Probleme bei "Navis": Biegen Sie bitte links ab!

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Navigationsgeräte in Autos sorgen immer häufiger für Probleme – weil sich Autofahrer in blinder Technikgläubigkeit auf sie verlassen. Macht uns die Technik immer dümmer?

Bitte wenden“, sagt die Stimme des Navigationsgerätes. Pflichtbewusst dreht der 60-jährige Pole am Lenkrad und macht kehrt. Dumm nur, dass er gerade im Tiroler Strenger Tunnel unterwegs ist – und somit zum Geisterfahrer wird. Klingt skurril, ist aber beileibe kein Einzelfall. Die Autobahnpolizei kennt mehrere solcher Vorfälle, bei denen Lenker von ihrem Navi zum Umdrehen animiert wurden. Und auch Meldungen über Autos, die auf Wanderwegen steckenbleiben, weil das Navi eine falsche Strecke angab, sind immer wieder zu hören.

Es scheint, als würde mit dem Programmieren des Navigationsgerätes der Verstand auf Sparflamme gesetzt. Schließlich weiß ja die Technik, wohin es geht. „Man gibt einen Teil der Verantwortung an das Navi ab“, sagt Verkehrspsychologin Marion Seidenberger vom ÖAMTC. Man denkt nicht mehr mit, achtet nicht auf den Kilometerstand, nicht auf die Umgebung – „und wenn dann die Ansage kommt, führt man den Befehl aus“. Eine Art blinder Technikgläubigkeit, die gerade bei Autofahrern häufig anzutreffen ist.


Sich leiten lassen. Es ist ja auch zu verführerisch, und bequem noch dazu: sich einfach von einer Stimme leiten lassen, sich hingeben den Anweisungen aus dem Lautsprecher – und selbst keine Entscheidungen treffen müssen. Daran könnte man sich gewöhnen. Und tut es auch, was spätestens dann klar wird, wenn Fahrer plötzlich ohne die Stimme aus dem Off den Weg finden müssen. Da zeigen die navigatorischen Entzugserscheinungen so richtig die Abhängigkeit von der Technik.

Wer jemals sein Auto mit Einparkhilfe für einige Zeit gegen ein Modell ohne hörbare Abstandsmessung eintauschen musste, wird den Effekt kennen – plötzlich ist man beim Rückwärtseinparken wieder ganz allein und auf seine eigene Einschätzung der Entfernung zum Auto in der nächsten Parklücke angewiesen.

Die genannten Beispiele führen ein grundlegendes Dilemma vor Augen: Auf der einen Seite macht Technik das Leben leichter. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass man sich zu sehr auf sie verlässt – mit allen Konsequenzen. Etwa, wenn Menschen sich keine Daten wie Telefonnummern mehr merken können, weil sie sie alle im Handy eingespeichert haben. Wissenschaftler verwenden für dieses Phänomen den Begriff „digitale Demenz“.


Kopf frei für wichtigere Dinge. Ein solcher kulturpessimistischer Begriff passt nicht in die Welt von Gerald Steinhardt. „Man könnte auch fragen: Müssen wir wirklich unseren Kopf mit Ziffernfolgen zumüllen? Oder können wir ihn nicht für andere Dinge freihalten?“ Der Dekan der Fakultät für Informatik der TU Wien bezweifelt, dass uns Technik an sich verdummen lässt. Denn zunächst öffnen sich neue Möglichkeiten – die eben zum Teil auch mit Verlusten verbunden sind, „und diese Verluste betrauern wir“. So wie etwa in Platons „Phaidros“, in dem Sokrates, Phaidros' Dialogpartner, die Kulturtechnik der Schrift als Verlust sieht – weil so die Qualität der mündlichen Überlieferung verloren gehe.

„Es ist die Frage, ob kulturpessimistische Trauer berechtigt ist“, meint Steinhardt. Schließlich habe erst die Schrift den Fortschritt der Zivilisation ermöglicht. Aber er gibt zu: Der Niedergang des Kopfrechnens durch den Einzug des Taschenrechners in den Schulalltag könnte bedeuten, dass die Einübung in bestimmte räumlich vorgestellte Rechenoperationen erschwert wird.

Letztlich sei es vor allem eine Frage, wie mit Technik umgegangen wird. „Es gibt eine Tendenz, der Technik eine Verantwortung zuzuweisen“, so Steinhardt. Da misstraut man etwa zunehmend der eigenen Körperwahrnehmung – und braucht ein technisches Gerät, ein Fieberthermometer, das sagt, ob man das Label „krank“ tragen dürfe. „Dabei ist Krankfühlen doch nicht gekoppelt an irgendwelche Zehntelgrad Körpertemperatur.“

Verstärkt wird diese Technikgläubigkeit durch die digitalen Technologien: Konnte man früher etwa bei Autos noch sehen und verstehen, wie mechanische Teile arbeiten, ist bei der Computertechnologie längst nicht mehr nachvollziehbar, was in einem Gerät abläuft. „Damit werden diese Dinge undurchschaubar, bekommen etwas Magisches.“ Und wir sind zunehmend gewillt, das zu akzeptieren.


Nacktscanner gegen Terror. Die Technikgläubigkeit geht mittlerweile so weit, dass wir uns davon sogar Heilsversprechen für gesellschaftliche Probleme erwarten. Videokameras sollen Verbrechen verhindern, Nacktscanner Terrorismus bekämpfen. „Dabei“, so Steinhardt, „ist Terrorismus ein komplexes soziales Problem“. Durch eine Verfeinerung von Technologien bekomme man ihn jedenfalls nicht in den Griff. Und vorläufig lässt sich damit auch so mancher Navi-bedingte Umweg oder Ausritt nicht verhindern. Noch braucht man dazu das Gehirn. Auch wenn manche Autofahrer das zeitweilig vergessen.

Google, Technik & Verstand

Is Google making me stupid?
Wissenschaftspublizist Nicholas Carr schrieb im Sommer 2008, wie sehr das Internet die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt:www.theatlantic.com/doc/200807/google

„Digitale Demenz
Schon 2007 machte sich Telepolis-Gründer Florian Rötzer Gedanken über die „digitale Demenz“: www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25483/1.html

Navi-Fehler

Krapfenberg
Der kleine Ort im Dunkelsteiner Wald (Niederösterreich) wird immer wieder von Lkw-Fahrern angefahren, die den Montan-Terminal suchen. Der ist aber in Kapfenberg (Steiermark) zu finden, rund 130 Kilometer Luftlinie entfernt, mit dem Auto noch weiter. Vor allem ausländische Lenker vertippen sich häufig.

Lille oder Lille
Ins französische Lille wollte im Jahr 2008 ein britischer Bus. Doch der Fahrer programmierte das belgische Dorf gleichen Namens als Ziel ein. Selbst als erste Hinweisschilder auf belgische Städte auftauchten, ließ sich der Fahrer nicht beirren. Nach Entdeckung des Fehlers verließ er sich aber wieder auf eine klassische Landkarte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2010)

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