Toshiba: Kopfsalat statt Mikrochips

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Der Technologiekonzern steckt wegen eines Skandals um frisierte Bilanzen in der Krise. Aber er überrascht auch mit neuen Ideen: Hightech-Gemüse könnte Ernährungsprobleme lösen.

Tokio. Rucola können die Kinder von Noriaki Matsunaga nicht mehr sehen. „Eine Zeit lang mussten sie es jeden Tag zur Probe essen“, sagt der Toshiba-Ingenieur und grinst, als er die Tür zur alten Diskettenfabrik aufschiebt. „Aber es ist eben gesund, und Papa hat reichlich davon vorrätig.“ Hinter der dicken Glastür reihen sich deckenhohe Regale, auf deren Etagen grelles Licht scheint. Darunter sprießen grüne Pflänzchen. „35 Tage dauert es, bis wir sie essen können.“ Deutlich schneller als herkömmliches Gemüse vom Feld. „Das hier ist die Produktionsweise der Zukunft“, sagt Matsunaga ohne einen Anflug von Zweifel.

In Yokosuka, einer kleinen Stadt im Süden von Tokio, stellt der Technologiekonzern Toshiba in keimfreien Räumen Gemüse her. Das Wissen über Laborproduktion hilft dabei. „Bei uns gibt es keine Zufälle mehr“, sagt Matsunaga. Die Temperatur liegt konstant bei 28 Grad, die Luftfeuchtigkeit ist kontrolliert, ebenso die Stärke des UV-Lichts, das auf die Pflanzen herabscheint. Deren Samen wurden mit einem Schwamm eingesetzt, der genau reguliertes Wasser aufsaugt.

Toshiba ist ein Multikonzern, dessen Palette von Kühlschränken über Halbleiter bis zu Atomkraftwerken reicht. Neu ist, dass er auch auf Blattsalat, Spinat und Kräuter setzt. Alles soll frischer, sauberer und länger haltbar zugleich sein. Tatsächlich schmeckt der Salat untypisch stark. Da das Gemüse im Labor nicht eingesprüht werden muss, um es vor Würmern, Käfern und Bakterien zu schützen, ist vor dem Essen kein Abwaschen nötig. Unabhängig von Wetter und Saison kann rund ums Jahr gesät und geerntet werden. Theoretisch wäre die Plage der Ernteausfälle damit überwunden.

Rote Zahlen, grüne Visionen

Es sind einmal gute Nachrichten aus dem Tokioter Konzern. Als vor viereinhalb Jahren das Atomkraftwerk Fukushima havarierte, erwiesen sich die von Toshiba erbauten Reaktoren als nicht sicher genug. Aktuell steckt der Konzern im größten japanischen Unternehmensskandal der vergangenen Jahre. Seit März wurde die Bilanzierung des abgelaufenen Geschäftsjahres mehrfach verschoben. Der Grund: Es wurde bekannt, dass Toshiba seit 2008 den operativen Gewinn um umgerechnet 1,1 Mrd. Euro schöngerechnet hat. Konzernchef Hisao Tanaka und zwei führende Manager, die davon gewusst haben sollen, mussten im Juli gehen. Toshiba dürfte auf Basis der korrigierten Daten in die roten Zahlen gerutscht sein. Einem Zeitungsbericht vom Donnerstag zufolge geht es um einen Verlust von umgerechnet 73 Mio. Euro. Am Montag verschob der Konzern die Veröffentlichung wegen neu entdeckter Bilanzfehler erneut. Als Frist wurde der 7. September genannt. Seit Bekanntwerden der Probleme Anfang April hat die Aktie ein Drittel an Wert verloren.

Gutachter sehen in einer Führungskultur, die keinen Widerspruch duldet, die Ursache für den Skandal. Laut ihrem Bericht übte Tanaka Druck auf Abteilungen aus, sehr ambitionierte Gewinnziele zu erreichen. Auch die Idee der Gemüsesparte hat der Ex-Chef vorangetrieben. Aber sie steht nicht zur Debatte. Schließlich, so heißt es, sei sie schon reif für den Export. Gerade in Entwicklungsländern, in denen die Bevölkerung schnell wächst, könnte grüne Nahrung ohne Pestizide helfen. Anfragen aus Thailand, Brasilien und China liegen vor. Auch in reichen, aber für bestimmte Gemüsesorten zu heißen Ländern wie Singapur und den Golfstaaten bestehe Interesse.

Technisch gesehen könnte auch viel mehr Grünes gezüchtet werden. Im Gewächshaus hinter dem Schauraum findet man Radieschen, Basilikum, Zwiebel und Erdbeeren. Doch selbst das Blattgemüse ist noch vergleichsweise teuer, wenn es aus dem Labor kommt. So sind Toshibas Kunden bisher eher Restaurants, kaum Endverbraucher. Von den 550.000 Tonnen Blattsalat, die in Japan täglich abgesetzt werden, macht das Hightech-Produkt von Toshiba noch weniger als ein Prozent aus. Langfristig sollen aber 20 bis 30 Prozent der inländischen Nachfrage damit gestillt werden.

„Dafür werden weitere Investitionen nötig“, sagt Matsunaga. Toshibas Gemüse muss dafür noch billiger werden. Und dies nicht nur in Konkurrenz zu Bauern. Sondern vor allem, weil andere Technikkonzerne auch schon mit Hochdruck daran arbeiten – etwa Panasonic, Sharp und Fujitsu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2015)

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