IT-Branche: »Die Welt braucht mehr Spezialisten«

(c) AP (Christof Stache)
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Eine dänische IT-Firma schickt Autisten auf die Jagd nach Fehlern in Computerprogrammen. Mit Erfolg. Jetzt werden Nachahmer gesucht – auch hier in Österreich.

Belastbar, flexibel und teamfähig sollen sie sein. Die Wunschkandidaten der Personalchefs rund um den Globus. Thomas Jacobsen erfüllt keine der Anforderungen. Der 28-jährige Däne leidet am Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus. Der Umgang mit Menschen bereitet ihm Stress, Mimik und Ironie kann er nicht deuten, auf neue Situationen stellt er sich nur schwer ein.

Jahrelang war bei Jobinterviews für Jacobsen daher schon nach der ersten Runde Schluss. Nicht bei Specialisterne, einer dänischen IT-Firma. „Für manche Jobs braucht es all diese Fähigkeiten gar nicht“, sagt Firmengründer Thorkil Sonne. „Da sind Konzentration, Genauigkeit und ein nahezu fotografisches Gedächtnis einfach wichtiger.“ Für diese Jobs sind viele Autisten wie geschaffen.


Specialisterne testet Software. Sonne stellt für diesen Job fast ausschließlich Mitarbeiter mit Asperger-Syndrom ein. Für sie ist es kein Problem, in endlosen Zahlenkolonnen Fehler zu finden. Die Spezialisten (deutsch für Specialisterne) bleiben motiviert, wo andere längst das Interesse verloren hätten. „Und wenn das passiert, passieren Fehler, teure Fehler“, sagt Sonne zur „Presse am Sonntag“. Tatsächlich liegt die Fehlerrate bei Thomas Jacobson und seinen knapp 50 Kollegen zehnmal niedriger als bei der Konkurrenz. Anfangs stieß Sonne mit seinem Konzept bei den Kunden dennoch auf große Skepsis.

Den Umgang mit Autisten nicht gewohnt, erwarteten viele nur billige, aber schlechte Arbeit. „Wir bieten weder billige Arbeitskräfte noch Beschäftigungstherapie. Wir machen einfach den besseren Job“, stellt der Unternehmer klar. Heute schicken Branchengrößen wie Microsoft oder Cisco Autisten auf die Suche nach Bugs in ihren Programmen.

„Ich mag die Routine“, sagt Jacobsen. Am besten er weiß im Voraus, was jede Sekunde des Arbeitstages bringen wird. Dann fühlt er sich wohl, dann bringt er auch seine beste Leistung.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich sein Arbeitsplatz bei Specialisterne in Ballerup, am Westrand von Kopenhagen, nicht von jedem anderen. Und doch gibt es Unterschiede. Die Telefone läuten selten, die Türen schließen leise, keine sozialen Codes müssen entschlüsselt werden, die Mitarbeiter wissen, was von ihnen erwartet wird. Im lärmenden Biotop eines Großraumbüros würden sie ihre Leistung nicht bringen. Hält man aber einige Grundregeln ein, könnten seine Mitarbeiter überall arbeiten, ist Sonne überzeugt. 70 Prozent der Arbeit von Specialisterne wird bei den Kunden vor Ort erledigt. Missverständnisse sind selten. Die Mitarbeiter beflügelt die Arbeit bei Specialisterne. Die meisten arbeiten halbtags, schließen Freundschaften, gewinnen Selbstvertrauen zurück. Vorher machten sie Beschäftigungstherapie. „Jetzt gehen sie stolz nach Hause und sagen: Ich teste Software für Cisco“, sagt Sonne.

Sozialprojekt oder Geschäft. Eine Frage wird dem Pionier auch heute noch immer wieder gestellt: „Was ist das nun: Ein Sozialprojekt oder ein Geschäft?“ Die Wahrheit? Es ist beides. Denn lange Jahre lebte auch der Däne ohne sich sonderlich um Chancen und Probleme von Autisten zu kümmern. Das änderte sich bald nach der Geburt seines jüngsten Sohns Lars.

„Er war drei, als wir bemerkten, dass er nicht mit den anderen Kindern spielt und immer weniger spricht.“ Wenig später kam die Diagnose: frühkindlicher Autismus. „Meine Frau und ich begannen zu überlegen, was unser Sohn tun wird, wenn wir nicht mehr da sind.“ Sonne realisierte: Für Menschen wie Lars gibt es so gut wie keine Chance auf einen Job. Ein Prozent der Europäer leidet unter Autismus. Nur jeder dritte Betroffene war je beschäftigt.

Vor sechs Jahren kündigte der IT-Manager schließlich seinen Job, nahm eine Hypothek auf sein Haus auf und gründete Specialisterne. Heute ist Lars 13 Jahre alt, ein Job scheint ihm sicher. „Ich wollte keine Firma gründen, in der mein Sohn einmal arbeiten kann“, betont sein Vater. „Ich wollte die Gesellschaft so verändern, dass er tun kann, was er will und am besten kann.“

Seit einigen Jahren kann sich Sonne vor Bewerbungen kaum erwehren. Da viele Autisten Schwierigkeiten haben, sich in Worten auszudrücken, greift der Unternehmer im Auswahlprozess gerne auf Lego zurück. „Mir wurde klar, dass sie ein Tool brauchen, mit dem sie sich sicher fühlen.“ Bei seinem Sohn waren das, wie bei vielen anderen autistischen Kindern, eben jene kleinen bunten Bausteine. So hätten die Bewerber die Chance, „auch mit den Händen von ihrer Persönlichkeit zu erzählen“. Das Team von Specialisterne kann wiederum feststellen, wie sie lernen, auf Frustration und Unterforderung zu reagieren. Fünf Monate dürfen alle bleiben, danach muss jeder Zweite wieder gehen.


Eine Million Autisten in Jobs. Mittlerweile hat der groß gewachsene Däne eine Menge Preise für sein Modell abgeräumt, das auch dank der Gemeinden funktioniert. Sie übernehmen die Hälfte der Gehälter, ersparen sich dafür aber teure Betreuungsprogramme.

Nun soll die Idee in die Welt getragen werden. Eine Million Autisten will Sonne weltweit in Jobs bringen. Bisher haben sich nur in Schweden und den Niederlanden Nachahmer gefunden. „Wir suchen auch in Österreich Unternehmer, die Lizenznehmer von Specialisterne werden wollen“, sagt Sonne. Mitte April spricht der Däne auf einem Kongress für „Social Entrepreneurs“ in Wien. Er ist sicher, in Österreich Menschen zu finden, die Ähnliches vollbringen können wie seine Mitarbeiter und er. An der Nachfrage mangle es trotz Krise nicht: „Die Welt braucht mehr Spezialisten.“ Was fehlt, ist wie so oft die Finanzierung.
www.specialistpeople.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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