Von Grau zu "Wow": Wie das Web alles änderte

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In den Frühzeiten des World Wide Web dominierten noch graue Seiten mit viel Text das Bild. Vor 20 Jahren erschien mit Mosaic der erste Browser, der auch Grafiken in Internetseiten darstellen konnte.

Die Revolution kam am 21. April. Damals, im Jahr 1993, tauchte sie mit einigen unscheinbaren Worten über eine Mailinglist auf. Ihr Inhalt: Der Mosaic-Webbrowser ist freigegeben. Es war der Startschuss dafür, dass das Internet allmählich vom akademischen in den allgemeinen Alltag überwechselte. Und innerhalb weniger Jahre zum Massenphänomen wurde, dem man sich nicht mehr entziehen konnte.

Bis dahin war das Internet eintönig und textlastig gewesen. Doch mit dem Mosaic-Browser konnten erstmals auch Bilder direkt in der Seite angezeigt werden. Das eröffnete neue Darstellungsmöglichkeiten. Auf einmal wimmelte es nur so von Bildern im Netz. Dass dies zwei Jahrzehnte später dazu führen würde, dass eine Unzahl an mit witzigen Titeln verzierten Katzenbildern im Browser angezeigt wird, haben sich die Mosaic-Entwickler damals wohl nicht gedacht.

Damit man aber die neue Web-Darstellung wirklich genießen konnte, war ein Zusatzgerät notwendig: das Einwahlmodem. Mit Piepsen und Krachen verband es sich mit dem Internet und blockierte den Telefonanschluss. Einwählen musste man sich über verschiedene Provider – und bezahlt wurde nach der Zeit, die man online war. Und noch in Schilling. Es war jene Zeit, in der manchen Magazinen CDs mit Internet-Zugangsdaten beigelegt waren – ein paar Stunden gratis surfen. Damit die Telefonrechnung am Ende nicht ganz so hoch war. Denn den Eltern am Ende des Monats zu erklären, wieso es wieder so teuer ist, war immer wieder eine mühsame Angelegenheit. Pioniere haben es eben nicht immer ganz leicht.

Den großen Durchbruch für das World Wide Web brachten schließlich die ersten Breitbandanschlüsse. Der erste österreichische Anbieter war 1996 Telekabel, mittlerweile UPC. Interessenten telefonierten monatelang hinterher, wann denn ihr Bezirk unterstützt wird, bis sie endlich ein klobiges Modem anschließen durften. Dieses erste Modell vom Hersteller LANcity musste noch ein Metallgehäuse mit Kühlrippen nutzen, um nicht zu überhitzen. Im Winter konnte es locker als Fußwärmer dienen. Aber die Seiten im Browser luden ab diesem Zeitpunkt endlich in annehmbarer Geschwindigkeit. Und das Interesse für dieses neue Ding, über das man sich von daheim über alles in der Welt informieren konnte, wurde immer größer.

Das Internet schaffte vor allem eines: Es öffnete die Schleusen für Informationen aller Art für jedermann. Dinge in einem Lexikon nachschlagen? Wozu, im Internet ging es viel komfortabler. In den Plattenladen pilgern, um nach neuen Alben der Lieblingsband zu stöbern? Seit jede Gruppe ihre eigene Website hat, ist man ohnehin laufend informiert. Generell geht heute ohne eigene Präsenz im Internet fast gar nichts mehr. In den Anfangsjahren des Webs gab es vielleicht ein paar tausend Seiten. Heute, im April 2013, gibt es fast 650 Millionen aktive Websites, zumindest nach Angaben des Online-Analyseunternehmens Netcraft. Google hat rund 45 Milliarden Seiteninnerhalb dieser Fülle an Websites für seine marktbeherrschende Suchmaschine indiziert.


Die Suche. Gut, am Anfang ging es noch nicht so leicht, denn so wirklich auf Knopfdruck war die Information da noch nicht verfügbar. Nicht einmal die vor Google beliebten Anbieter Yahoo! und Altavista existierten damals schon. Die einzige Chance, etwas zu finden, ohne die Adresse zu kennen, war die Nutzung der Suchmaschinen W3Catalog und Aliweb. Beide entstanden erst zwischen Ende 1993 und Anfang 1994. Die WWW-Pioniernutzer bewegten sich vornehmlich auf ihnen bekannten Websites oder tippten manuell Adressen ein, wenn sie eine neue entdeckten. Erst durch die Ankunft der Suchmaschinen wurde es möglich, wirklich alles zu entdecken, was es im Web gab. Und das war immer mehr.

Es waren digitale Inhalte, Bilder, Lieder, später auch Filmclips. Aber es war auch der Zugang zu physischen Waren: Auf einmal konnte man auch Dinge kaufen, für die man früher eine Flugreise machen hätte müssen. Gut, die Versandkosten aus den USA waren zum Teil horrend, aber was machte das schon – Schlagworte wie „fairer Handel“ und „Stützung der heimischen Wirtschaft“ waren in der frühen Ära des Internets sowieso kein Thema.


Das Sozialleben. Schon vor dem World Wide Web hatte es Bemühungen gegeben, Menschen in aller Welt miteinander zu verbinden. Sogenannte Bulletin Board Systeme (BBS) verbanden Nutzer per Modem direkt miteinander. In Österreich war Blackbox einer der Vorreiter, der 1992 seinen Betrieb aufnahm. Noch ehe es Foren im Web gab, konnte hier über Themen aller Art diskutiert werden. Der Erfolg des browserbasierten Internets bedeutete aber 1999 das Aus für das ursprüngliche System. Eine Webversion konnte sich nicht durchsetzen. Nach einem Relaunch 2010 wurde der Betrieb Ende November des Vorjahres endgültig eingestellt. Durch grafisch aufgepeppte Websites wurden zunehmend Diskussionsforen attraktiver, eine Entwicklung, die schlussendlich zur Schaffung von sozialen Netzwerken wie Facebook führte. Dort sind inzwischen mehr als eine Milliarde Menschen aktiv. Was waren das für spannende Momente, als man plötzlich mit Brieffreunden in Neuseeland einfach hin und her schreiben konnte. Ohne wochenlanges Warten. Und ohne Portokosten. Sich mit Menschen zu unterhalten, die teilweise tausende Kilometer entfernt waren, schuf eine Art Wir-Gefühl unter den Online-Pionieren, die seit ein paar Jahren mit dem Marketing-Etikett „Digital Natives“ ausgezeichnet werden.

Es war ein unschuldiges, vergnügliches Herantasten an die neuen Möglichkeiten. Über die Schattenseiten dachte man nicht allzu viel nach. Dass etwa nicht alles, was jemand in einem Forum erzählt, auch stimmen muss. Nicht einmal die Identität ist gesichert. Der vom Karikaturisten Peter Steiner schon im Juli 1993 für „The New Yorker“ geschaffene Spruch „On the Internet, nobody knows you're a dog“ (übersetzt „Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist“), illustriert mit zwei Hunden vor einem Computer, wurde zur geflügelten Warnung für alle, die sich erstmals in die Weiten des Webs hinaus wagten.


Die Schattenseiten. Insbesondere im Umgang mit anderen Menschen zeigte sich auch, dass Internetnutzer lernen müssen, mit all den verfügbaren Informationen umzugehen. Denn nicht immer hat der Austausch über diverse Plattformen positive Auswirkungen. Damals wie heute. Zuletzt musste sich etwas das beliebte Portal Reddit nach den Anschlägen auf den Boston-Marathon öffentlich entschuldigen. Über die Seite wurden fälschlicherweise mehrere Menschen als mögliche Täter ausgemacht, ihre Namen in voller Länge in die Welt hinausgejagt. Das Netz war so schnell geworden, dass es die Realität zu überholen schien.

Es ist alles schneller geworden, das Internet und unser Alltag. Und längst fühlt es sich nicht mehr exotisch an. So prickelnd wie damals vor 20 Jahren, als man sich erst langsam an diesen neuen virtuellen Raum herantastete, als das gedruckte Telefonbuch immer seltener aus dem Kasten geholt wurde, als das Briefpapier im Schreibtisch nicht mehr weniger wurde und als man es genoss, einfach ziellos durch diesen neuen Raum voller Möglichkeiten zu steuern. In dieser Zeit nach dem 21. April 1993, als das World Wide Web zu laufen lernte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2013)

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