Und plötzlich im Auge des Shitstorms

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In Entrüstung mischen sich Argumente schnell mit Beleidigungen oder gar Drohungen. Im Umgang mit Kritik raten Experten zu „Ruhe und Authentizität“. Auch Klagen sind leichter möglich, als manche denken.

Innsbruck. Der Shitstorm. Eben noch war alles gut in der eigenen kleinen Internetwelt. Doch dann kommt ein böser Kommentar. Dann noch einer. Und viele, viele mehr. Ein Sturm zieht auf. In der öffentlichen Entrüstung im Internet mischen sich Argumente mit Meinungen, Beleidigungen, in schlimmen Fällen Drohungen. Plötzlich mitten im Shitstorm.

So gut wie alles hat Potenzial für die aggressive Welle, die nicht mehr zu kontrollieren ist. Egal, ob die Kritik objektiv berechtigt erscheint oder nicht. Rudi Fußi, wortgewaltiger PR-Berater, sieht Shitstorms „insgesamt überbewertet“. Die wichtigste Regel für Betroffene sei, „professionell, ruhig, cool damit umzugehen“. Und schnell das, was an Gegenwind kommt, einzuordnen. „Wie groß ist das? Wie ist meine Position dazu?“ Ein paar Einträge auf einer Facebook-Seite, die nicht der eigenen Meinung entsprechen, seien kein Shitstorm. Andererseits würden Unternehmen die Lage oft verschlimmern, weil sie gar nicht oder falsch reagieren. Denn die Kritik schwappt aus dem Internet oft auf herkömmliche Medien über.

Personalisieren – dazu rät Fußi im Umgang mit negativen Meldungen. „Wenn man schreibt, dass hier die Lisa vom Online-Team sitzt, die sich um die Sache kümmert, werden die negativen Meldungen weniger. Weil eine konkrete Person viel weniger beschimpft wird.“ Anschließend gelte es für ein Unternehmen, einen Krisenplan zu haben und diesen abzuarbeiten.

Kommunikationsexperten unterscheiden drei Rollen bei einem Shitstorm, die eine Firma oder eine Person einnehmen können. Den Täter (der sagt: „Mir doch alles wurscht!“), das Opfer (das sich beklagt, dass „alle so gemein sind“) und den Aufklärer. „Letztere ist natürlich die beste Rolle, wenn man das glaubwürdig macht und erklärt, was passiert ist. Ohne dass die Leute das Gefühl haben, sie werden auf den Arm genommen.“ Klare Kante zeigen, klare Sprache verwenden, dazu rät Fußi. Und er sagt auch: „In Wahrheit bleiben 99 Prozent dieser Shitstorms nicht in Erinnerung.“

Man sei in der Wahrnehmung von anderen Meinungen im Internet „arg sensibel“ geworden, empfindet Klaus Weise, Geschäftsführer der Serviceplan Public Relations in München. „Das hat natürlich auch mit dem Ton zu tun, der in schriftlicher Form negativ und aggressiv“ wahrgenommen werde. Gerade viele Firmen hätten mit der Kommunikation, die „durch das Internet viel direkter geworden“ sei, ihre Probleme. Hier gehe es auch um die Geschwindigkeit, mit der man auf ein Thema reagiere, erklärt Weise.

Abwehr von Angriffen – aber wie?

Laut dem Innsbrucker Medienrechtler Simon Tonini ist Wegschauen die falsche Cyberstrategie. „Ohne gezieltes Vorgehen gegen die Täter wird es immer noch schlimmer. Schon wegen der weiten Verbreitung solcher Diffamierungen ist angeraten, alles zu versuchen, diese einzudämmen.“ Die Möglichkeiten der Abwehr sind so breit wie die der Angriffe. So legitimiert die Freiheit der Meinungsäußerung beileibe nicht alles. Anwalt Tonini: „Ein weitverbreiteter Irrglaube. Die Grenzen sind rechtlich klar umrissen.“

Demnach beginnen sie schon bei der Verbreitung von unwahren Behauptungen über bestimmte Personen und erstrecken sich auf Beleidigungen, Verunglimpfungen und Verspottungen. Problematisch sind zudem auch Postings, die ohne Zustimmung des Betroffenen Informationen aus dessen Intim- oder Familienbereich offenlegen. So umfasst der Persönlichkeitsschutz die Würde und Ehre einer Person – und somit dessen Öffentlichkeitsbild.

Die weitverbreitete Unsitte, über Falschnamen im Internet aufzutreten, ist seit einiger Zeit ebenso ein Fall für das Strafgesetzbuch. Der Medienrechtler: „Wer Fake-Accounts verwendet und suggeriert, dass er eine andere Person sei, macht sich strafbar.“ Laut dem E-Commerce-Gesetz sind Portalbetreiber auch zivilrechtlich verpflichtet, Namen und Adresse des Account-Inhabers preiszugeben, wenn ein Betroffener ein rechtliches Interesse daran bescheinigt und die Daten für den Betreiber verfügbar sind.

Bei Google gibt es mittlerweile ein elektronisches Formular, in dem man rechtswidrige Inhalte bekannt geben und um Löschung ansuchen kann. Facebook agiere laut Tonini in dieser Hinsicht noch restriktiv. Ganz frische Urteile würden „eine leichtere Handhabe erhoffen lassen“. Sonst kann man gegen Beleidiger und Verfolger zivil- und strafrechtlich vorgehen.

Aus Diffamierung und Kreditschädigung oder aus der Veröffentlichung von intimen Informationen resultiert insbesondere ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch des Geschädigten. Zudem sind Schadenersatzansprüche denkbar. Auch die Veröffentlichung von Personenfotos kann kostspielig enden, wenn der Abgebildete verunglimpft wird. Üble Nachrede oder Verleumdung können auch zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen. Übrigens: Wer eine Person über das Internet beharrlich verfolgt und dessen Lebensführung stark beeinträchtigt, riskiert selbst schnell eine Stalking-Anklage. Tonini: „Das Problembewusstsein fehlt oft. Gerade deshalb sind die Beklagten dann meist verwundert, mit welchen Rechtsfolgen und Kosten sie konfrontiert sind.“

Serie: #RESPEKT

Die Serie #RESPEKT ist eine Zusammenarbeit der „Presse“ mit den Bundesländerzeitungen „Kleine Zeitung“, „Oberösterreichische Nachrichten“, „Salzburger Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“ und „Vorarlberger Nachrichten“. Analysen und Interviews widmen sich den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kommunikation. Dabei werden Themenbereiche wie Hass im Netz, Desinformation sowie Fake News erschlossen.

diepresse.com/respekt

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2017)

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