Internet als gewaltiger Stressfaktor

(c) Bloomberg (David Paul Morris)
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Stress verursacht zahlreiche Krankheiten und Todesfälle. Er ist daher das Generalthema beim dritten Medicinicum Lech. Mittel gegen Stress sind unter anderem Petersilie, Hopfen, viel Liebe in der Kindheit und Achtsamkeit.

Mit Petersilie den Stress bekämpfen? Scheint möglich zu sein. „Petersilie aktiviert die Keimdrüsen und damit die Ausschüttung des Sexualhormons Progesteron. Progesteron aber stärkt den Vagus enorm, also jenen Teil des Nervensystems, der für Beruhigung und Regeneration zuständig und in Zeiten wie diesen stark geschwächt ist“, sagt Markus Metka, einer der führenden Pioniere auf dem Gebiet der Anti-Aging-Medizin. Mehr Tipps und Ratschläge, wie Stress vermieden und reduziert werden kann, verrät Metka demnächst beim Medicinicum Lech, einer Public-Health-Veranstaltung nicht nur für Ärzte, sondern vor allem interessierte Laien. Das Medicinicum steht heuer unter dem Motto „Stress – Fluch oder Segen?“ (siehe Kasten rechts unten). Auch Meditation, Baldrian, Johanneskraut, Quercetin (vor allem in Zwiebeln vorhanden), die Passionsblume und Rosenwurz stärken den Vagus. Hopfen tut es ebenso. Darf's also auch ein Glas Bier gegen Stress sein? Die Frage wird Metka in seinem Vortrag „Food for Mind & Mood, Gewürze und Kräuter gegen Stress“ am 9. Juli beantworten. Nur so viel sei dazu jetzt schon verraten: Nüsse sind ein ideales Futter für unser Gehirn. Metka: „Nüsse brillieren mit wertvollen Fetten wie Phospholipiden und Lecithin und liefern zudem wichtige Aminosäuren.“

Nüsse gegen Stress. Nüsse sind ob ihres hohen Gehalts an Magnesium und B-Vitaminen auch ideale Nervennahrung und können so einen kleinen Beitrag zur Stressbekämpfung leisten. „Stress ist heutzutage eine der wichtigsten Krankheitsursachen und der Killer Nummer eins“, betont Metka. Nicht nur, aber auch, weil er chronische Entzündungen verursacht, die in der Medizin silent inflammation genannt werden. Diese stillen Entzündungen tun anfangs nicht weh – wie etwa ein entzündeter Zahn – über die Jahre aber führen sie zu Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Alzheimer und vielen weiteren Krankheiten. Stress macht zudem schlaflos und depressiv, beschleunigt das Altern, kann zu Bluthochdruck und Rückenschmerzen führen, das Immunsystem schwächen und eine Neurodermitis auslösen. Nicht zuletzt beeinträchtigt negativer Stress die menschliche Leistungsfähigkeit. Und außerdem rauchen und trinken viele in Stresssituationen mehr, als ihnen guttut.

„Wir leben in einer gestressten, erschöpften Multi-Tasking-Gesellschaft, die sich in eine immer ärgere Stresshölle manövriert“, sind sich Metka und viele Stress-Experten einig. Und das, obwohl Arbeitszeiten kürzer geworden sind und Computer und Co. vielen das Leben erleichtern. Letzteres stimmt nur bedingt, denn gerade das Internet ist ein Stressfaktor par excellence. „Es birgt eine besondere Gefahr für die Gesundheit. Der Mensch kann nie und nimmer so viele Signale und Informationen verarbeiten wie die digitale Welt liefert“, weiß Metka. Arbeitsmediziner sprechen gar von einer neuen Zeitrechnung, dem Web-Jahr: Wer ein Jahr im Internet-Zeitalter „vernetzt“ arbeitet, zum Beispiel täglich mit überfüllten elektronischen Postfächern konfrontiert ist, setzt sich einer Belastung von drei traditionellen Arbeitsjahren aus. Doch schon die Jugend ist vom Internet-Stress betroffen. Manfred Spitzer, bekannter Gehirnforscher aus Deutschland, warnt in seinem Buch „Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ vor den Gefahren des digitalen Zeitvertreibs. Aufmerksamkeitsstörungen, Realitätsverlust, Depressionen gehörten zu den Folgen, und eben vermehrter Stress.

Stress ist ja nun per se nicht nur negativ. Eine akute Stressreaktion ermöglicht beispielsweise blitzschnelles Handeln in Gefahrensituationen. „Das Stresssystem ist ein Alarmsystem unseres Körpers. Es mobilisiert und maximiert in besonderen Situationen sehr rasch unsere geistigen und körperlichen Kräfte, sodass wir in der Lage sind, die Extremsituation zu meistern. Die Steuerung erfolgt dabei vor allem durch die Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin“, sagt Alfred Wolf. Der Stress-Mediziner, Endokrinologe und Leiter des Medizinischen Zentrums Ulm wird beim Medicinicum Lech das Thema „Was Stress ist und was er mit uns macht – Analyse des Killers Nummer eins“ behandeln.

Er macht uns – positiv gesehen – schneller und stärker, für Momente. Und das ist gut so. Wird daraus jedoch Dauerstress, macht er uns krank – manche schwer krank, einige aber bleiben auch bei Dauerbelastung cool und gesund. Wie das? Zum Teil, so Wolf, läge das in den Genen, zum anderen in der Kindheit. „Wer in der Kindheit Bindung, Nähe, Schutz, positive Zuwendung erfährt, von den Eltern Wärme und Herzlichkeit erlebt, der hat als Erwachsener eine bessere Stressresilienz.“ All jenen, die Stress krank macht, empfiehlt Fachmann Wolf: „Wehret den Anfängen.“ Nicht erst Hilfe suchen, wenn bereits jeder Telefonanruf nervt und jede Konfrontation mit dem Chef das Herz zum Rasen bringt. Anfangs könne ein guter Buchratgeber helfen, Wolf schwärmt von Büchern und CDs des Diplom-Psychologen Jens Corssen. Aber auch Meditation, Yoga, Neurofeedback oder progressive Muskelrelaxation nach Edmund Jacobson sind hilfreich.


In Zukunft: mehr Achtsamkeit. „Einer der wichtigsten Begriffe für die nächsten 20 Jahre ist laut Zukunftsforscher die Achtsamkeit“, betont Metka. Achtsamkeitsregeln stammen im Prinzip aus fernöstlicher Lebenseinstellung, die da sagt: Begehe alle Tätigkeiten mit großer Intensität, Liebe und Zuwendung. Wolf: „Das setzt aber voraus, dass ich nicht hundert Dinge gleichzeitig mache. Wenn ich frühstücke, dann frühstücke ich und schaue mir nicht nebenbei das Frühstücksfernsehen an, und wenn ich jogge, dann jogge ich und gehe nicht im Geist die nächste Arbeitswoche durch.“ Achtsamkeit schließt Multi-Tasking aus. Stichwort Joggen: Sport und Bewegung sind ideale Soldaten im Kampf gegen den Stress. „Dafür gibt es zahlreiche wissenschaftliche Beweise“, sagt Metka. Wer Stress mit körperlicher Aktivität reduzieren will, sollte sich allerdings selbst nicht stressen und sportliche Höchstleistungen anstreben. Sonst führt sich die gesunde Bewegung schnell ad absurdum.

FLUCH oder SEGEN

Das Medicinicum Lech richtet sich nicht nur an Ärzte, sondern auch und vor allem an interessierte Laien. Es findet heuer zum dritten Mal statt. Generalthema: „Stress, Fluch oder Segen. Gesund sein in hektischen Zeiten“, 7. bis 10. Juli, Lech am Arlberg.

Renommierte Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz werden vertiefende Vorträge halten. So wird Bestsellerautor und Philosoph Wilhelm Schmid über „Gelassenheit – Dauerbestseller – Warum?“ sprechen, der Kriminalpsychiater Reinhard Haller das Thema „Buddha statt Cipralex“ behandeln und Wolfgang Lalouschek, Leiter des Instituts Medical Couching, das Thema „Die Burnout-Gesellschaft – von Normalität zum Wahnsinn“ aufgreifen. Zusätzlich gibt es ein attraktives Rahmenprogramm. Infos: www.medicinicum.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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