Unternehmenskultur: Die Blessuren der "Amazonians"

TOKYO Japan Amazon com Inc chief executive officer Jeff Bezos speaks during an interview in Tok
TOKYO Japan Amazon com Inc chief executive officer Jeff Bezos speaks during an interview in Tokimago/Kyodo News
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Ein Bericht der „New York Times“ schildert Amazon als familienfeindlichen, Denunziation und Mobbing schürenden Arbeitgeber. Amazon-Chef Bezos hält dagegen.

Seattle. „Ich glaube wirklich, dass jeder verrückt wäre, in einem Unternehmen zu bleiben, das so ist, wie es die ,New York Times‘ beschreibt. Ich weiß, dass ich so ein Unternehmen verlassen würde“, schreibt nicht etwa einer der erklärten Todfeinde von Amazon, sondern dessen Chef, Jeff Bezos, in einem E-Mail an seine Mitarbeiter.

Anlass ist ein ausführlich recherchierter Bericht der renommierten New Yorker Tageszeitung über die Unternehmenskultur des Onlinehändlers. Journalisten sprachen mit über 100 derzeitigen und ehemaligen Amazon-Mitarbeitern und zeichnen das Bild eines Unternehmens, das Mitarbeiter systematisch dazu antreibt, an ihre Belastungsgrenzen zu gehen, und das beinhart aussiebt, wenn jemand nicht so leistungsstark ist wie erwartet.

Diesmal geht es nicht um die Arbeitsbedingungen der Logistikmitarbeiter in den Verteilerzentren, sondern um Büroangestellte bis ins mittlere Management hinauf, die von einem besonders rauen Wind in den Fluren von Amazon berichten. Ein Mittel, um die Angestellten „anzuspornen“, sei etwa ein internes Feedback-Tool, mit dem man – anonym – die Arbeit der Kollegen kritisieren könne. Die Identität der Kritiker sei nur für die Vorgesetzten sichtbar, nicht aber für die Kritisierten.

Mitarbeiter würden auch dazu angehalten, die Ideen von Kollegen in Sitzungen gezielt zu hinterfragen. Amazon-Chef Jeff Bezos sei überzeugt, dass sich nur im dauernden Konfrontationskurs die besten Ideen durchsetzen könnten. An ihren Schreibtischen heulende Menschen seien ein gewohnter Anblick, berichtet ein Mitarbeiter.

Beistand vom Twitter-Chef

Nicht alle Aussagen der „Amazonians“ sind negativ. Manche schätzen es, von Amazon zu Bestleistungen angespornt zu werden. Einige betonen, dass sie in der Zeit bei Amazon sehr viel gelernt und ihre Karrieren dadurch entscheidend vorangetrieben hätten. Zudem sei es positiv, dass Jeff Bezos unnötige Bürokratie und starre Hierarchien ablehne – wodurch jeder Mitarbeiter für die wesentlichen Dinge freigespielt sei und sich überall einbringen könne. Dennoch zog der Artikel erwartungsgemäß einen Shitstorm nach sich. Beistand erhielt Bezos von einigen Kollegen aus der Tech-Branche. So meinte etwa Twitter-Chef Dick Costolo, die Aussagen der Mitarbeiter seien „eindeutig aus dem Kontext gerissen“.

Die Standards, die bei Amazon als Norm gelten, sind jedenfalls hoch: 80-Stunden-Wochen seien die Regel, berichten Mitarbeiter, dazu ständige Erreichbarkeit. Wer sich weigere, das zu leisten, erhalte schlechte Bewertungen und fliege letztendlich raus. Ein guter „Amazonian“ sei ein „Amabot“, werde eins mit dem System und so zuverlässig wie die Algorithmen, die den Kundenbedürfnissen hinterherspüren, sagt ein Mitarbeiter. Privatleben dürfe man da kein aufwendiges haben. Was passiert, wenn doch, schildern in der „New York Times“ etliche Betroffene.

So kommt eine Mutter zu Wort, die von den Kollegen (via oben erwähntes Feedback-Tool) unter Druck gesetzt wurde, weil sie ihre Arbeitszeit – in Absprache mit dem Chef – auf sieben bis 16.30Uhr vorverlegt hatte. Der Chef teilte ihr schließlich mit, dass er sie nicht halten könne, wenn die Kollegen der Meinung seien, dass ihr Arbeitseinsatz nicht hoch genug sei. Eine Frau mit Brustkrebs wurde in ein „Leistungssteigerungsprogramm“ eingeschrieben, da sie, wie ihr gesagt wurde, ihr „Privatleben offensichtlich daran gehindert habe, ihre Arbeitsziele zu erfüllen“. Väter berichten, sie würden dazu angehalten, weniger Zeit mit der Familie zu verbringen.

Hire-and-fire-Politik

Mit dieser Unternehmenspolitik schwimmt Amazon gegen den Strom. Tech-Firmen wie Google oder Facebook überbieten sich derzeit in Familienfreundlichkeit. So bietet Netflix seinen Mitarbeitern neuerdings bis zu ein Jahr bezahlten Elternurlaub an. Amazon zahlt Eltern nichts. All dies führt zu einer hohen Fluktuation von Mitarbeitern (Zahlen dazu gibt Amazon nicht bekannt).

„Amazon ist datengetrieben“, sagt die ehemalige Projektleiterin Liz Pearce, „und wird die Unternehmenspolitik von Hiring and Firing nur dann ändern, wenn die Daten sagen, dass das wirtschaftlich keinen Sinn hat.“ Und das tun sie offensichtlich nicht. (es)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2015)

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