Deutsche Piraten entern die Parlamente

(c) REUTERS (THOMAS PETER)
  • Drucken

Für die Piratenpartei ist Acta ein gefundenes Fressen. In Umfragen steht sie bei sieben Prozent. Doch abseits der Internet-Gewässer findet ihre „Schwarmintelligenz“ keinen Kurs.

Berlin. Die Piraten der Bundesrepublik können sich zufrieden die Hände reiben. Die Aufregung um Acta liefert ihnen eine Steilvorlage, die sie ohne viel Mühe verwerten. Brüssel und Berlin haben ihnen ihre ureigensten Themen auf dem Silbertablett serviert: Die freie Nutzung des Internet ist in Gefahr, im Netz droht die Zensur, Provider werden zu Richtern ernannt – und das alles ist einem höchst intransparenten, undemokratischen Entscheidungsprozess zu verdanken. Was auch immer an den Vorwürfen dran ist: Sie stehen im Raum, und die Piraten haben darauf klarere Antworten als alle andern Parteien.

Freilich: Der Aufruhr kommt aus dem Netz und hat seine eigene Dynamik. Die zehntausenden, meist jungen Menschen, die heute schon zum zweiten Mal die Innenstädte füllen, um gegen das Abkommen zu protestieren, haben nicht auf die Einladung der Piraten gewartet. Aber die Neopolitiker können sich glaubhaft an die Spitze der Bewegung stellen. Etwas Besseres hätte der 2006 gegründeten Partei kaum passieren können.

Was sich auch an der Zustimmung zeigt: In Umfragen liegt die basisdemokratische Bewegung bei komfortablen sieben Prozent. Seit sie im Vorjahr in Berlin fast neun Prozent erzielt hat und erstmals in ein Landesparlament eingezogen ist, hat sich die Mitgliederzahl auf 21.000 mehr als verdoppelt (ihr Durchschnittsalter ist 31 Jahre). Bei den bevorstehenden Wahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein hat sie gute Chancen.

„Viele, viele Millionen Schulden“

Fast erschrocken wirkt darob Torge Schmidt, der etwas unbeholfene Spitzenkandidat für den Kieler Landtag: „Wir müssen uns darauf einstellen, einzuziehen.“ Die Piraten segeln im Kielwasser der vom Weltgeschehen herbeigespülten Themen – wie sich in Berlin zeigt: Obwohl die junge Fraktion mehr durch kleine Skandale als durch inhaltliche Akzente in der Stadtpolitik auffällt, hat sie in den Umfragen mit 14Prozent bereits die „Linke“ überholt.

Dennoch sind die Zweifel berechtigt, ob der Hype bis zur Bundestagswahl in eineinhalb Jahren anhalten kann. Das Menetekel der Brüder aus Schweden ist allgegenwärtig: Sie sind nach spektakulären Anfangserfolgen in der Versenkung verschwunden. Denn abseits von Urheberrecht und digitaler Welt fällt den Piraten nicht viel ein – weder den Parteispitzen noch der viel beschworenen „Schwarmintelligenz“ der Mitglieder im Netz. Eine nachhaltige Energiepolitik gilt als Ziel, aber online streiten sich die „Anti-Atom-Piraten“ mit den rebellischen „Nukleariern“. Legendär ist die Ahnungslosigkeit in wirtschaftlichen Fragen, die manche geradezu stolz vor sich hertragen. Auf „viele, viele Millionen“ bezifferte der Berliner Spitzenkandidat Andreas Baum den Schuldenstand der Hauptstadt vor der Wahl. „Unsere Mitglieder und Zielgruppen sind weit weg vom wirtschaftlichen Feld, wir haben da wenig Expertise“, gesteht Parteichef Sebastian Nerz mit entwaffnender Offenheit.

Die Weisband-Lücke

Die Eurokrise, die Schicksalsfrage Europas, will er als gefährliche Klippe gleich ganz umschiffen: Seine persönliche Meinung sei „völlig irrelevant“, und die Basis habe sich die ihre noch nicht gebildet. Man mache jetzt „Wirtschaftsschulungen“, um sich auch beim Euro einmal gut auszukennen. Aber das „würde auch erst 2013 genügen“, andere Parteien „tun sich ja auch schwer bei diesem komplexen Thema“. Und sie hatten Jahrzehnte Zeit, sich ein wirtschaftspolitisches Programm zurecht zu zimmern.

Mehr Eindruck macht da Marina Weisband. Doch die „politische Geschäftsführerin“ hat sich vor Kurzem von der Parteispitze zurückgezogen. Erst nach Abschluss ihres Studiums will sie nächstes Jahr wieder die Segel setzen. Eben noch jagte Weisband von Auftritt zu Auftritt, selbst ihr provisorischer Abgang löste noch eine Flut von Interviews aus. Das liegt nicht nur daran, dass sie (zu ihrem Leidwesen) als die attraktive Vorzeigefrau einer Truppe von ewigen Computernerds gilt. Mit ihren Visionen ist sie auch die einzige Spitzenpiratin, die das Zeug hat, ihrer Partei über den Status einer Ein-Thema-Veranstaltung hinwegzuhelfen.

Politik nach dem Wikipedia-Prinzip

Je freier der Mensch ist, lautet ihr Credo, desto produktiver ist die Gesellschaft. Das Netz schaffe völlig neue Möglichkeiten, die Bürger mündig zu machen – vorausgesetzt, die Fülle an Informationen ist frei verfügbar und darf von allen geteilt werden. Gerade in einer Wissensgesellschaft, die hoch qualifizierte Arbeitskräfte auf breiter Front erfordert, dürfe Wissen nicht vorenthalten werden. Das führt zwanglos zum Ruf nach einer Bildungsreform und nach freiem Zugang zu den Universitäten.

Millionen aufgeklärter Bürger wissen mehr als ein paar Spitzenkandidaten – deshalb die Betonung der Basisdemokratie, der Politik nach dem Wikipedia-Prinzip. In dieser Richtung wird gerade viel experimentiert: Auch Online-Parteitage soll es in Zukunft geben, wenn der juristische Dienst des Bundestags seinen Sanktus dazu gibt.

Der Kampf für persönliche Freiheit, für Bürgerrechte und gegen die Vorratsdatenspeicherung rückt die Piraten in die Nähe der implodierenden FDP. Doch dieses Wrack wollen sie gar nicht entern. Denn als Besatzung und blinde Passagiere vermuten die Piraten dort neoliberale Wirtschaftslobbyisten, die ihnen gar nicht geheuer sind.

Lieber fordern sie – im Einklang mit den Linken – ein bedingungsloses Grundeinkommen. Auch diese Maßnahme soll die Menschen frei machen, von den Repressalien einer Sozialpolitik, die mit ihren detaillierten Vorgaben auch ganz bestimmte Moralvorstellungen aufzwingt. Dass solche gut klingenden Ideen eine fatale Anreizwirkung haben, den Arbeitsmarkt ruinieren und das Wachstum abwürgen könnten, wird im Schwarm kaum diskutiert. Aber vielleicht kommt es ja noch in der „Wirtschaftsschulung“ zu Sprache, rechtzeitig vor dem nationalen Urnengang im September 2013.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Großdemo gegen Acta in Wien
Internet

Großdemo gegen Acta in Wien

Über 3000 Teilnehmer haben gegen Acta demonstriert - viele von ihnen mit der Maske der Hacker-Gruppe »Anonymous«.
Internet

Wie Acta zum Politikum wurde – und was nun daraus wird

Der Streit um Acta war Ende 2010 vorbei, bevor er noch begonnen hatte. Die Internet-Aktivisten holten das sperrige Thema in die Mitte der Gesellschaft. Dabei blieben die Tatsachen allzu oft auf der Strecke.
Leitartikel

Eine Generation wird ad Acta gelegt

Hinter den Protesten gegen das sogenannte Antipiraterie-Abkommen Acta steckt die Enttäuschung einer Generation, die sich betrogen fühlt. Zu Recht: Sie wurde und wird betrogen.
Internet

„Wir sind viele. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht. Erwartet uns.“

„Anonymous“ sieht sich als Armee von Freiheitskämpfern im Internet. Mit digitalen Sitzstreiks und Daten-Hacks treibt die Gruppe Regierungen, Firmen und Polizeibehörden weltweit vor sich her.
Internet

Verantwortungsvakuum in Wien

Das Wirtschaftsressort war Verhandlungsführerin bei Acta, das Justizministerium gab den Ton an, ein Diplomat unterschrieb. Verantwortlich fühlt sich jedoch niemand für Acta.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.