Digitalisierung: „Die Menschen wissen viel zu wenig“

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Österreich sei auf die anstehende Digitalisierung nicht vorbereitet, sagt Alexander Schuster, Österreich-Chef des chinesischen Netzwerkausrüsters ZTE. Wichtiger als neue Leitungen sei, endlich darüber zu reden, was auf uns zukommt.

Die Presse: Europa hat die erste Welle der Digitalisierung verpasst. US-Riesen wie Google und Amazon sind kaum einholbar. Jetzt steht die Digitalisierung der Industrie an. Sind wir diesmal besser vorbereitet?

Alexander Schuster: Was wir erleben, ist mehr als nur die Digitalisierung der Fabriken und Arbeitsprozesse. Auch Häuser, Autos, Kleidungsstücke werden jetzt mit dem Internet verbunden. Das geht viel tiefer, als wir heute glauben. Das Schlagwort Industrie 4.0 greift daher zu kurz. Auch Themen wie Gesundheit oder Sicherheit werden digital. Hier entsteht eine Gesellschaft 4.0 – und auf die müssen wir uns erst vorbereiten.


Woran mangelt es aus der Sicht eines Netzwerkausrüsters am meisten? An schnellen Leitungen, nehme ich an.

Nein, Österreich und Europa sind im weltweiten Vergleich bei der Infrastruktur durchaus fit. Was uns in der EU vor allem fehlt, ist ein rechtlicher Rahmen, damit die Nutzer und auch die Unternehmen genau wissen, was hier im Internet passieren darf und was nicht. Menschen müssen etwa sicher sein können, dass die europäische Regeln der Datensicherheit oder des Konsumentenschutzes auch dann gelten, wenn der Internethändler aus Kanada oder China kommt. Die Kommission macht sich schon seit Langem darüber Gedanken. Es ist an der Zeit, die Analyse zu beenden und zu einem Punkt zu kommen. Um die Infrastruktur mache ich mir keine Sorgen. Die kommt dann von ganz allein, weil die Kunden schnelleres Internet verlangen.


Deutsche Firmen warnen aber, dass die Leitungen nicht reichen, um die Arbeitsprozesse in großem Stil zu digitalisieren.

Wir sind – zumindest in Österreich – auf einem Stand, bei dem man sagen kann: Was heute verlangt wird, funktioniert. Wenn wir an morgen denken, an die Digitalisierung aller Lebensbereiche, dann sieht es anders aus. Es kommen ungeheure Datenmengen auf uns zu, die in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Das geht mit den vorhandenen Leitungen nicht.


Selbstfahrende Autos könnten in Österreich derzeit also gar nicht fahren?

So wie wir uns das vorstellen – in der Masse – würde es nicht funktionieren. Das Auto muss ständig, störungsfrei und ohne Verzögerung große Datenmengen aus dem Internet beziehen. Das beginnt bei Karten und geht weiter zu Steueranlagen und Warnanlagen. Wenn heute mehr Nutzer auf dieselbe Infrastruktur zugreifen, wird die Kapazität gedrosselt und die Leitung geteilt. Das darf dann nicht mehr sein. Selbstfahrende Autos brauchen eine eigene Spur ins Internet.

Die meisten Firmen schwärmen von der Digitalisierung, hört es sich doch nach neuen Geschäftsfeldern und Kostensenkung an. Arbeitnehmer scheuen das Thema eher. Sie fürchten um ihre Daten und Jobs.

Das stimmt, die Sorgen sind groß – und die Gefahr, dass tatsächlich mehr Jobs vernichtet als geschaffen werden, auch. Nämlich dann, wenn wir diese Revolution nicht mitgestalten, sondern sie nur geschehen lassen. Aufhalten werden wir den technologischen Fortschritt nicht können. Die Menschen wissen noch viel zu wenig über das, was auf sie zukommt. Alle müssen wissen, was eine Cloud ist, wo die eigenen Daten gespeichert werden, welche Anbieter welche Gefahren bergen. Natürlich können wir unseren Kindern Facebook einfach verbieten. Das hilft aber nichts. Besser wäre, sie verstehen, wo die Gefahren sind – und entscheiden sich dann selbst. Hier ist die Regierung gefordert, aber auch die Unternehmen. Es geht um Aufklärung in Schulen, Universitäten und in Unternehmen. Diese Diskussionen fehlen komplett und wir müssen sie jetzt starten, bevor der Sturm losbricht. Sonst haben wir bald ganz viel hyperschnelle Infrastruktur und neue Dienste im Land – und die Gesellschaft muss sich im Nachhinein daran gewöhnen.


Gibt es einen Bereich in Ihrem Leben, den auch Sie nicht digitalisieren wollen?

Ja, auch ich habe einen analogen Rückzugsbereich. Für mich ist das der Wald.


Es wird also keine 5G-Anbindung für den Wienerwald geben?

Natürlich kann auch der Wienerwald eine 5G-Anbindung haben. Es ist ja jedem Menschen selbst überlassen, ob er sie nutzen will. Jeder darf sein Handy abschalten, wann immer er will. Auch das müssen wir wieder lernen.

Zur Person

Alexander Schuster ist der Österreich-Chef des chinesischen Telekomausrüsters und Handybauers ZTE. Hauptkunden in Österreich sind die Telekom Austria und die ebenfalls chinesische Hutchison-Tochter „3“. Weltweit hat ZTE rund 70.000 Mitarbeiter. Einer der größten Konkurrenten ist der ebenfalls aus China stammende IT-Riese Huawei, der so wie ZTE einerseits Technik für die Telekombranche liefert und andererseits eigene Smartphones anbietet. Der breiten Masse ist das Unternehmen seit 2012 bekannt, als öffentlich wurde, dass die US-Regierung ZTE Industriespionage vorwirft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2016)

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