EU zahlt 300.000 Euro für Pro-Netzsperren-Lobbying

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zahlt 300000 Euro fuer(c) Daniel Breuss
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Um ihren Vorschlag für Internetsperren gegen Kinderpornos durchzubringen, bezahlt die EU Jugendschutzorganisationen. In Großbritannien wird bereits eine komplette Abhörung des Internetverkehrs getestet.

Seit Cecilia Malmström, Innenkommissarin der EU, ihren Vorschlag zur Einführung von Internet-Sperrfiltern gegen kinderpornografisches Material vorgestellt hat, arbeitet die Kommission fleißig daran, dass der Vorschlag Realität wird. Nach Angaben von Computerworld wurden 300.000 Euro an Jugenschutzgruppen in ganz Europa verteilt, um für den Netzsperren-Plan Stimmung zu machen. Unter anderem soll die European NGO Alliance for Child Safety Online (ENACSO) im Europaparlament direkt eine Lobbying-Veranstaltung abhalten, um Abgeordnete zu beeinflussen, für Netzsperren zu stimmen. Die Kommission will Organisationen wie ENACSO nutzen, um das Argument, die Zivilgesellschaft hätte kein Problem mit Netzsperren, durchbringen zu können. Ein krasses Gegenbeispiel dafür ist der deutsche Verein MOGIS (Missbrauchsopfer gegen Internetsperren). Er setzt sich vehement gegen die Sperrfilter ein und fordert die Löschung von Darstellungen von Kindesmisshandlung sowie mehr Prävention.

IT-Industrie hält sich bedeckt

Mittlerweile hat sich erstmals ein Vertreter der IT-Industrie offiziell zu den Plänen von Malmström geäußert. Ed Black, Präsident der Computer & Communications Industry Association (CCIA) nennt den Vorschlag einen Gefahr für die Offenheit des Internet. Seine Stimme verhallt derzeit recht einsam. Denn obwohl der CCIA Branchengrößen wie Google, Microsoft, Yahoo und AMD angehören, hat bisher noch keines der Unternehmen sich öffentlich getraut, Stellung zu beziehen. "Mit solchen Gesetzen wird das offene Netz mit 1000 Schnitten sterben", warnt Black. Die massive Zensur, die etwa China praktiziere sei nichts im Vergleich zu dem, was jetzt langfristig für Konsequenzen drohen könnten, würde Malmströms Vorschlag Gesetz werden.

Musiklobby froh über Kinderpornos

Erst kürzlich warnte der EU-Abgeordnete Christian Engström davor, dass Netzsperren der Unterhaltungsindustrie als willkommenes Mittel dienen, um Urheberrechtsfilter zu installieren. Ein Anwalt der Musiklobby IFPI soll laut Engström schon 2007 bei einer Veranstaltung gesagt haben, dass Kinderpornos "großartig" seien, da man über sie Politiker zur Einführung von Netzsperren bewegen könne. Sobald sich die Technik bei den Darstellungen von Kindesmisshandlung erfolgreich bewiesen hat, könne man sie auf andere Bereiche ausdehnen, so der Gedanke des Anwalts. Neben Engström warnen auch andere EU-Parlamentarier vor dem Plan, ebenso zahlreiche Bürgerrechtsgruppierungen. Ob es für sie aber eine Mehrheit im Parlament gibt, ist derzeit ungewiss.

Komplette Abhörverfahren in Testphase

In Europa blockieren bereits Großbritannien, Dänemark und Italien diverse Websites. Großbritannien testet derzeit sogar sogenannte Deep Packet Inspection (DPI). Dabei wird nicht nur untersucht, woher die Daten stammen und wann sie geschickt wurden, sondern der komplette Inhalte wird geprüft. Sie ist um einiges aufwendiger als andere Filterverfahren. Würden Staaten flächendeckend DPI für den gesamten Internetverkehr einsetzen, wäre das gleichzusetzen mit einer konstanten Abhörung aller Telefongespräche - und zwar der Inhalte, nicht wie derzeit üblich nur die Verbindungsdaten im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung. Im Einsatz ist DPI derzeit zwar schon in vielen Unternehmen und auch Ländern, allerdings wird die Technik noch nicht zur großflächigen Blockade von Websites oder direkter Zensur eingesetzt - abgesehen von China und dem Iran.

Deutschland setzt auf Löschen statt Sperren

Als einziges Land vehement gegen Netzsperren ausgesprochen hat sich bisher nur Deutschland. Hier war im Rahmen des heftig umstrittenen Zugangserschwerungsgesetzes geplant gewesen, über kinderpornografische Websites ein Stoppschild zu legen, um Täter abzuschrecken. Der Plan wurde (unter anderem wegen seiner Ineffizienz) auf Eis gelegt, die aktuelle Bundesregierung hat beschlossen, das Gesetz nicht umzusetzen. Stattdessen wird eine weit effektivere Methode verfolgt: Löschen statt Sperren. Sobald bekannt wird, wo sich kinderpornografisches Material befindet, werden die Provider ermittelt und dazu veranlasst, es zu löschen. Liegen die Server im Ausland, werden die entsprechenden Behörden informiert. Ein weiteres Land, das vom Netzsperren-Plan wieder Abstand nahm, ist Australien, wie Heise berichtet. Allerdings wird dessen Entscheidung kaum Einfluss auf die Entwicklung in der EU haben.

Österreichs Provider aktiv gegen Kinderpornos

In Österreich arbeitet die Vereinigung der Internetprovider ISPA mit dem Projekt Stopline aktiv gegen Kinderpornografie und Neonazismus im Internet. Werden entsprechende Websites entdeckt, kann man sie dort melden. Befindet sich der Ursprung in Österreich, wird ähnlich wie in Deutschland vorgegangen und der Inhalt entfernt. Für Quellen im Ausland werden die Daten an INHOPE, einen internationalen Zusammenschluss von 30 Ländern, der als Dachorganisation für Internet-Beschwerden gilt, weitergeleitet. Die EU selbst hat INHOPE bereits 1999 ins Leben gerufen, um den genannten Problemen Herr zu werden. Wie im Jahresbericht 2009 von Stopline zu sehen ist, stammt der Großteil des gemeldeten Materials aus den USA - die von den EU-Gesetzen nicht betroffen wären.

Sperren verhindern Misshandlung nicht

Zahlreiche Bürgerrechts- und Jugendschutzorganisationen wie MOGIS plädieren für mehr Prävention, anstatt das vorhandene Problem per Filter einfach auszublenden. Die Probleme sollten an der Wurzel angepackt und nicht erst Symptome über leicht zu überwindende Maßnahmen wie Netzsperren kaschiert werden, heißt es. Anders sieht das ECPAT Österreich, ein Verein der Teil einer internationalen Organisation ist und gegen Kinderpornografie, -handel und -prostitution kämpft. Die Organisation sieht Sperren als probates Mittel, um die Verbreitung des Materials zu stoppen. Allerdings nur im Rahmen eines Gesamtpakets, das auch Präventionsmaßnahmen inkludiert. Eines steht aber fest: Das Problem der Kindesmisshandlung beginnt nicht im Internet. Dort offenbaren sich nur ihre erschreckenden Auswüchse.

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