Twitter: Börsenstar und Schlangengrube

Das Twitter-Logo an der New Yorker Börse.
Das Twitter-Logo an der New Yorker Börse.REUTERS
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Das Kursfeuerwerk nach dem Börsengang ist nur eine Seite von Twitter. Die Geschichte der Firma ist voll Verrat und Intrigen. In sieben Jahren hat sie drei Chefs verbraucht.

Seit dieser Woche ist es amtlich: Twitter ist nicht nur das Lieblingsspielzeug von (Möchtegern-)Promis, angehenden Revolutionären und Politikern auf Wählerfang. Twitter ist auch ein Börsenstar. An der New Yorker Wall Street schossen die Kurse nach dem Börsendebüt durch die Decke; am zweiten Tag rutschten sie ab, blieben aber deutlich über dem Ausgabekurs. Das sieben Jahre junge Unternehmen ist heute mehr wert als so mancher Industriegigant. Und das, obwohl die Firma bisher noch keinen einzigen Cent verdient hat.

Das alles ist freilich längst bekannt. Aber Twitter hat mehr zu bieten als 140 Zeichen Ruhm für jedermann und viel Platz für die Fantasie der Anleger. Twitter hat auch eine Gründungsgeschichte, die jeder brasilianischen Telenovela das Wasser reichen kann: Fast alle vier Gründer wurden irgendwann aus dem Unternehmen gedrängt. Jeder der bisherigen drei Firmenchefs wurde schon einmal gefeuert – und ist wiedergekehrt. Mit der offiziellen harmonischen Entstehungsgeschichte von Twitter hat das wenig zu tun. Aufgezeichnet hat diese „wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat“ der „New York Times“-Journalist Nick Bilton. Mit seinem gleichnamigen Buch hat der Amerikaner quasi einen Steilpass für Hollywood geliefert. Lang wird es nicht dauern, bis sich ein Regisseur des Stoffs annimmt.


Macht, Geld und Verrat.
Schon um die Frage, wer Twitter eigentlich gegründet hat, ranken sich etliche Mythen. War es Jack Dorsey, der Punk-Sunnyboy des Silicon Valley, der die ursprüngliche Idee für Twitter schon mit acht Jahren gehabt haben will, wie er der „Vanity Fair“ einmal erzählt hat? Oder war es Ev(an) Williams, der erste Geldgeber und Chef des gescheiterten Podcast-Projekts Odeon, aus dem Twitter entstanden ist? War es sein alter Freund und Mitstreiter Biz Stone? Oder war es der Programmierer Noah Glass, der den Namen für Twitter erfunden hat und als Erster aus dem kollektiven Gedächtnis der Firma gelöscht wurde? Die Antwort, die Bilton gibt: alle ein bisschen. Damals, als sie noch an einem Strang zogen.

Es war das Jahr 2006. Alle vier arbeiteten für den Podcast-Dienst Odeon, der nicht und nicht in die Gänge kommen wollte. Es war tatsächlich Dorsey, der als Erster die Idee ausgesprochen hat, stattdessen doch Menschen die Möglichkeit zu geben, jederzeit und überall im Netz zu verbreiten, was sie gerade tun. Gesagt, getan. „Just setting up my twttr“, lautete im selben Jahr noch der erste Tweet, geschrieben von Dorsey. Es war Frühjahr 2006, und das Nebenprojekt von Odeon war noch weit von einer Realisierung entfernt.

Und doch forderte es das erste Opfer: Odeon-Erfinder Noah Glass wurde von den anderen Mitgründern aus dem Unternehmen gedrängt, weil er den Medien zu früh über das neue Projekt erzählt hat. Schwer geknickt über den Verrat tauchte er unter und musste aus der Ferne erleben, wie Twitter offiziell gegründet wurde und Jack Dorsey als Erster den Chefsessel bestieg.

Allzu lange sollte die Ära Dorsey nicht dauern. Denn er hatte noch ein anderes Faible, das ihn mitunter mehr begeisterte als Twitter: die Mode. Er war beseelt von der Idee, seine eigenen Jeans zu entwerfen – und vernachlässigte dafür das junge Unternehmen, so der Vorwurf von Ev Williams: „Du kannst Mode machen oder Chef von Twitter sein. Aber nicht beides“, sagte er seinem Mitgründer 2008 – kurz bevor er ihn mithilfe der Investoren absägte – und selbst das Steuer übernahm.

Von da an waren die beiden erst einmal geschiedene Leute, und Jack Dorsey begann, den US-Medien seinen ganz eigenen Gründungsmythos zu erzählen. Einen, der ihn allein zum nunmehr verstoßenen Gründer von Twitter machte. Ganz wie damals Apple-Gründer Steve Jobs. Im Hintergrund bastelte er freilich längst an seiner Rückkehr. Zwei Jahre später ist es so weit. Mit Williams wird der zweite Gründer vom Thron gestoßen – er darf aber in der Firma bleiben. Offizieller Grund: Er vernachlässige den Ausbau der Infrastruktur, die notwendig wäre, um mit den steigenden Nutzerzahlen Schritt zu halten. Tatsächlich wird er Opfer einer Intrige von Dorsey, der sich dadurch wieder selbst zurück ins Twitter-Führungsteam bringt. Den Platz an der Spitze übernimmt jedoch der frühere Stand-up-Comedian Dick Costolo. Ganz einfach war es aber für den heute 50-Jährigen, den noch Williams als Vertrauten geholt hat, nicht: Noch in der Früh wird er offiziell gekündigt, nur um wenige Stunden später zum Chef ausgerufen zu werden, der er bis heute ist.


Twitter verbrennt Geld. Das Chaos der Gründerjahre verrät viel darüber, was Twitter ist. Noch bezeichnender als die Streitigkeiten ist jedoch, worin sich die vier Gründer meist einig waren: Sie wussten lange Zeit nicht so recht, was sie da eigentlich erfunden hatten. Als Twitter das erste Kaufangebot (heute lächerlich anmutende zwölf Mio. Dollar) von Yahoo bekommen hat, konnte niemand von ihnen wirklich erklären, was der Dienst denn nun leiste.

Mittlerweile haben die 230 Millionen monatlichen Nutzer den Gründern weitergeholfen: Twitter ist zum persönlichen Nachrichtenkanal geworden und zur Werbemaschine für Politiker, Firmen, Schauspieler und Journalisten.

An der Grundfrage hat sich aber wenig geändert: Die „Jungs von Twitter“, wie „Times“ die Gründer in ihrer Liste der hundert einflussreichsten Personen einmal nannte, wissen zwar, dass sie etwas Großes in Händen halten. Wie sie damit aber jemals Geld verdienen sollen, wissen sie nicht. Besser gesagt: wie das Unternehmen angesichts über hundert Millionen allein heuer verbrannter Dollar je Profit machen soll. Für sich selbst haben sie das Problem mittlerweile gelöst. Mit dem Börsengang scheffelten alle (außer Glass) zig Millionen Dollar. Am besten stieg Ev Williams aus: Er ist frisch gebackener Silicon-Valley-Milliardär.

Die Gründer

Jack Dorsey bestieg als Erster den Chefsessel von Twitter.

Evan Williams stieß Dorsey vom Thron.

Biz Stone ist Williams' alter Freund und Mitstreiter.

Noah Glass wurde früh aus dem Unternehmen gedrängt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2013)

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