Facebook stärkt seinen Dorfcharakter

Employees of Facebook march in annual NYC Pride parade in New York
Employees of Facebook march in annual NYC Pride parade in New York REUTERS
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Die Nummer eins bei den sozialen Medien ändert ihre Einstellung zum Newsfeed. Familiäres und andere private Beiträge sollen gefördert werden. Das dürfte vor allem zulasten digitaler Nachrichten im Netz gehen.

Wenn der Platzhirsch unter den sozialen Medien, der multinationale US-Konzern Facebook mit seinen weltweit fast 1,7 Milliarden Kunden, den Algorithmus zur Einspeisung von Nachrichten ändert, dann hat das enorme Auswirkungen auf das Geschäft. Wie The New York Times diese Woche meldete, soll Facebooks Newsfeed künftig eher jene Nachrichten fördern, die zum Beispiel zwischen Freunden erfolgen. Die Hinwendung zum Privaten bedeutet einen radikalen Wandel im Vergleich zur zuletzt üblichen Politik. Jahrelang, so die renommierte New Yorker Tageszeitung, sei die Firma von Mark Zuckerberg um Verleger aller Größenordnungen bemüht gewesen, habe sie dazu ermuntert, via Facebook ihre User-Zahl zu vergrößern. Nun erhielten diese bisherigen Verbündeten in den Medien einen Dämpfer.

Kommt jetzt ein neues Biedermeier im „Global Village“, weil ein Kommunikationsgigant den dörflichen Charakter betont, die ursprüngliche Idee, ganz einfach Menschen zu verbinden, wie sein Technikchef, Lars Backstrom, behauptet? Man will ja nichts Intimes verpassen! Ein Like für noch mehr Katzenbilder oder Glückwünsche an den Erbonkel statt harter News? Der Eindruck, dass man nostalgisch zurück zu den Wurzeln strebe, als Zuckerberg angeblich bloß ein digitales Netz unter Kommilitonen an seiner Universität in Harvard schaffen wollte, dürfte aber trügen. Es geht eher um Marktanteile.

Facebook ist dafür bekannt, seine Algorithmen immer wieder anzupassen. Man kann davon ausgehen, dass dies wie bisher zum optimalen Eigennutzen erfolgt. Das Magazin Wired befürchtet bereits eine Verengung der Interessen im Internet. Das hat eine gewisse Logik. Wer nur auf das getrimmt wird, was ihm ohnehin nahesteht, verliert dabei auch etwas an Offenheit. Ein Rückkoppelungseffekt ergibt sich – verstärkt wird so vor allem konsumiert, was die eigene Meinung bestätigt.

Besonders auf Medien, die nur digital verbreitet werden, kann die neue Politik des US-Konzerns verheerend wirken. Für rein werbefinanzierte Firmen ist die Präsenz in sozialen Medien wesentlich, sie sind besonders darauf angewiesen, im News Feed eine relevante Platzierung zu bekommen. Aber Facebook ist kein gemeinnütziger Verein, auch sein Gewinn hängt davon ab, wie oft, wie lang und wie viele User sich dort tummeln. Die Firma will, dass die Kirche im Dorf bleibt, in ihrem Dorf, nach ihren Geboten. Ihre Gläubigen sollen keinesfalls zu anderen Predigern im Netz überlaufen.

Man kann den Richtungswechsel sogar positiv sehen. Selbst Facebook hält seine Nutzer inzwischen für zu passiv! Sie beschränken sich offenbar zu sehr darauf, einen Großteil ihrer Nachrichten durch dauerndes Herumlungern im Internet beinahe zufällig zu beschaffen. Statt sich aber von (halb-)professionellen Videos, Fotos oder fremden Texten inklusive Werbung berieseln zu lassen, sollen die Kunden nun selbst mehr produzieren, sie werden dazu ermuntert, der virtuellen Gemeinschaft verstärkt Eigenes, Intimes zur Verfügung zu stellen – zu welchem Zweck auch immer. Als Motto könnte ein berühmter Satz von US-Präsident John. F. Kennedy beim Amtsantritt 1961 postmodern variiert werden: „Liebe Gemeindemitglieder, fragt nicht, was Facebook für euch tun kann – fragt, was ihr für Facebook tun könnt!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2016)

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