ACTA: Die Revolte der Generation Download

ACTA Revolte Generation Download
ACTA Revolte Generation Download(c) AP (Matej Leskovsek)
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Seit Wochen protestieren in ganz Europa Zigtausende gegen das strittige Anti-Piraterie-Abkommen Acta. Droht nun tatsächlich das Ende des freien Internets, oder geht es nur um lieb gewonnene Gratis-Downloads?

Es ist eine Schreckensvision von Europas Zukunft, die derzeit auf den Straßen des Kontinents verbreitet wird: An den Grenzen stehen demnach bald Beamte, die Laptops und Smartphones nach illegal aus dem Internet gesaugter Musik durchstöbern. Wer öfter als zwei Mal beim Download urheberrechtlich geschützter Werke erwischt wird, muss seine E-Mails künftig im nächsten Kaffeehaus schreiben. Internetprovider spähen als zwangsverpflichtete Vollstrecker der Film- und Musikindustrie ihre eigenen Kunden aus und erklären Teile des Internets auf Zuruf Hollywoods zur Sperrzone. Schuld daran ist Acta. So steht es zumindest auf den Plakaten zigtausender junger Europäer, die derzeit gegen den Pakt auf die Straße gehen.

Die Empörung über das internationale Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produktfälschungen und Onlinepiraterie ist mittlerweile so groß, dass etliche EU-Staaten die Ratifizierung wieder auf Eis gelegt haben. Selbst die EU-Justizkommissarin Viviane Reding will nun lieber erst vom Europäischen Gerichtshof geprüft wissen, ob das Abkommen nicht doch gegen Grundrechte der EU-Bürger verstößt. Gegen Acta sein ist neuerdings chic. Das gilt selbst für Politiker, die das Vertragswerk vor wenigen Wochen noch bedenkenlos unterschrieben haben.

Doch ist die Aufregung gerechtfertigt? Sind die Proteste der notwendige Bürgeraufstand gegen den – in dunklen Hinterzimmern ausgehandelten – Startschuss zur Internetzensur? Oder ist es doch nur die Revolte der Generation Download, die um ihre lieb gewonnene – aber auch heute schon illegale – Gewohnheit fürchtet, für Filme und Musik im Netz nichts bezahlen zu müssen?

Zensur durch die Hintertür? Eines vorneweg – Acta bringt auch Gutes mit sich: Wer könnte schon gegen besseren Schutz vor lebensgefährlichen Medikamentenfälschungen sein? Und auch das umstrittene Kapitel, das die Durchsetzung der Urheberrechte im Internet regelt, ist längst nicht mehr so scharf formuliert wie in früheren Versionen: So sind etwa routinemäßige Durchsuchungen von Laptops an den Flughäfen bereits seit mehreren Verhandlungsrunden vom Tisch.

Hintertür für Zensoren. Für die Gegner des 51 Seiten schlanken Pakts macht das keinen Unterschied. Sie fürchten dennoch, dass Acta Zensoren die Hintertür ins Internet öffnen könnte. Ein Dorn im Auge ist ihnen vor allem der Artikel 27 des Abkommens. Darin steht geschrieben, dass alle Vertragsstaaten (das sind neben der EU vor allem die USA und Japan) die nationalen Internetprovider zu einer erfolgreicheren Zusammenarbeit mit Rechteinhabern drängen sollen. Beschwert sich etwa ein Filmstudio bei einem Internetanbieter, dass einer seiner Kunden eben das jüngste Machwerk des Studios illegal heruntergeladen hat, wäre der Provider verpflichtet, die Kundendaten ohne richterlichen Beschluss herauszugeben. Wollen die Internetanbieter auf Nummer sicher gehen, könnte diese Kooperation aber auch so weit führen, dass sie ihren Kunden den Zutritt zu bestimmten Teilen des Internets gänzlich verbieten.

Generelle Sperrzonen wären dann wohl bald jene Ecken im Netz, wie Kim Dotcom sie geschaffen hat. Der selbst ernannte König der Internetpiraten ist der Gründer von Mega-Upload, einer Tauschbörse, die erst kürzlich vom FBI geschlossen wurde. Tatsächlich gelten diese sogenannten Filehoster als Hauptumschlagplätze für digitale Raubkopien. Von der Sperre betroffen wären Nutzer aber auch dann, wenn sie dort nur ihre Urlaubsfotos mit Nachbarn teilen wollen. Angesichts der schwammigen Formulierung im Acta-Text gehen die Befürchtungen noch weiter: Wird es künftig schon verboten sein, wenn Jugendliche ihr Lieblingslied auf YouTube nachsingen? Oder kommen sie erst dann mit dem Gesetz in Konflikt, wenn sie aus (urheberrechtlich geschützten) Videoschnipseln neue Werke kreieren?

Beschlossen vom EU-Agrarrat. „Niemand muss Angst haben“, beruhigt das heimische Justizministerium. Das Urheberrecht dürfe zwar auch im Internet „nicht sanktionslos gebrochen werden“. Konsumenten würden aber auch nach Acta nicht kriminalisiert werden. Im Grunde würde das Abkommen nur die bisher geltende Gesetzeslage bestätigen. Im Visier seien ausschließlich jene, die sich aus digitalem Diebesgut ein einträgliches Geschäft gemacht haben. Betrifft Acta also nur Menschen wie Kim Dotcom?

Zumindest in einem Punkt gibt es mit Sicherheit Entwarnung: Internetprovider können in der EU nicht dazu gezwungen werden, ihre Kunden dauerhaft zu überwachen. Das hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil vom vergangenen November unmissverständlich festgehalten.

Selbst wenn nicht alle Horrorszenarien rund um Acta reale Gefahren sind, wichtig sind die lautstarken Proteste der Netzaktivisten in jedem Fall: Denn die Verhandler selbst haben sich mit ihren Ergebnissen nicht unbedingt ins Rampenlicht gedrängt. Im Gegenteil: Seit 2007 feilschten die USA, EU, Japan und weitere Staaten hinter verschlossenen Türen mit Lobbyisten der US-Unterhaltungsindustrie um das Regelwerk. Ebenso lautlos nickte der EU-Agrar- und Fischereirat Acta kurz vor Weihnachten ab. Die Verhandlungsprotokolle sind bis heute nicht öffentlich. Am 26.Jänner schickten 22 EU-Länder, darunter auch Österreich, ihre Botschafter in Japan zur Unterzeichnung des Vertrags. Auch wenn vertrauliche Verhandlungen auf dem internationalen Parkett üblich sind, brandmarkt die Netzgemeinde sie als „undemokratisch und intransparent“ – und die Politiker hören zu. Reihenweise stoppen Regierungen die Ratifizierung des Vertrags, fühlen sich plötzlich selbst nicht gut informiert, wissen nicht, was sie unterschrieben haben.

Die Themen einer Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, sind im Mainstream angekommen. Mit ihnen auch die Frage: Können Gesetze aus der „alten Welt“ problemlos auf das Internet übertragen werden? Paradebeispiel – der Dauerbrenner Urheberrecht. Im Internet ist geistiges Eigentum Freiwild, klagen die Rechteinhaber. Da Bücher, Musik und Filme digital leicht kopiert und im Internet von jedermann verbreitet werden können, bangen sie um die Möglichkeit, mit ihren Werken weiter Geld zu verdienen. Viele Staaten hören diese Sorge und mühen sich, das Internet stärker zu regulieren: Acta ist nicht der einzige Vorstoß, Onlinepiraterie zu stoppen. Erst vor wenigen Wochen streikten Internetgrößen wie Wikipedia gegen drohende Netzsperren in den USA. Frankreich dreht seinen Bürgern nach dem dritten illegalen Download das Internet schon heute ab.

Digitale Erfolgsstorys. Doch all die Statistiken, mit denen die Musik- und Filmwirtschaft ihre Verluste durch illegale Downloads greifbar machen möchte, stoßen bei den Netzaktivisten auf taube Ohren. Ein Internet ohne vollkommen freien Datenaustausch können und wollen sie sich nicht mehr vorstellen. Das störende Urheberrecht erklären sie in seiner heutigen Form einseitig für tot und drängen die Industrie, längst veraltete Geschäftsmodelle einfach zu ändern.

Neue Chancen für Unternehmer bietet das Internet zuhauf. Bis heute steckt der Aufbau von legalen Film- und Musikangeboten im Internet noch in den Kinderschuhen. Dass es der Industrie gut tut, das World Wide Web nicht als Feindesland zu betrachten, beweist das Beispiel Apple. Während die alten Plattenbosse die ersten Nutzer von Musiktauschbörsen mit Klagen bekämpften, entwickelte Apple mit iTunes eine Software, die den Kauf von digitaler Musik so bequem wie möglich machen sollte. Heute ist Apple der größte Musikhändler im Netz.

In welche Richtung es weitergeht, haben die Staaten in der Hand: Ziehen sie zum Schutz alternder Geschäftsmodelle die Rollbalken im Internet herunter? Oder vertrauen sie darauf, dass ein freies Netz doch mehr Nutzen bringt?

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement
ist ein 51 Seiten starkes Abkommen zur besseren Bekämpfung von Produktpiraterie, Fälschungen und Verstößen gegen das Urheberrecht im Internet. Seit 2007 verhandelten die Europäischen Union, die USA, Japan, Australien, Kanada, Südkorea, Mexiko, Neuseeland, Singapur, die Schweiz sowie Marokko über Acta. In der EU wurde es bisher von 22 Staaten unterzeichnet – etliche zögern jedoch mit ihrer Unterschrift. Bevor Acta in Kraft treten kann, müssen das EU-Parlament und alle nationalen Parlamente das Abkommen ratifizieren. Eine Abstimmung des EU-Parlaments ist für den Sommer geplant. Neue Proteste werden am 25. Februar erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2012)

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