Der Entdecker(be)trieb

 Freytag & Berndt
Freytag & Berndt(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Seit dem Umzug der Buchhandlung Freytag & Berndt in die Wallnerstraße 3 kommen weniger Touristen. Die Beziehung zu den Stammkunden wurde dadurch umso wichtiger.

Wieso sollte man in Zeiten von Google Maps, E-Books und Amazon noch in eine Filiale von Freytag & Berndt gehen? „Die Kunden schätzen, dass sie etwas in die Hand nehmen können, das hat einen gewissen Mehrwert“, sagt Filialleiter Dieter Grabenbauer. „Außerdem sind unter unseren Mitarbeitern Experten für Reisen, Wandern und Segeln. Die wissen, wovon sie sprechen, und die Kunden schätzen deren Rat.“

Die Kartografische Anstalt Freytag-Berndt und Artaria KG, besser bekannt als Freytag & Berndt, ist eine der traditionsreichsten kartografischen Verlage der Welt. 1775 wurde am Kohlmarkt der Firmensitz durch die Familie Artaria gegründet, damals handelte man aber noch mit Kupferstichen (Karten und Ansichten von Wien). Fast hundert Jahre später folgte die Gründung der Kartografischen Anstalt G. Freytag & Berndt durch Kartograf Gustav Freytag und Kaufmann Wilhelm Berndt.

Die Anfänge. Freytag machte sich durch das Herstellen von Wander- und Straßenkarten einen Namen und wurde ab 1908 sogar k. u. k. Hoflieferant. 1920 fusionierte schließlich die Artaria-Kartenabteilung mit Freytag & Berndt. Gustav Freytag hatte in seinen Anfängen für Artaria gearbeitet.

Die Reisebuchhandlung am Kohlmarkt 9 ist um 1920 eröffnet worden und ist bekannt für seine Reiseführer. Zum Angebot gehören auch nautische Literatur und Seekarten sowie Karten und Literatur über Wandern und Bergsportarten. Als Verlag ist das Unternehmen einer der österreichischen Marktführer im Bereich Kartografie, mit den Schwerpunkten Straßen- und Freizeitkarten, Wanderkarten und Stadtpläne. Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich im 23. Wiener Bezirk. Das einzige Geschäft in Österreich gibt es im ersten Bezirk.

Im Mai 2014 ist die Filiale nach 239 Jahren Betrieb wegen zu hoher Mietpreise vom Kohlmarkt 100 Meter weiter in die Wallnerstraße 3 umgezogen. „Seit wir nicht mehr dort sind, gibt es Kunden, die glauben, dass es kein Freytag-&-Berndt-Geschäft mehr gibt.“ Diese Kunden würden Reiseführer und Landkarten von Freytag & Berndt dann in anderen Buchhandlungen oder online kaufen. Seit dem Umzug hat die Filiale ihr Sortiment zum Teil reduziert. Der Bereich Outdoor ist größer geworden, bei den Reiseführern musste Grabenbauer das Angebot jedoch etwas zurückfahren.

Am meisten Umsatz macht die Filiale mit Reisenden, die wandern, segeln und klettern gehen. Dabei handle es sich meist um Kunden, die keine Pauschalreisen machen, sondern ganz eigenständig planen. Dazu würden sich analoge Karten besonders gut eignen, so Grabenbauer. „Luft nach oben“ gebe es bei Reiseführern, deren Sortiment wegen des Umzugs reduziert werden musste. Doch auch diese hätten ihre Vorzüge: In einem fremden Land mit schlechtem Internetempfang seien sie immer verlässlich. Am Kohlmarkt habe die Filiale von den vorbeiströmenden Menschenmengen profitiert. „Seit dem Umzug kommen weniger Touristen“, gesteht Grabenbauer ein. „Jetzt leben wir hauptsächlich von den Stammkunden.“ Diese seien über ganz Wien verteilt und kommen seit Jahren. „Viele haben uns bereits wiedergefunden, aber das haben auch Neukunden“, sagt Grabenbauer über die Nachwehen des Umzugs.

Schnittstelle. Mit den Stammkunden hat das Geschäft eine ganz besondere Beziehung: Diese würden Grabenbauer zufolge oft Landkarten kaufen, dort hinreisen und kontrollieren, ob sie noch korrekt sind. Das gelte sowohl für entlegene Regionen am anderen Ende der Welt als auch für Wanderwege in Niederösterreich.

So habe etwa ein Kunde Chile nach einem Erdbeben besucht und anschließend im Geschäft berichtet, welche Straßen und Wanderwege dadurch zerstört wurden. Noch öfter werden lokale Wanderkarten aufgrund der Informationen von Stammkunden geändert. „Wir sind ein Klub von geografischen Entdeckern“, meint Grabenbauer dazu. Die Informationen werden von den Kunden über den Filialleiter an die Zentrale des Unternehmens im 23. Bezirk weitergegeben.

Kartografie werde jedoch schon lange nicht mehr manuell – wie etwa im Buch „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann beschrieben – gemacht. Heute sind es Staaten und deren Ämter, die mit Flugzeugen ihr Territorium überfliegen und großräumig scannen. Freytag & Berndt bekommt seine Kartendaten vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. Auf deren Basis werden zusammen mit Tourismusvereinen und -büros sowie Alpenvereinen die Karten erstellt. Die Infos der Stammkunden seien jedoch trotz der professionellen Quellen immer noch eine wichtige Ergänzung, so Grabenbauer. Niederlassungen des Unternehmens gibt es außerdem auch in Prag, Bratislava, Ljubljana und in Ottobrunn, Regensburg und Nürnberg in Deutschland.

Ein Problem bleibt der Wiener Filiale jedoch: Die Stammkundschaft des Geschäfts ist meist über 50. Bei jungen Leuten, die digital aufgewachsen sind, gebe es weiterhin Nachholbedarf. „Im Vergleich zu Amazon zahlen wir aber unsere Steuern in Österreich und bezahlen unsere Mitarbeiter korrekt“, sagt Grabenbauer. Um jüngere Menschen zu erreichen hat der Filialleiter im September 2014 einen Onlineshop gegründet und bietet im Geschäft jetzt auch GPS-Geräte und Sportuhren an.

Noch ist nicht alles vermessen. Die Vermessung der Welt ist noch nicht abgeschlossen, so Grabenbauer. Allein deshalb werde es weiter Interesse an Kartografie geben. Menschen würden Karten und Reiseführer nämlich nicht nur kaufen, um tatsächlich zu reisen, sondern auch, um dies in Gedanken zu tun. Am meisten Spaß mache ihm bei seiner Arbeit, wenn es von einer noch nicht detailliert kartografierten Region plötzlich eine neue Karte gibt. „Das ist dieser Entdeckertrieb, der ist uns allen angeboren. Bei mir ist er aber anscheinend besonders stark.“

Zur Firma

Heute. Die Freytag & Berndt AG ist ein Verlag für Reiseführer und Landkarten und hat eine Reisebuchhandlung im ersten Bezirk.

1770Gründung des Unternehmens durch die Familie Artaria in Wien.

1775 Eröffnung des Firmensitzes am Kohlmarkt.

1920 Eingliederung der Artaria-Kartenabteilung in die Kartografische Anstalt G. Freytag & Berndt. Der Artaria Verlag schloss sich als Tochterunternehmen mit Freytag & Berndt zusammen. Außerdem wurde das Geschäft am Kohlmarkt gegründet.

2014 ist die einzige österreichische Filiale wegen hoher Mietpreise vom Kohlmarkt in die Wallnerstraße 3 im ersten Wiener Gemeindebezirk umgezogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2016)

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