busuu ist der Name einer Sprache, die fast niemand mehr spricht. Acht Menschen sollen es noch sein, die Dorfältesten eines kleinen Stammes im Grenzgebiet zwischen Kamerun und Nigeria. Die Unesco führt Busuu in ihrer Liste der 3000 akut vom Aussterben bedrohten Sprachen. Bernhard Niesner mag den weichen Klang: Busuu. So heißt sein Start-up, das der 35-jährige Wiener vor acht Jahren in London gegründet hat.

Eine innovative App für Fremdsprachen und eine fast tote Sprache. Eine seltsame Kombination, passend zur Generation Y, die in Windeseile auf dem Smartphone von einem Thema zum anderen wischt. Die sich zunehmend schwertut, sich auf eine Sache länger zu konzentrieren. Der bemerkenswerte internationale Erfolg von Busuu, das von internationalen Medien wie CNN und BBC beinahe hymnisch gefeiert wurde, liegt auch im psychologischen Grundkonzept: „Wir helfen den Leuten, ihren inneren Schweinehund zu überlisten“, sagt Niesner.

Mit der App Busuu soll es möglich sein, sich die Grundzüge einer Fremdsprache in einem halben Jahr anzueignen. Grammatik spiele eine untergeordnete Rolle – „die kommt von allein“, sagt Niesner. Wichtiger seien Vokabel und Alltagsphrasen. „Das Ziel ist es, einfache Konversationen führen zu können.“ Da das aber nur mit einem Mindestmaß an Disziplin geht, hat Niesner sich einiges einfallen lassen, um seine virtuellen Schüler bei Laune zu halten. Da jeder eine Muttersprache hat, wird der User von Busuu gleichzeitig zum Sprachtrainer für andere, die diese erlernen möchten. Über soziale Netzwerke und Chats sollen sich die Lernenden gegenseitig korrigieren und ermuntern. Und wenn alles nichts nützt, erscheinen diskrete Aufforderung auf dem Handy: „Wie wäre es mit ein wenig Vokaltraining?“

Ermahnen mit Gefühl. Darüber, wie oft und wie hartnäckig User erinnert werden sollen, hat sich Niesner lang den Kopf zerbrochen – immerhin sollen die Aufforderungen nicht lästig werden und die User damit womöglich vertreiben. Es gelte, dem veränderten Aufmerksamkeitsverhalten des modernen Menschen mit Gefühl Rechnung zu tragen, erklärt Niesner. Der Erfolg gibt Niesner recht: Rund 45Millionen Downloads verzeichnet Busuu bis heute, täglich kämen 30.000 neue dazu. Etwa eine Million von ihnen sind Premium-Abonnenten: Sie zahlen bis zu neun Euro pro Monat für Zusatzfunktionen. Eine solide Geschäftsgrundlage. Heuer rechnet Niesner mit einem Umsatz im zweistelligen Millionenbereich, er beschäftigt 30 Angestellte und 50 Freelancer.

Wie man in Zeiten von Facebook und Co. Aufmerksamkeit für recht spröde Lerninhalte bekommt, zeigt auch Felix Dibelka vor. Der Betriebswirtschafter hat vor einem halben Jahr in Wien das Start-up namens Neukurs gegründet. Die Idee: Virtuelle Weiterbildungskurse für kleine und mittlere Unternehmen in Häppchenform. Nuggets nennt Dibelka die kurzen Videoclips, in denen spezifische Fragestellungen aus Management, Marketing oder Controlling abgehandelt werden. „Kurz, knackig und präzise“, sagt Dibelka. „Es geht darum, sich so schnell wie möglich Wissen anzueignen.“ Hauptzielgruppe sind Menschen im mittleren Management, die sich kurz vor einem Termin zu einem bestimmten Wissensbereich briefen wollen.

Lernen soll wehtun. Die zweiminütigen Videos werden aufwendig inszeniert und von professionellen Trainern gestaltet. Animateure nennt sie Dibelka. Unter den Sprechern sind auch Prominente wie der Zukunftsforscher Matthias Horx. „Wir wollen die Wissenslücke zwischen Schule, Studium und Praxis schließen“, sagt Dibelka. Google und YouTube allein würden dazu nicht ausreichen: „Das Internet hat nicht auf alle Fragen eine Antwort. Ich glaube, dass Lernen auch ein wenig wehtun muss.“

Konkrete Zahlen zum Erfolg des Unternehmens nennt Dibelka nicht. „Es läuft gut“, sagt er. Das blutjunge Start-up residiert in einem großzügigen Altbaubüro nahe dem Schottentor. Viel Licht, edler Parkettboden, riesige Flügeltüren. Dibelka sitzt am Konferenztisch, Beine überschlagen. „Ich habe schon als Student bevorzugt mit Karteikarten gelernt“, sagt er. „Das hat mir enorm geholfen.“ Kleine, stark strukturierte Wissenseinheiten, regelmäßig wiederholt: Das sei die effektivste Form des Lernens, glaubt er. Nach dem Studium arbeitete er als Berater und Trainer im Bereich der Arbeiterweiterbildung. Mit Neukurs besetzt er eine Marktnische in Österreich, zudem produziert das Unternehmen auch Clips für den deutschen Markt.

Während es bei Busuu eine kostenlose Grundfunktion gibt, fallen bei Neukurs regelmäßige Gebühren an. Nach einer 14-tägigen kostenlosen Testphase kostet das Abo zwischen 29 und 34 Euro pro Monat. In der Vollversion ist der Zugriff auf rund 900 Videos mit zusätzlichen Lernunterlagen enthalten.

Die Welt im Fokus. Während sich Dibelkas Start-up auf den deutschsprachigen Raum konzentriert, hat Niesner von Beginn an den internationalen Markt im Fokus. Das sei auch der Grund gewesen, warum er sein Unternehmen in London gegründet hätte. Die Idee zu seiner Fremdsprachen-App kam dem WU-Absolventen und ehemaligen Unternehmensberater bei einem Postgraduate-Studium in Madrid.

Spanisch lernen musste nebenbei gehen, in Abendkursen mit 15 anderen Studenten. „Das war wahnsinnig mühsam“, sagt Niesner. Also tüftelte er gemeinsam mit einem Kollegen für seine Abschlussarbeit an einer frei verfügbaren Handysoftware, mit der das intuitive Erlernen einer neuen Sprache rasch möglich sein sollte. Aus dem Uni-Projekt wurde ein Unternehmen, Niesner investierte sein Gespartes und übersiedelte mit seinem Schweizer Kompagnon nach London.

Auf der Suche nach einem pfiffigen Namen für das neue Unternehmen machte er sich über unbekannte Sprachen kundig. Er durchstöberte die Unesco-Liste der vom Aussterben bedrohten Sprachen und wurde bei Busuu fündig. „Natürlich hat es auch eine Rolle gespielt, dass die dazugehörige Internetadresse noch frei war“, erzählt er freimütig. Dass sich das Unternehmen von Beginn an für Sozialprojekte in Kamerun einsetzte, habe dem Unternehmen zusätzlich Aufmerksamkeit gebracht: „Ich wusste, dass das eine gute Story für die Medien ist“, sagt Dibelka.

Boom in den Schwellenländern. Womit Niesner aber nicht gerechnet hatte, war der Boom seines Unternehmens in ärmeren Weltregionen. Das Gros der User lebt nicht in den USA oder in Europa, sondern in Schwellenländern wie Indonesien oder Brasilien. Das Erlernen einer Fremdsprache sei für viele von ihnen bisher mit unüberbrückbaren Hürden verbunden gewesen, sagt Niesner. „Bildung war lang ein Gut für Privilegierte. Durch das Internet wurde der Zugang demokratisiert.“ Möglich wurde der Erfolg von Busuu in wirtschaftlich schwächeren Ländern nur durch eine flexible Preispolitik. Die Abo-Preise für die kostenpflichtige Premiumversion werden dem Durchschnittsgehalt des Landes angepasst.

Er sei beeindruckt vom Wissenshunger der Menschen in Schwellenländern, sagt Niesner. Er selbst aber muss wie viele seine Kunden mit dem inneren Schweinehund kämpfen. Über Busuu möchte er Portugiesisch lernen. Noch sind die Ergebnisse überschaubar. Zwei- bis dreimal pro Woche, erzählt Niesner, käme er zum Lernen. Hin und wieder muss er sich von seiner eigenen App ermahnen lassen.

Schnell Lernen

Busuu ist eine Handy-App zum Erlernen von Fremdsprachen. Derzeit nutzen 45 Millionen Menschen weltweit die Software, in 18 Sprachen. Unternehmenssitz des 2008 gegründeten Start-ups ist London, CEO Bernhard Niesner ist Wiener. www.busuu.com

Neukurs bietet KMU kurze Weiterbildungskurse zu spezifischen Themen an. Dabei hat sich Gründer Felix Dibelka vom Prinzip der Karteikarten inspirieren lassen. Derzeit sind rund 900 Clips verfügbar, unter den Sprechern sind auch Prominente wie der Zukunftsforscher Matthias Horx. Es gibt ein kostenpflichtiges Abo-Modell, monatlich fallen Kosten zwischen 29 und 34 Euro an. www.neukurs.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.