Datenschutzexpertin: "Die Stasi hatte nicht mal einen Bruchteil"

Datenschutzexpertin Sarah Spiekermann
Datenschutzexpertin Sarah Spiekermann (c) Stanislav Jenis
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Die Datenschutzexpertin Sarah Spiekermann sieht große Chancen in der Digitalisierung. Aber nur, wenn Missbrauch auch bestraft wird. Überwachung und die amerikanische Dominanz in der IT-Branche seien große Probleme.

Sie forschen zur Zukunft der Computer. Aber was ist denn die Gegenwart? Speziell im Bereich von Unternehmen.

Sarah Spiekermann: Sie haben heute eine immer stärker werdende Digitalisierung in sämtlichen Bereichen von Unternehmen. Selbst der Journalismus wird davon nicht verschont bleiben, wenn Bots (Computerprogramme, Anm.) irgendwann Ihre Artikel schreiben sollen.

Auf meinem Schreibtisch türmt sich bis heute das Papier ...

Das ist nicht sehr repräsentativ. Der Papierverbrauch ist in der Tat radikal zurückgegangen. Auch bei der Technik gilt das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen. Am Anfang der Digitalisierung – in den 1970er-Jahren – wurden zuerst Prozesse digitalisiert, die zuvor stark standardisiert waren. Maschinen haben diese Prozesse nur noch effizienter gemacht, sodass sich die Investments sofort gerechnet haben. Etwa beim Auszahlen von Gehältern bei riesengroßen Firmen. Es gibt Bereiche, in denen sie sofort große Vorteile haben. Aber es gibt auch den Punkt, an dem man sich fragt: Was soll der nächste Schritt bringen?

Was ist denn dieser nächste Schritt. Big Data, Industrie 4.0, Cloud?

Hinter Big Data und Industrie 4.0 verbergen sich viele Technologien, die über diese Schlagwörter verkauft werden sollen. Die eigentliche Technologie dahinter würden aber die Verbraucher und auch die meisten nicht technischen Manager gar nicht verstehen – es würde sie nicht wirklich interessieren.

Endet das nicht damit, dass alles und jeder von Industrie 4.0 und Big Data redet und niemand genau weiß, was damit eigentlich gemeint ist?

Das ist die zweite Seite der Medaille. Permanent werden neue IT-Marketing-Hypes geboren. Und jeder weiß, dass das Hypes sind, für die sich Investitionen erst mal nicht rechnen. Aber trotzdem wird die Wirtschaft durch Hypes enorm unter Druck gesetzt, sich damit zu beschäftigen – obwohl die Technologien dahinter oft noch gar nicht ausgereift sind und man besser die Finger davon lässt. Ich warte nur auf den Tag, an dem sie uns die Pink-IT verkaufen wollen.

Was ist denn das?

Das habe ich mir gerade ausgedacht. Genauso ein sinnloses Schlagwort wie Cloud, die Wolke, oder Big Data. Das bedeutet ja nichts anderes als „Viele Daten“. Jemandem zu sagen, wir haben da einen ganz tollen neuen Hype, und er heißt „Viele Daten“ oder „Wolke“ – wenn das nicht auf Englisch wäre, würde es niemand ernst nehmen.

Und „Viele Daten“, das ist auch nichts Neues. Das hat die Stasi schon vor Jahrzehnten erfunden, oder?

Das glaub ich nicht. Die Stasi hatte nicht mal einen Bruchteil von dem, was wir heute sammeln. Höchstens einen lächerlich kleinen Ausschnitt davon.

Gibt es da auch eine positive Perspektive?

Durch die Vielzahl von Daten bekommen wir einen nie da gewesenen Einblick in soziale, kulturelle und demografische Zusammenhänge. Oder auch in den Verlauf von Krankheiten. Oder Navigationsverhalten. Wenn man die Daten nutzt, um Bewegungsmuster und Krankheitsverläufe gemeinsam zu analysieren, und sie auch für die Wissenschaft verarbeitet, hat das schon ein enormes Erkenntnispotenzial.

Aber dann ist doch entscheidend, wer diese Daten hat. Wenn Sie von „wir“ sprechen, wen meinen Sie damit?

Da haben wir ein echtes Problem. Weil diese Daten heute zum größten Teil bei den amerikanischen IT-Unternehmen anfallen. Das sind Amazon, Google, Apple, Facebook – allesamt US-Unternehmen, die diese noch nie da gewesene Einsicht in das Verhalten von Menschen haben.

Wie groß ist diese digitale Kluft? Gibt es Bereiche, in denen Europa mithalten kann?

Von den 100 derzeit vielversprechendsten Start-ups kommen 50 Prozent aus Europa. Aber die Amerikaner kommen hierher und kaufen einfach Technologien auf, die mithilfe unserer Steuergelder entwickelt worden sind. Es ist nicht so, dass es in Europa keine Innovation gäbe. Aber die wird an der Wurzel gepackt, aufgekauft und im Silicon Valley integriert. Da müssen wir uns die Frage stellen, wie man Innovation, die hier entsteht, schützt.

Welche Rolle spielt da das geplante Freihandelsabkommen TTIP?

Das ist noch mal eine Riesengeschichte. Beim Lobbying sind die Amerikaner unglaublich gut. Dieses geplante Abkommen könnte beim Datenschutz ein Horror für die europäische Bevölkerung werden. Es gibt zum Beispiel eine große Diskussion um das Thema „Interoperabilität“.

Das sagt mir genau gar nichts.

Die Amerikaner verstehen unter Interoperabilität: Ich akzeptiere dich als Vertragspartner, anerkenne, dass du eine über die Jahrhunderte gewachsene Gesetzesstruktur hast, und du erkennst unsere Gesetzesstruktur an. Jeder macht weiter wie bisher. Das versteht die Obama-Regierung unter „Interoperabilität“ – es klingt erst mal harmlos. Aber in vielen Bereichen hat die EU viel höhere Gesetzesstandards. Und die Europäer sollten eigentlich auf adäquate Standards in Amerika drängen. Aber das wäre überhaupt nicht im Sinn der Amerikaner, weil deren Industrie heute in einigen Bereichen machen kann, was sie will.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

US-Versicherungskonzerne sammeln und kaufen bereits heute massenhaft Daten von europäischen Kunden. Sie könnten dadurch viel bessere Tarife auf dem europäischen Markt anbieten als europäische Mittbewerber, die nach in der EU herrschendem Recht nie so tief in die Daten reinschauen dürfen, wie das die Amerikaner längst tun. Und wenn die US-Versicherung weiß, dass Sie mit 80 Prozent Wahrscheinlichkeit an Krebs erkranken, dann wird sie Ihnen eine ganz tolle Versicherung anbieten, die alles abdeckt – nur keinen Krebs. Die europäische Versicherung kennt Ihre Daten nicht so gut und macht auf den ersten Blick ein schlechteres Angebot, in dem Krebs aber mitabgedeckt ist. Als Kunde kriegen Sie das gar nicht mit. Für europäische Unternehmen ein echter Nachteil. Das könnte ein Ergebnis von TTIP sein.

Die Sicherheitsexperten der europäischen Staaten müssen durch diese Dinge doch auch aufgeschreckt werden. Ich denke an den NSA-Skandal.

Einige vielleicht. Mir und vielen anderen war seit langer Zeit klar, was da eigentlich abläuft. Wir wussten nicht die Details und haben uns nicht träumen lassen, in welch totalem Ausmaß das Ganze stattfindet. Aber dass natürlich viele Geheimdienste versuchen, Frau Merkel abzuhören, das muss ja wohl jedem klar gewesen sein. Interessant ist aber, wie stark die Abhängigkeit der Europäer von den Amerikanern offenbar ist. Da hat sich unterhalb der offiziellen politischen und demokratischen Struktur eine Geheimdienstkooperation gebildet, die Teil des Bündnisses zwischen Europa und Amerika ist. Das hatte lang auch Vorteile, etwa im Kalten Krieg. Da haben wir uns wohlgefühlt. Dass heute vielleicht nicht 100 Prozent dieser Zusammenarbeit immer vorteilhaft für uns ist, weder politisch noch ökonomisch, das wird uns jetzt erst so richtig brutal bewusst.

Wie gehen Sie persönlich damit um? Haben Sie noch einen Google-Account oder schon ein abhörsicheres Handy?

Im Moment bin ich noch ein Mainstream-User. Aber ich will mich mit der nächsten Generation an Geräten sehr genau darüber informieren, welche Verschlüsselung und welche Einstellungen ich vornehmen kann. Der Konsument muss sich darüber Gedanken machen, wem er seine Daten und sein Geld gibt. Da haben auch die Medien eine große Verantwortung. Ich habe zum Beispiel angefangen, nicht mehr über Google zu suchen – sondern entweder bei Bing oder DuckDuckGo, wo meine Daten nicht gesammelt werden.

Was kann der Gesetzgeber tun?

Ich glaube, dass wir jetzt noch eine Chance haben, Technik besser zu bauen. Dass Handys auf Verschlüsselung ausgelegt und Gesetzesstandards angepasst werden. Dass verboten wird, dass irgendwelche Betreiber unsere Kontaktdaten abschöpfen. Wir können Technik so bauen, dass sie unsere Werte akzeptiert. Wir können Gesetze dazu erlassen und Technik produzieren, die viel mehr dem entspricht, was wir davon wirklich wollen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir können Daten anonymisieren, Kommunikation verschlüsseln. Immer, als Voreinstellung! Wenn das überall und immer gemacht wird, dann haben wir eine viel positivere Technik, als wir sie heute haben. Aber es braucht Gesetze, die die Betreiber überwachen und die Re-Identifikation von verschlüsselten Daten unter Strafe stellen. Ich rede nicht von Sanktionen. Ich rede vom Strafgesetzbuch. Das ist eine ganz andere Liga. Wir müssen Technik richtig bauen und diejenigen bestrafen, die die Gesetze brechen und die technischen Vorkehrungen umgehen.

Steckbrief

Sarah Spiekermann
leitet das Institut für BWL und Wirtschaftsinformatik an der WU Wien. Ihre Spezialgebiete umfassen Fragen zum Datenschutz und der ethischen Dimension von IT. Spiekermann berät unter anderem die EU-Kommission und die OECD. Sie sitzt auch im Verwaltungsrat der deutschen Stiftung Datenschutz – einem Bundestag und Politik beratenden Organ, das die Bundesrepublik 2013 gegründet hat.

Im Lauf des Jahres wird beim New Yorker Verlag Taylor & Francis ihr Buch „Ethical IT Innovation - A Value based System Design Approach“ erscheinen. Spiekermann hat rund 70 Artikel zu diesem und anderen Themen publiziert und mehr als 100 Vorträge gehalten. Etwa jenen zu ihrem Konzept der „Ethischen Maschine“, den sie bei der „re:publica 2014“ in Berlin gehalten hat – und der auch auf YouTube zu finden ist.

Veranstaltungshinweis

ist eine Kooperation von „Presse“, WU und Erste Group. Am 9.3. diskutieren Tatjana Oppitz, Generaldirektorin von IBM Österreich, und die WU-Professorin Sarah Spiekermann zum Thema „Digitalisierung der Wirtschaft – Chance oder Sackgasse?“. Es moderiert „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak.
diepresse.com/unplugged

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2015)

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