"Die USA können ganzen Ländern das Internet abdrehen"

Nic.at-Geschäftsführer Richard Wein
Nic.at-Geschäftsführer Richard Wein(c) DiePresse.com (Daniel Breuss)
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Der Geschäftsführer der österreichischen Registrierungsstelle für Internet-Adressen plaudert im DiePresse.com-Interview darüber, wer die Fäden des Internets in der Hand hält und wann das WWW aus allen Nähten platzt.

Richard Wein im Gespräch mit DiePresse.com

Seite 1: Wann das Web aus allen Nähten platzt
Seite 2: Hat die Stadt Wien ein Vorrecht auf .wien?
Seite 3: "Google vergisst nie."
Seite 4: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum."

DiePresse.com: Es gibt immer wieder Berichte, dass das Web aus allen Nähten platzt. Gibt es künftig noch genug IP-Adressen?

Richard Wein: Es ist eine Tatsache, dass die IPv4-Adressen irgendwann zu Neige gehen. Unter Experten spricht man von bis zu zwei Jahren. Deshalb hat die IETF (Internet Engineering Taskforce) das IPv6-Protokoll entwickelt. Nun wartet alle Welt auf den Umstieg, aber keiner tut etwas, weil es einfach noch keinen wirtschaftlichen Druck gibt. In den nächsten zwei drei Jahren wird sich das meiner Meinung nach dramatisch ändern. Es gibt schon einige Tendenzen der Verknappung in einigen Regionen.

Wer müsste das in die Hand nehmen?

Im Prinzip alle Beteiligten am Internet. Angefangen von den Providern wie UPC, die Telekom bis hin zu den Hardwareherstellern, Softwareherstellern - Microsoft zum Beispiel. Die ICANN gibt Adressblöcke an sogenannte Regional Organisations - in Europa etwa RIPE in Amsterdam - die die Adressblöcke wiederum an Provider verteilt. Diese Blöcke sind natürlich weltweit nicht gleichmäßig aufgeteilt. Zum Beispiel Südamerika hat einen ganz geringen Anteil, die USA logischerweise den größten. Da gibt es jetzt bereits Schwierigkeiten, das gerecht aufzuteilen.

ICANN

Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers ist eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in Kalifornien, die auf Basis eines Vertrags mit dem US-Wirtschaftsministeriums die Verwaltung der Top Level Domains inne hat. Damit ist die ICANN defacto der US-Regierung unterstellt. Diese mächtige Stellung der USA bei der Verwaltung des Internets wird regelmäßig scharf kritisiert. Der Vertrag der ICANN mit dem Handelsministerium muss alle zwei Jahre erneuert werden. Im September 2009 ist es wieder so weit.

Ursprünglich waren ja auch Domains kostenlos. Kann es nun passieren, dass man auch für seine IP-Adresse bezahlen muss?

»"Man munkelt, die USA hätten dem Irak das Internet abgedreht."«

Richard Wein, Nic.at

Denkbar wäre es. Bei den Domains war es allerdings eine andere Entwicklung. In Österreich wurde die Domain .at auf Initiative der Universität Wien 1988 eingetragen. Der der heutige Informatik-Chef der Uni Wien, Peter Rastl, hat einfach ein E-Mail an Jon Postel (Mitentwickler des Internet-Vorläufers ARPANET, Anm.) geschickt, er möge die Domain eintragen. Das ist also äußerst salopp gelaufen. Man konnte sich damals gar nicht vorstellen, dass eine Privatperson eine Domain haben könnte. Erst wie der Universität Service und Verwaltung über den Kopf gewachsen sind, hat man begonnen Gebühren zu verlangen. Das war in ganz Europa ähnlich.

.tel, .hansi. Wieviele Top-Level-Domains (TLDs) braucht die Welt?

Schätzungen gehen ab 2010 von bis zu 2000 neuen TLDs aus. Ob das dann kommt, wird sich zeigen. Ich glaube, dass sich das sehr stark selbst regulieren wird. Vor allem in Hinblick auf die Preise, die man bezahlen muss, um eine TLD zu bekommen und sie dann zu betreiben.

Richard Wein
Richard Wein(c) DiePresse.com (Breuss)

Wie groß ist der Einfluss der USA durch die ICANN auf das Internet?

Rein theoretisch hat die USA die Möglichkeit, die ICANN zu beeinflussen. Sogar soweit, dass sie einzelne TLDs und damit Länder oder Regionen vom Internet abschneiden könnten. Man munkelt, das sei beim Irak passiert. Theoretisch ist diese Möglichkeit sehr groß. In der Realität nimmt das US-Wirtschaftsministerium relativ wenig Einfluss auf den Betrieb, aber sie könnten.

Vor kurzem haben Demokraten im Kongress gefordert, die ICANN für immer an die USA zu binden

Der Vertrag der ICANN mit dem Wirtschaftsministerium der USA läuft Ende September aus. Viele haben gefordert, die ICANN in die Freiheit zu entlassen. Die Hoffnung, dass die Regierung unter Obama liberaler reagiert als etwa unter Bush hat sich aber zerstreut. Natürlich hat die ICANN eine Machtposition - sie ist eine Art Regierung des Internets, aber ich glaube, es ist immer noch die beste Form.

Warum wäre eine internationale Lösung nach dem Modell der UNO keine vernünftige Alternative?

Weil bei der UNO Beschlüsse und Entscheidungen eine unglaublich lange und zähe Angelegenheit sind. Das Internet lebt aber von Geschwindigkeit und wenn die Verwaltung nicht in privater Hand gelegen wäre, wären wir heute nicht da wo wir sind. Sie sind es gewohnt, dass das Internet auch funktioniert, wenn Sie irgendwo in Thailand aus dem Flugzeug steigen. Das kann nur so sein weil man sich auch im letzten Winkel von Thailand an die selben Standards hält wie etwa in Wien. Dazu braucht es weder eine Regierung, noch Gesetze. Das würde mit einer UNO-artigen Struktur nie funktionieren, denn irgendjemand hat immer etwas dagegen.

Wenn die USA einzelnen Ländern aber tatsächlich das Internet abdrehen können ...

Die Frage ist, was die Alternative ist. Ich bin der Meinung, dass die Struktur bei ICANN gut ist, wie sie ist und dass sich das sehr bewährt hat. Natürlich gibt es Verbesserungspotential, aber ich glaube nicht, dass ein multinationales Gremium eine bessere Lösung wäre. Ich habe einmal eine UNO-Sitzung verfolgt - das ist ein Trara-Spiel (sic). Wenn irgendein kleines Land nicht will oder kann, geht das ganze nicht durch.

Sie haben keine Bedenken gegenüber einer US-Oberherrschaft bei der ICANN?

Ich würde mir wünschen dass der Vertrag in einer anderen lockeren Form fortgesetzt wird. Ich glaube aber, dass die jetzige Struktur der ICANN immer noch das Beste ist, was wir haben können.

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Richard Wein, Nic.at

Richard Wein ist seit 2000 Geschäftsführer der österreichischen Registrierungsstelle für Domains. Nic.at verwaltet die Daten aller Domains mit .at, .co.at und .or.at. Egal, wo die Domain angemeldet wurde. Die Nic betreibt auch die Meldestelle für Kinderpornografie Stopline und die nationale IT-Security-Stelle Cert.at.

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