Mega-Verschwörung um Kim Dotcom

Als die Welt noch heil war: Kim vor seiner Riesenvilla.
Als die Welt noch heil war: Kim vor seiner Riesenvilla.(c) Reuters (Nigel Marple)
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Hollywoods erklärter Feind Kim Dotcom kämpft vor Gericht gegen die Auslieferung in die USA. Nach Aufstieg und Fall des Internetpiraten in Neuseeland steht der nächste Akt der filmreifen Saga an.

Der schwere, schwarze Mercedes mit dem Nummernschild „KIM.COM“, der im Geschäftsviertel von Auckland parkte, transportierte nicht nur einen schweren, schwarz gekleideten Mann. Sondern auch einen schweren, schwarzen Stuhl. Zusammen mit seinem ergonomischen Ledersessel zog Kim Dotcom vergangene Woche ins Gericht ein. Den Spezialstuhl für seinen lädierten Rücken hatte der 41-Jährige juristisch durchgeboxt. Doch wie lang er darauf in Neuseeland verweilen wird, ist ungewiss. Nach mehr als drei Jahren und neunmaliger Vertagung hat der Abschiebungsprozess in die USA gegen den deutschen Internetmogul und seine drei Mitstreiter begonnen. Es könnte das letzte Kapitel der James-Bond-reifen Saga aus dem Südpazifik sein.

Der Aufstieg von KDC ist legendär: Als Kim Schmitz im Sozialbau von Kiel-Mettenhof mit seiner finnischen Mutter aufgewachsen, der Vater prügelnder Alkoholiker, die Familie zerbricht. Mit 18 wird der Hauptschüler durch Hacking zum Millionär und später wegen Computerbetrugs und einiger Insider-Geschäfte verurteilt. Er tritt als großkotziger Tausendsassa auf: Rennwagen, Models, Prasserei. Für die Computerbranche wie die Medien ist er Wunderkind und Hassfigur zugleich. Er setzt sich nach Asien ab, scheffelt Geld und trifft in einem Nachtklub in Manila seine zukünftige Frau, Mona, damals 19. Bei ihm Liebe auf den ersten Blick, für sie ein Leben in Luxus.

18 Luxuskarossen. Der Hedonist, der nie Alkohol und Drogen anrührt, wandelt sich zum Familienvater und sucht für seine drei Kinder ein Häuschen im Grünen. Er findet es in Neuseeland: eine 15-Millionen-Euro-Villa im ländlichen Coatesville. „Dotcom Mansion“ ist das prächtigste Anwesen im Land und stellt mit seinen Haupt- und Nebengebäuden, den Bodyguards und einem Fuhrpark aus 18 Luxuskarossen viele Hollywood-Villen in den Schatten. 50 Bedienstete kümmern sich um den Clan. Den Computerspielraum ziert eine überdimensionale Aufnahme des Hausherrn samt Gattin. Dotcom hält nach 702 Ballerstunden den Weltrekord von „Call of Duty: Modern Warfare 3“. Sein Arbeitsplatz ist ein Bett im Wert von 70.000 Euro, von Monitoren und verchromten AK-47-Lampen gesäumt. Von hier aus führt der Drei-Zentner-Mann seine Filesharing-Seite Megaupload, ein Dorn im Auge der Filmindustrie. Mit Musikgrößen wie Kanye West produziert er das Video „I Like Megaupload“, das 14 Millionen Mal angeklickt wird: Kims Stinkefinger Richtung Hollywood.

Wollten USA ihn im Land halten? Die meisten Nachbarn im betuchten Coatesville ahnen nichts von der Vorgeschichte des illustren Immigranten. Sie bekommen nur mit, dass er seine Schlitten über die Landstraßen jagt. 2009 wird Dotcom wegen 149 Stundenkilometern in einer 50-Km/h-Zone zu Bußgeld und sechs Monaten Fahrverbot verdonnert. Das Delikt holt ihn später ein und beschäftigt Spitzenpolitiker im Land, weil er es nicht auf seinem Antrag für die neuseeländische „residency“ angibt. Trotz seiner deutschen Vorstrafen, die verjährt sind, bekommt er die Aufenthaltsgenehmigung, da er zehn Millionen Neuseeland-Dollar investiert. Mysteriös bleibt, warum ihm die Genehmigung just an dem Tag erteilt wird, nach dem Premierminister John Key ein Treffen mit der Filmfirma Warner Brothers hatte, um die „Hobbit“-Verfilmung zu besprechen. Wurde der Staatsmann von amerikanischer Seite gebeten, den Mann im Land zu behalten, damit man ihn von dort ausliefern lassen kann?

Dotcom tritt als Wohltäter auf: Eine Million spendet er nach dem schweren Erdbeben an das zerstörte Christchurch. Der Stadt Auckland spendiert er ein Silvester-Feuerwerk. Deren Bürgermeister, John Banks, lässt er 2010 für seine Wahlkampagne 50.000 Dollar zukommen. Das wird Banks später zum Verhängnis, als er sich an die Summen angeblich nicht mehr erinnern kann.

Der eigentliche Skandal – oder die „Dotcomedy“ – beginnt am 20. Jänner 2012, als der Zweimetermann im Morgengrauen vom Tonstudio nach Hause kommt. Er ist bereits monatelang observiert worden, Codename „Billy Big Steps“. Eine vom FBI beauftragte 76-köpfige Spezialeinheit stürmt mit Maschinengewehren und Hubschraubern das Anwesen. Kinder samt Kindermädchen werden aufgescheucht, Mona Dotcom ist hochschwanger mit Zwillingen, ihr zutiefst verängstigter Mann versteckt sich hinter einem Pfeiler im Panikraum. Umstritten ist, ob dort in seiner Nähe eine abgesägte Schrotflinte lag. Und ob Premier Key erst kurz vorher von dem Zugriff gewusst hat, wie dieser behauptet, oder bereits 2010, wie Dotcom behauptet. Parallel zu der Razzia finden Untersuchungen rund um die Welt bei Megaupload-Mitarbeitern statt. Dotcoms Geschäftspartner Mathias Ortmann, Finn Batato und Bram van der Kolk sind gerade zu Besuch, um am nächsten Tag Kims Geburtstag zu feiern. Den verbringen sie allesamt in Untersuchungshaft. Der Vorwurf lautet: Copyright-Verletzung, Finanzbetrug, Geldwäsche. Die letzten beiden Delikte können eine Auslieferung rechtfertigen.

Für Neuseeland ist Kim Schmitz alias Dotcom noch ein unbeschriebenes Blatt. Eine spendable, größenwahnsinnige Figur wie ihn hat es im verschlafenen Vier-Millionen-Staat noch nie gegeben, und auch keinen solchen spektakulären Polizeigroßeinsatz, bis auf die Terrorfahndung gegen eine radikale Maori-Gruppe. Nach seiner Entlassung aus der Zelle schafft es der berühmt-berüchtigte Ausländer, sein Image vom Bösewicht umzukehren. In einem Fernsehinterview stellt er sich sympathisch und eloquent als Opfer der übermächtigen Krake Hollywood da: Er wolle nur ein ruhiges Familienleben Down Under“ führen – und ab sofort für alle Bürger gegen den Überwachungsstaat und die Kontrolle im Internet kämpfen. Big Kim gegen Big Brother. „Wir sind hier nicht nur am Geld interessiert“, proklamiert er, „sondern an der Wahrheit.“

Bündnis mit Linken. Ein skurriler Volksheld ist geboren. Neuseeländer lieben Underdogs und stoßen sich weder an der deutschen Vorgeschichte des Neuankömmlings noch daran, dass er in Thailand zur Persona non grata erklärt wurde. Dotcom steht unter Hausarrest, aber dort empfängt er jetzt Reporter und Showstars zu Schwimmbad-Partys. Politgrößen geben sich die Klinke in die Hand und sonnen sich im Glanz des mysteriösen Moguls. Der steigt aufs Showgeschäft um und nimmt mit Neuseelands Topmusikern ein Album auf. Sein fleischiges Konterfei grinst überdimensional von Aucklands Bussen, 320.000 folgen ihm per Twitter, seine Biografie erscheint. Als Protestfigur kommt Dotcom vor allem bei den Jungen gut an. Wenn er von der Bühne „Fuck John Key!“ skandiert, brüllen sie in Sprechchören mit. Was Schmitz in jungen Jahren in seiner Heimat verwehrt blieb, gelingt ihm am anderen Ende der Welt: Kim ist cool. Die PR-Ideen reißen die nächsten zwei Jahre nicht ab. Dotcom will nicht nur den America's Cup mitfinanzieren und Unterwasserkabel im Pazifik für seine neue Heimat verlegen, sondern gründet eine Partei. Die Internet Party verbündet sich mit der linken Mana Party – aus dem Überkapitalisten ist ein Robin Hood des digitalen Zeitalters geworden, der den konservativen Premier zum Feind erklärt. John Key muss sich inzwischen entschuldigen. Eine Untersuchung ergibt, dass Neuseelands Geheimdienst GCSB den „resident“ zu Unrecht abgehört und observiert hat.

Eins zu null für Dotcom. Doch sein poppiger Wahlkampf leidet bald unter Nazi-Gerüchten: Dotcom besitzt eine von Hitler signierte Kopie von „Mein Kampf“ und hat sich in der Vergangenheit mit SS-Helm fotografieren lassen. Aus seinem Umfeld dringen Stimmen durch, die ihn als narzisstischen Egomanen und Kontroll-Freak beschreiben. Ehefrau Mona verlässt ihn. In der Woche vor den Nationalratswahlen im September 2014 präsentiert Dotcom seinen Coup: „Moment of Truth“ heißt die Pressekonferenz, die die unlauteren Machenschaften von FBI und GCSB gegen ihn beweisen soll. An seiner Seite sitzt Journalist Glenn Greenwald, der Edward Snowdens Fall enthüllte. Auf einem Großbildschirm ist Julian Assange zugeschaltet. Doch der Aha-Effekt bleibt aus und Neuseeland von dem Spionage-Aufschrei seltsam ungerührt. Am Wahltag erzielt Internet-Mana gerade einmal 1,3 Prozent der Stimmen.

Anwälte ziehen sich zurück. John Key gewinnt die Wahl, der Stern seines erklärten Feindes sinkt. Dieser verliert das Anwaltsteam, das ihn umsonst betreut hat. Seine Kautionsauflagen werden verschärft, sein Besitz bleibt eingefroren, die neue Mega-Website wird von einem chinesischen Betrüger heruntergewirtschaftet. „Ich bin jetzt ein Paria“, gibt er Anfang 2015 zu.

Mehr als 30.000 Stunden Recherche hat die neuseeländische Justiz investiert, um Kim Dotcom in diesen Tagen den Prozess zu machen. Es geht nicht darum, ob er letztendlich schuldig ist, sondern ob die Vorwürfe reichen, um eine Auslieferung für einen Prozess in Virginia zu rechtfertigen. Staatsanwältin Christine Gordon fasste zum Prozessauftakt in einem langen Satz zusammen, woraus die Mega Conspiracy bestehe: „Die Beklagten waren Teil einer Verschwörung, bei der sie bewusst mit ihrer Website urheberrechtverletzendes Material angezogen haben, es bewusst erhalten haben, bewusste Schritte unternommen haben, um von diesem Material zu profitieren, und riesige Geldsummen erzielt haben, die sie dann eingesetzt haben in dem Wissen, dass das Geld unrechtmäßig erwirtschaftet wurde.“ Mehr als 90 Prozent der Inhalte auf Megaupload hätten gegen das Copyright verstoßen. Und die Betreiber hätten den Usern dafür Geld gezahlt – bis zu 50.000 Dollar insgesamt. 25 Millionen US-Dollar haben Dotcom & Co. durch Werbung verdient, 150 Millionen durch Abonnenten.

Der Beschuldigte sagte am ersten Tag der Anhörungen zu Radio New Zealand, dass er Angst vor den Supermächten habe, die ihn „zerquetschen“ wollen. Die Freundschaft zwischen ihm und seinen drei Compagnons habe gelitten. Im Gerichtssaal wurde aus der Masse der E-Mails und Skype-Nachrichten zwischen den Männern zitiert. „Wir sind hier die Piraten“, hatte Bram van der Kolk geschrieben. Und Kim Dotcom: „Irgendwann wird ein Richter davon überzeugt sein, wie böse wir sind.“
Das Verfahren kann noch mehr als zwei Wochen dauern. Dotcom glaubt, dass er nach wie vor illegal observiert wird. Verfolgt wird er in der Tat – von seinem Kamerateam, das ihn seit 18 Monaten begleitet. Egal, wie es ausgeht: Er macht daraus einen Film.

Aufstieg und Fall

Kim Dotcom. Als Kim Schmitz in Norddeutschland geboren, schuf sich der verurteilte Hacker mit dem Filesharing-Anbieter Megaupload ein Imperium und wurde zum erklärten Feind Hollywoods. Daneben machte er sich in seiner Wahlheimat Neuseeland als wunderlicher Wohltäter und Hedonist einen Namen. Nun eröffnete die neuseeländische Justiz nach drei Jahren Recherche den Prozess gegen ihn. Dieser entscheidet über seine Auslieferung in die USA. Kim und seinen Partnern werden Urheberrechtsdelikte vorgeworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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