Japan: Wenn der Lehrer ein Roboter ist

JAPAN NEC PaPeRo ROBOT
JAPAN NEC PaPeRo ROBOTEPA
  • Drucken

Japan gilt nicht ohne Grund als das Land der Roboter. Aber nicht nur bei monotoner Fabrikarbeit kommen sie zum Einsatz. Inzwischen erobern Roboter auch Klassenzimmer.

Tokio. Als sich alle um die Matte versammelt haben, geht Nao langsam in den Spagat. „So geht das, seht ihr?“, sagt die Lehrerin zu den gespannt zuschauenden Kindern. „Den Oberkörper haltet ihr gerade und die beiden Beine bewegt ihr gleichzeitig auseinander.“ „Wie cool!“, staunt ein Mädchen, die Mitschülerinnen stöhnen vor Bewunderung im Chor. In einer Grundschule in Tokio hat Nao am selben Morgen schon als herausragender Kopfrechner beeindruckt, davor im Kalligrafiekurs. Auch im Sport ist das knapp 60 Zentimeter große Plastikmännchen also Klassenprimus. Und das als Roboter.

Mit seinen 25 Freiheitsgraden, den ultrasensiblen Händen und dem niedlichen Kopf mit großen Augen ist das Helferlein Nao in den vergangenen Jahren zu einer Art Allzweckwaffe in Japans Bildungssystem geworden. Der niedliche Android, erfunden und ständig weiterentwickelt von einer Tochterfirma des Mobilfunkunternehmens Softbank, spricht mittlerweile 25 Sprachen, arbeitet auch als Lehrassistent an der Universität Tokio, wo er in Vorlesungen zur Veranschaulichung von Beispielen einspringt, und als autonomes Versuchskaninchen in Labors. Obwohl der Roboter rund 12.000 Euro kostet, hat er sich allein in Japan schon einige tausend Male verkauft. Und mittlerweile ist Nao auch in guter Gesellschaft.

Nicht durch Zufall gilt Japan als das Land der Roboter. Kluge Maschinen werden hier seit Jahrzehnten in der Industrieproduktion eingesetzt, schon länger auch in Shoppingcentern oder Krankenhäusern. Und nun eben in Kindergärten, Schulen, Universitäten sowie daheim zum Nachhilfeunterricht. In Japan mausern sich die Roboter, die einst nur die monotonsten Jobs übernehmen konnten, so langsam von Lehrlingen zu Lehrern. Und es scheint, als wären die Entwickler mit ihrer Fantasie noch lang nicht am Ende.

Kinder erinnern sich besser

Ein Team von Ingenieuren der Universität Osaka hat in den vergangenen sechs Jahren zwei Typen von Robotern in Grundschulen eingesetzt. Man wollte wissen: Lernen Kinder besser, wenn der Lehrer ein Roboter ist? Um dies zu testen, wurde jedem Kind eine weiche, kissenartige Puppe namens Hugvie in den Arm gedrückt, in deren Kopf ein Kommunikationsprogramm installiert ist. Über dieses Programm las ein menschlicher Lehrer im Japanischunterricht Texte vor und beantwortete Fragen. Da mit der Stimme des Lehrers durch Hugvie auch körperliche Nähe transportiert wird, so der Gedanke der Forscher, sollte sich die Aufmerksamkeit der Schüler erhöhen. „Die Kinder erinnerten sich besser an die vorgelesenen Inhalte, wenn sie Hugvie im Arm hatten und während des Zuhörens mit ihr kuscheln konnten“, sagt Hidenobu Sumioka, Professor an der Uni Osaka.

Für Unterrichtsfächer, in denen in Japan keine Interaktion vorgesehen ist, wie im Fach Geschichte, werden auch schon Roboter eingesetzt, die Vorträge ganz eigenständig halten. Im Rahmen eines regierungsfinanzierten Projekts rezitiert etwa ein kleinerer Android namens Commu, ebenfalls eine Entwicklung der Universität Osaka, auf dem Tisch stehend über die Tugenden der alten Samurai oder die Herrschaft der Shogune. „Die Resultate sind ähnlich wie bei Hugvie: Schüler lernen viel effektiver“, sagt Ingenieur Hiroshi Ishiguro, einer der japanischen Robotikgurus und Leiter des Projekts.

Zweifel der Lehrer lassen nach

Nach den Versuchen hätten auch anfängliche Zweifel unter der Lehrerschaft schnell nachgelassen. Schließlich ist ein eigenständig vortragender Roboter, im Gegensatz zu Assistenten wie Nao oder Mediatoren wie Hugvie, auch eine potenzielle Bedrohung für die Lehrer. „Mehrere Grund- und Mittelschulen wollen die Roboter aber jetzt für den Unterricht bestellen“, so Ishiguro. Ein Exemplar von Commu kostet um die 1000 Euro, der Kuschelroboter Hugvie ist etwas günstiger. Derzeit entwickeln die Ingenieure aus Osaka auch einen Zusatz zum Commu-Programm, das auf Vokabellernen spezialisiert ist und im Haushalt verwendet werden soll.

Diesen Sommer brachte auch der Nao-Hersteller Softbank einen solchen Roboter auf den Markt. Der Android Pepper, der etwas größer ist als Nao, kann durch ein Spracherkennungssystem autonom kommunizieren, erkennt wegen eingebauter Kameras sein Gegenüber und verfügt dank eines riesigen Datenspeichers und des Zugangs zu einer Cloud über einen enormen Wissensschatz. Softbank vermarktet Pepper als den ersten Roboter mit Emotionen, da er auch zwischen den Zeilen lesen kann: „Bist du traurig?“, fragt er tatsächlich, wenn die Tonlage des menschlichen Gegenübers nach Moll klingt.

Pepper kostet mit 198.000 Yen pro Stück (rund 1430 Euro) ein gutes Zehntel des Preises für Nao – Pepper ist schließlich als Haushaltsroboter gedacht. Mit entsprechenden Zusatzapplikation kann er Vokabeln abfragen, kennt 4500 japanische Wörter und die drei weiterer Sprachen. Als der niedliche Roboter Ende Juli in den Verkauf ging, waren innerhalb einer Minute auch schon die ersten 1000 Stück abgesetzt. Das japanische Wirtschaftsministerium prophezeit der Branche noch viele Boomjahre. Werden dieses Jahr landesweit rund 1,5 Billionen Yen (knapp elf Mrd. Euro) mit allen möglichen Robotern umgesetzt, sollen es im Jahr 2035 schon zehn Billionen (72 Mrd. Euro) sein.

Der Markt für die bisher dominierenden Industrieroboter, die an Fließbändern und anderswo in Fabriken eingesetzt werden, soll dabei nur noch um ein knappes Fünftel wachsen. Jener für Serviceroboter werde sich dagegen auf 4,9 Billionen (über 35 Mrd. Euro) verdreifachen. In Japan vermutet man, dass Roboter bald so beliebt und normal sein werden wie Autos. Mehrere große Unternehmen arbeiten derzeit an Assistenzrobotern: darunter der Atomreaktorbauer Hitachi, der Fernseherhersteller Panasonic und die Autokonzerne Toyota, Nissan und Honda.

Insofern ist Japan dem Rest der Welt weit voraus. Wenn Roboter dort menschenähnlich aussehen, fürchtet man sich meist nicht, sondern hat sie lieb. Schon im 17. Jahrhundert erfanden japanische Tüftler mechanische Puppen, die sich aufziehen ließen und eine Teezeremonie durchführen oder mit Pfeil und Bogen auf eine Zielscheibe schießen konnten. Heute gelten diese Puppen als Vorläufer für die Robotik – und sie haben die Gesellschaft schon früh für die nicht ganz menschlichen Helfer und Unterhalter sensibilisiert. Lernroboter erscheinen insofern nicht als Revolution, sondern eher als logischer Entwicklungsschritt.

Beliebter als menschliche Lehrer?

Was das Lehren angeht, hält Hiroshi Ishiguro, der Ingenieur aus Osaka, Roboter teilweise sogar für besser als Menschen. „Bei unseren Tests ist uns aufgefallen, dass Hugvie und Commu viel beliebter waren als die menschlichen Lehrer. Weil sie nett und niedlich sind, sehen Schüler die Roboter als ihre Freunde an. Sie erteilen ja auch keine Befehle oder rügen die Schüler.“ Die klassische Hierarchie zwischen Lehrenden und Lernenden werde aufgebrochen, mit einem schlauen, aber unbedrohlichen Roboter als Mittelsmann.

Nao ist auch schon in Schulen Großbritanniens und der USA im Einsatz. Und Pepper, der neueste Roboter von Softbank, soll ab 2016 weltweit per Internet bestellbar sein. Softbank glaubt an einen Erfolg auch jenseits Japans. Denn anders als die Roboter für den Klassenunterricht konkurriert er kaum mit Lehrergewerkschaften, die um Jobs fürchten könnten. Als Hausaufgabenhilfe könnten schlaue Heimroboter vielmehr eine Lücke füllen, die Eltern sonst widerwillig allein oder mit einem Nachhilfelehrer stopfen müssten.

Perfekt sind die Maschinen allerdings noch lang nicht. Ob Nao, Commu oder Pepper: Man darf in der Anrede nicht nuscheln und auch keine falsche Grammatik benutzen. Sonst sind die schlauen Lehrer mit ihrem Latein schnell am Ende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.