Beziehungen sind alles – auch im Web 2.0

AP (Craig Ruttle)
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Internet. Millionen nutzen soziale Netzwerke im Web. Doch aus den Kunden Geld zu machen ist heikel.

WIEN. Wer heute Bekannte treffen will, braucht sein altes Adressbuch nicht mehr zu bemühen. Längst haben soziale Netzwerke im Internet diese Funktion übernommen. Vor einigen Jahren noch unbekannt, tummeln sich heute Millionen Mitglieder auf virtuellen Plattformen wie MySpace, Facebook oder StudiVZ. Das Prinzip dahinter ist denkbar einfach.

Jeder Benutzer legt ein persönliches Profil von sich an. Die Informationen sind fortan für alle anderen Mitglieder des Portals sichtbar. Wie offenherzig man dabei mit den eigenen Daten umgeht, ist eine persönliche Entscheidung. Ist das erledigt, macht man sich auf die Suche nach neuen Kontakten oder alten Bekannten im Netzwerk. Einmal geknüpft, lassen sich Freundschaften auf der Web-Seite auch über tausende Kilometer Entfernung problemlos pflegen. Neu gewonnene Freunde scheinen fortan auf der eigenen Profil-Seite auf. Das soziale Netz der Nutzer wird transparent.

Maßgeschneiderte Werbung

So weit, so gut. Doch wie wollen die Betreiber aus der Verwaltung von Beziehungen nun Geld machen? 60 Millionen Menschen sind alleine bei Facebook, einer der am schnellsten wachsenden Online-Plattformen, registriert. Konkurrent MySpace zählt über 220 Mio. eingetragene Kunden. Sie sind das Kapital der Kontaktbörsen des Web 2.0, die sich inzwischen zu milliardenschweren Unternehmen entwickelt haben. Denn jeder Benutzer hinterlässt hier eine große Menge an Daten, die von den Anbietern eifrig eingesammelt wird. Je jünger die Mitglieder, desto freigiebiger füllen sie ihre Profile mit persönlichen Vorlieben, Träumen und Befürchtungen. Der Traum jeder Marketingabteilung wird wahr: zielsichere Werbung ohne Streuverluste.

61 Mrd. Euro Werbepotenzial

In Ihrem Profil steht, dass Sie Krimis von Donna Leon mögen? Sie können sicher sein, dass Sie schon bald Werbung für den neuesten Fall von Commissario Guido Brunetti auf ihrem Profil finden werden. So soll es funktionieren, das „Behavioral Targeting“. In ihm steckt der Schatz, nach dem alle im Internet graben. Nach einer Schätzung des Medien-Experten Hendrik Speck ist jedes Mitglied eines sozialen Netzwerks rund 15 Euro wert. Die Werbewirtschaft hat bereits Witterung aufgenommen. Einer Studie von ZenithOptimedia zufolge, wird das Internet 2010 schon elf Prozent am weltweiten Werbekuchen verschlingen. Das wären umgerechnet 61 Mrd. Euro (heute sind es 36 Mrd.). Das Marktforschungsunternehmen E-Marketer rechnet alleine für soziale Netzwerke bis 2011 mit einem Potenzial von 2,45 Mrd. Euro.

Das weckt auch das Interesse großer Konzerne. Sie wollen mitnaschen und drängen auf Übernahmen. So kommt es, dass bislang nur die Gründer wirklich gut an den sozialen Netzwerken verdient haben. Vor wenigen Monaten hat Microsoft 240 Mio. Dollar (164 Mio. Euro) an den 23-jährigen Facebook-Erfinder Marc Zuckerberg überwiesen. Eine stolze Summe, doch damit konnte Bill Gates gerade einmal 1,6 Prozent an der virtuellen Plauderecke ergattern. Insgesamt wäre die Seite demnach 15 Mrd. Dollar (10,3 Mrd Euro) wert. Ähnliche Geschäfte, wenn auch in kleinerem Maßstab, spielen sich auch am europäischen Markt ab. 2005 gegründet, verkaufte der deutsche Anbieter StudiVZ seine rund vier Mio. Benutzer für kolportierte 85 Mio. Euro an den Holtzbrinck Verlag. Nun fordern die Eigentümer Rendite. Doch der Weg zu nennenswerten Einkünften mit den Web-Portalen ist hart. Denn viele Nutzer wehren sich gegen die gezielte Werbebewirtschaftung.

„Impotent – was nun?“

Vorsicht ist geboten. Denn zieht die Karawane weiter, ist das Kapital der Seite futsch. Im Versuch, die Grenzen des Vertretbaren auszuloten, wird leicht übers Ziel geschossen. Im Dezember 2007 landete Facebook mit einem System namens „Beacon“ eine Bauchlandung. „Beacon“ informierte die Freunde eines Mitglieds darüber, welche Bücher oder Kinokarten dieser gerade gekauft hat. Egal ob er sich nun „Excel für Profis“ oder den Bestseller „„Impotent – was nun?“ zugelegt hatte. 85.000 empörte Facebook-Kunden drohten, das Portal zu verlassen und brachten das umstrittene System zu Fall. Auch StudiVZ löste mit der Ankündigung, künftig Mobiltelefonnummern der Nutzer zu Werbezwecken verkaufen zu wollen, vor wenigen Wochen heftige Proteste aus. Die Idee ist wieder in der Schublade verschwunden. Trotzdem will Marcus Riecke, Geschäftsführer von StudiVZ, heuer mit „Werbung sortiert anhand von Alter, Geschlecht, Studienfach und Studienort“ rund zehn Mio. Euro erwirtschaften.

„Mehr Informationen als die Stasi“

Die Kritik am Geschäft mit den Kunden-Daten wird unterdessen zunehmend lauter. Der Digitale-Medien-Forscher Hendrik Speck stellt die Frage nach der sozialen Verantwortung der virtuellen Netzwerke. „Die haben mehr Informationen, als die Stasi je hatte“, sagt der Informatik-Professor der Fachhochschule Kaiserslautern. Der Wissenschaftler prangert an, dass soziale Netzwerke so handeln, als gehörten die Daten nicht länger dem Benutzer. Selbst nachdem ein Account gelöscht wurde, könnten die Daten weiterverwendet werden, kritisiert er.

AUF EINEN BLICK

Soziale Netzwerke sind Internetportale, auf denen sich Benutzer mit individuellen Profilen präsentieren können.

Hunderte Millionen Menschen pflegen hier ihre Freundschaften und knüpfen neue Kontakte. Ihre Daten und Profile sind der Schatz der Betreiber, der teuer an die Werbewirtschaft verkauft werden soll.

Web 2.0 umschreibt die Verwandlung der Internetnutzer von passiven Konsumenten zu aktiven Gestaltern der Inhalte im Netz. Die Benutzer selbst steuern Videos, Bilder und Berichte bei. Beispiele sind soziale Netzwerke, Video-Portale wie YouTube oder das Mitmach-Lexikon Wikipedia.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2008)

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