So schön waren Überwachungsvideos noch nie

  • Drucken

Canon zeigt einen 250-Megapixel-Sensor und Kameras, die auch im Dunkeln „sehen“. Zur Anwendung kommen diese Innovationen aber nicht unbedingt im Fotobereich.

Es könnte einem schwindlig werden: Man steht hoch über New York und blickt hinunter in die Straßenschluchten von Manhattan. Jedes Detail sieht man: die gelben Taxis, den Touristenbus, sogar einzelne Menschen auf dem Times Square kann man ausmachen. Nur bewegt sich niemand. Denn das hier ist nicht die Realität, sondern ein mehrere Quadratmeter großes Foto, das aussieht wie die Realität.

Der „super-realistische Drucker“, aus dem das Bild kam, ist eines der Produkte, an denen Ingenieure von Canon arbeiten. Alle fünf Jahre zeigt der weltgrößte Kamerahersteller auf einer Messe, wie sich seine Forschungsabteilung die Zukunft der Fotografie, der Büroarbeit, der Medizin und des Drucks vorstellt und an welchen Produkten man arbeitet.

Blick auf den Flughafen - den es nur als Foto gibt
Blick auf den Flughafen - den es nur als Foto gibt

Heuer präsentierte man unter anderem einen Fotoapparat mit einer Auflösung von 120 Megapixel (mehr als doppelt so viel wie die derzeit höchstauflösende Kleinbildkamera mit 50 Megapixel), einen Sensor mit 250 Megapixel, Videokameras mit einer 16-fach höheren Auflösung als High Definition (8K-Video) und eine Kamera, die auch in völliger Dunkelheit brauchbare Bilder liefert (Sensorempfindlichkeit von vier Millionen ISO).

Im Foto- und Filmbereich ist das mehr eine Leistungsschau oder ein sehr, sehr weiter Blick in die Zukunft: Ein einziges Raw-Bild aus der 120-Megapixel-Kamera hat beispielsweise 232 Megabyte, und zur Bearbeitung der 8K-Videoaufnahmen benötigt man die leistungsstärksten Computer.

Die 8K-Videokamera
Die 8K-Videokamera

Interessant werden diese Innovationen aber, wenn man die jüngsten Übernahmen sieht, die Canon getätigt hat: Heuer im Frühjahr haben die Japaner um 2,8 Milliarden Dollar Axis gekauft – eine Firma, die Kameras zur Videoüberwachung herstellt. Schon Mitte 2014 schluckte man Milestone, einen führenden Hersteller von Videomanagement-Software. Man kann sich also vorstellen, wohin die Reise Canons geht, das seit Jahren einen Rückgang im Kamerageschäft spürt, weil das Smartphone immer mehr Foto- und Videoapparat ersetzt.

"Die Zukäufe von Milestone und Axis waren wertvoll für die Zukunft des Unternehmens", erklärt Rokus van Iperen, Chef von Canon Europa, Afrika und Naher Osten. Allein in seiner Region wird der Videoüberwachungsmarkt bis 2018 ein Volumen von fast 18 Milliarden Euro erreichen.
Ein ordentliches Stück dieses Kuchens kann Canon gut gebrauchen. Zwar machte das Unternehmen 2013 (neueste Zahlen) einen weltweiten Umsatz von 25,7 Milliarden Euro (am Ende blieb ein Gewinn vor Steuern von 2,4 Milliarden Euro). Der Anteil der Kameraverkäufe stagniert aber bei um die 40 Prozent des Umsatzes (2013 waren es exakt 38,8 Prozent). Der Umsatzbringer sind mit 53,6 Prozent Büroprodukte (der Rest fällt auf den Industriebereich).

Ein Prototyp der 120-MP-EOS
Ein Prototyp der 120-MP-EOS


Dass der Kamerahersteller mit seiner Expertise im Überwachungssektor reüssieren könnte, kann sich jeder vorstellen, der die Zukunftsprodukte auf der Canon-Messe sah. Der 250-Megapixel-Sensor liefert beeindruckend detailreiche Bilder: Auf einem Foto von Paris kann man in einer Entfernung von 15 Kilometern eine Aufschrift auf einem Gebäude ausmachen. Ein Sicherheitsexperte meinte, bei einer solchen Auflösung könne man einen ganzen Stadtteil aus großer Höhe mit ein paar Kameras überwachen.

Selbst wenn jemand eine Sonnenbrille oder einen falschen Bart trägt, schützt das die Identität nicht. Eine Software kann Bilder aus einer Infrarot- und einer regulären Kamera kombinieren. Der Vorteil: Die Farben bleiben – im Gegensatz zu reinen Infrarotaufnahmen – erhalten. Allerdings macht das Infrarotlicht die Brille durchsichtig, das Bild kann somit von einer Gesichtserkennungssoftware bearbeitet werden.

Pflichtübung ist, was die Software von Milestone macht: Sie kann aus einem Videobild errechnen, wie viele Männer und Frauen zu sehen und in welcher Altersgruppe sie sind. Sie kann verfolgen, wo und wie lange sich eine bestimmte Person in einem Geschäft oder Raum aufhält und ob es in einer Menschenmenge zu ungewöhnlichen oder verdächtigen Vorfällen kommt.

Bei völliger Dunkelheit greift man zur Vier-Millionen-ISO-Kamera. Als Mensch sieht man nur Dunkelheit, die High-Definition-Kamera aber zeigt ein klar erkennbares Farbbild der Szene auf einem Monitor. Diese Technik könne man „auch für Tieraufnahmen“ verwenden, erklärt ein Techniker.

Interessant für den Sicherheitsbereich ist zweifellos auch ein 360-Grad-Video: Man setzt sich Kopfhörer auf, hält sich ein kleines Gerät mit Monitoren vor die Augen, und schon ist man in einer gefilmten Welt. In dem Video (oder auch in einem Foto) kann man sich nach allen Seiten umsehen, über den Kopfhörer werden Geräusche zielgenau eingespielt.

Einen anderen Zugang hat eine Mixed-Reality-Lösung, die die reale Umwelt mit einer vom Computer generierten Welt kombiniert. Man kann beispielsweise in einem Autorahmen sitzen und sich einspielen lassen, wo die verschiedenen Bedienelemente auf dem Armaturenbrett sind und wie leicht oder schwer sie zu erreichen sind. Entsprechende Anpassungen kann man machen, bevor man ein teures Modell baut.

Mixed Reality: Im Hintergrund auf dem Monitor links das Bild, das der Mann im Autorahmen durch seine VR-Brille sieht.
Mixed Reality: Im Hintergrund auf dem Monitor links das Bild, das der Mann im Autorahmen durch seine VR-Brille sieht.

Und dann natürlich 8K-Video. Das Bild enthält derart viel Information und ist so gestochen scharf, dass man es auf einem (ebenfalls neuen) 8K-Monitor sogar mit einer Lupe betrachten kann – und man sieht keine Pixel. Das ist nicht nur für die Überwachung großer Menschenmengen interessant, sondern in dem Fall auch für das ureigenste Geschäft von Canon: Mit 8K-Video ist man der Konkurrenz weit voraus, die gerade versucht, 4K-Video umzusetzen.

Allerdings könnte Canon damit auch der Fotografie irgendwann endgültig den Todesstoß versetzen: Denn ein einzelnes Videobild?– und die Kamera kann 60 davon pro Sekunde machen – entspricht in der Auflösung einer 35-Megapixel-Kamera. Mehr, als die meisten Digitalkameras derzeit haben.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.