Bus nach Hoffnung

Desert Bus - Bus nach Hoffnung
Desert Bus - Bus nach Hoffnung(c) Sega
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Als schlechtestes Videospiel aller Zeiten gilt "Desert Bus", eine realistische Simulation der Busfahrt von Tucson nach Las Vegas. Immerhin bringt es jetzt Hunderttausende Dollar für die Charity.

Das ist die Geschichte des schlechtesten Computerspiels aller Zeiten, eines ganz bezaubernden Fundraisers – und beinharter Selbstaufopferung. Sie beginnt im Jahr 1993, als die beiden Las-Vegas-Starmagier Penn & Teller und der TV-Serienproduzent Eddie Gorodetsky ziemlich frustriert über die öffentliche Diskussion waren, wie viel Gewalt im Fernsehen zu sehen sein sollte.

Generalstaatsanwältin Janet Reno hatte gerade Produzenten öffentlich gedroht, wenn sie nicht freiwillig Gewaltdarstellung im Fernsehen reduzieren würden, würde es die Regierung per Gesetz tun. Penn & Teller, essenzieller Teil des US-Entertainmentzirkus zwischen Los Angeles, San Francisco und Las Vegas, wollten dagegen subtil protestieren und ersannen ein Computerspiel, das ausschließlich die Realität abbilden sollte – in all ihrer unerträglichen Fadesse. Auf diese Weise wollten die Magier demonstrieren, wie elend es wäre, wenn Fernsehen und andere Medien nur echte Geschehnisse zeigen dürften – anstatt vieles zu übertreiben und zuzuspitzen.

Gemeinsam mit dem Softwareunternehmen Imagineering in New Jersey machten sich Penn & Teller an die Entwicklung eines Pakets von Spielen, „Penn & Teller's Smoke and Mirrors“ für die Sega-Konsole Genesis (bei uns: Mega Drive). 1995 entstand als Teil dieser Sammlung „Desert Bus“, das schon bald als schlechtestes Spiel aller Zeiten zweifelhafte Berühmtheit erlangen sollte.

„Desert Bus“ „simuliert“ in bunten 1990er-VGA-Bildern die Fahrt eines Greyhound-Busses von Tucson, Arizona, nach Las Vegas, eine simulierte Strecke von rund 400 Meilen quer durch die Wüste der südwestlichen USA. Der Spieler muss als Fahrer dafür sorgen, dass der Passagierbus nicht von der Straße abkommt. Eine Strecke, die schon in der Realität durch besondere Fadesse glänzt, führt sie doch durch Hunderte Kilometer völlig uninteressanten Ödlandes, unterbrochen nur von dem Highway-Kanal durch Phoenix und hübschen Joshua Trees.

Was schon so nicht besonders ansprechend klingt, wird noch verschlimmert durch die Bedingungen im Spiel. Der simulierte Bus ist völlig leer, die Szenerie immer gleich: Eine endlose Straße durch eine leblose, braun-orange Wüste ohne Hindernisse, nur ab und zu taucht am Horizont eine Steinformation oder ein Straßenschild auf, Verkehr gibt es keinen. Außerdem geht es nicht schneller als 45 Meilen pro Stunde, die Lenkung zieht immer leicht nach rechts (es braucht also ständige Konzentration, den Bus auf der Straße zu halten) und eine Pausenfunktion gibt es auch nicht. Der größte (und einzige) Gegner in diesem Spiel ist die Öde, der Drang, endlich abdrehen zu können oder einzuschlafen.

Wer zu oft von der Straße abkommt, wird mit einer lieblosen Darstellung der Visitenkarte eines Abschleppunternehmens („The Desert Never Sleeps And Neither Do We“) zurück zum Start gezerrt, wo das Ganze von Neuem losgeht. Für die Absolvierung der ganzen Strecke, also nach rund acht Stunden ungebrochener Langeweile, gibt es einen (einen!) Punkt für die High-Score-Liste. Das „New Yorker“-Magazin, das „Desert Bus“ dieser Tage ein großes Porträt gewidmet hat, bezeichnet das als „die teuerste Punktezahl der Videospielgeschichte“.

Ursprünglich hatten Penn & Teller geplant, allen Spielern, die hundert Punkte bei „Desert Bus“ erreichten, eine echte Fahrt in einem Greyhound von Tucson nach Vegas zu spendieren, komplett mit Showgirls und einer Liveband an Bord. Dazu kam es freilich nie: Noch bevor „Smoke and Mirrors“ veröffentlicht werden konnte, sperrte Imagineering zu. „Desert Bus“ war da allerdings schon fertiggestellt, und einige Rezensionsexemplare waren schon an Spielekritiker versendet worden.

Zum Glück. Ein solches Exemplar fand 2005 seinen Weg zu Frank Cifaldi, dem Betreiber des Blogs Lost Levels (www.lostlevels.org), auf dem er regelmäßig Spiele vorstellt, die nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben. Cifaldi schrieb einen Eintrag über das Spiel – und stellte eine Kopie davon als Torrent online.

Über diesen Umweg erfuhr eine Gruppe von Internetkomikern, LoadingReadyRun, von dem schlechtesten Spiel der Welt – und wie immer, wenn etwas wirklich Schlechtes in der digitalen Welt auftaucht, wurde „Desert Bus“ zum Kultobjekt. Einer der Komiker, Paul Saunders, hatte die Idee, „Desert Bus“ zu verwenden, um Geld für eine gute Sache aufzustellen. Im Herbst 2007 inszenierte die Gruppe erstmals „Desert Bus For Hope“, einen Live-Fundraiser, mit dem Geld für Child's Play gesammelt werden sollte – eine amerikanische Organisation, die Spiele und Spielzeug für Kinderabteilungen von Krankenhäusern zur Verfügung stellt.

Ödnis für den guten Zweck

Die Prämisse: Saunders und seine Freunde würden so lange „Desert Bus“ spielen (und das live über das Internet übertragen), solange Spendenzusagen hereinkämen. Der „Fahrpreis“ war mit einem Dollar für die erste Stunde angesetzt und stieg mit jeder Stunde um sieben Prozent – also 1,07 Dollar für die zweite Stunde, 1,15 für die dritte und so weiter. Nach zehn Stunden waren so 13,82 Dollar hereingekommen, nach vier Tagen schon mehr als 10.000 Dollar. Unterstützt wurde die Spendensammlung von einem Live-Comedy-Programm und diversen Versteigerungen.

„Unser Ziel war es, tausend Dollar aufzustellen“, zitiert der „New Yorker“ einen der Veranstalter. Es wurden 22.085 Dollar, je 500 davon von Penn & Teller, die sich überraschenderweise auch live in die Show einschalteten. In den folgenden Jahren wiederholte die Gruppe die Veranstaltung, die Zuseher wurden mehr, die Stargäste prominenter, und im vergangenen November stellte das sechste „Desert Bus For Hope“ 443.630 Dollar auf. Und das, obwohl Saunders feststellte: „Es ist, ganz ohne Zweifel, das mit Abstand schlechteste Videospiel, das ich jemals gespielt habe.“ Ein neuer Termin für „Desert Bus For Hope 7“ steht schon – die Tour beginnt am 16. November um 10Uhr pazifischer Zeit, übertragen wird und gespendet werden kann auf desertbus.org.

Wem das zu lang dauert – und wie könnte es nicht –, der kann „Desert Bus“ schon jetzt spielen und Gutes tun: Sowohl für iOS als auch für Android gibt es das 1995er-Spiel inzwischen als App zu kaufen. Sagen Sie bloß nicht, Sie wären nicht gewarnt worden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2013)

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