Snowden schreibt Merkel einen Brief

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Der Whistleblower will über die Spähangriffe auf deutsche Bürger aussagen. Die Regierung in Berlin ist nicht abgeneigt.

Berlin/Moskau. „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Ihre beschwichtigenden Worte zur NSA-Spionageaffäre wurden Angela Merkel böse ausgelegt, in den Onlineforen gab es Spott und Hohn für die deutsche Kanzlerin. Viereinhalb Monate später will die deutsche Bundesregierung nun ihre Wissenslücken um die US-Spionagemethoden schließen. Und sie erwägt, sich dabei Hilfe von Whistleblower Edward Snowden zu holen.
Das bestätigte am Freitag auch der deutsche Innenminister. „Wenn Herr Snowden bereit ist, mit deutschen Stellen zu sprechen, dann werden wir Möglichkeiten finden“, sagte Hans-Peter Friedrich (CSU), der die NSA-Affäre im Sommer bereits für beendet erklärt hatte. Doch das war vor Bekanntwerden des Lauschangriffs auf Merkels Handy.

Die jüngste Wendung brachte nun ein Treffen zwischen  dem grünen Abgeordneten Hans-Christian Ströbele und Snowden. Die dreistündige Unterredung an einem unbekannten Ort in Moskau fand unter größter Geheimhaltung statt.  Ströbele erklärte danach, Snowden sei zu einer Aussage bereit – und zwar, „solange die NSA die Aufklärung blockiert“. Theoretisch könnten deutsche Parlamentarier oder die ebenfalls ermittelnde Bundesanwaltschaft den Whistleblower auch in seinem russischen Exil zur Ausspähung deutscher Bürger befragen. Doch Snowden  lehnt das ab, auch weil sein temporäres Asyl in Russland an die Bedingung geknüpft ist, dass er sich politisch zurückhält.

Asyl in Deutschland?

Nach Angaben Ströbeles favorisiert der 30-Jährige daher eine zweite Variante, die Snowden den Absprung aus Moskau ermöglichen würde: „Er kann sich vorstellen, nach Deutschland zu kommen.“ Dazu müsse allerdings gesichert sein, dass er danach in der Bundesrepublik oder einem vergleichbaren Land bleiben könne. Noch im Juli wurde ein Asylantrag des 30-Jährigen von den deutschen Behörden abgelehnt. Sigmar Gabriel, SPD-Chef und möglicherweise bald Minister einer großen Koalition, brachte damals die Möglichkeit ins Spiel, den US-Whistleblower in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen.

Ströbele nahm aus Moskau auch einen von Snowden unterzeichneten Brief mit. In dem an die Bundeskanzlerin, die Generalbundesanwaltschaft und den Präsidenten des Bundestages adressierten Schreiben ist aber wenig Neues zu lesen. Mit Blick auf Deutschland heißt es nur: „Ich freue mich auf ein Gespräch mit Ihnen in Ihrem Land, sobald die Situation geklärt ist.“ Der IT-Spezialist ist Berichten zufolge gestern in das Berufsleben zurückgekehrt: Snowden soll beim russischen Facebook-Pendant "VKontakte" angeheuert haben.

Brief von Snowden

Ich wurde gebeten, Ihnen bezüglich Ihrer Untersuchung zur Massenüberwachung zu schreiben. Ich heiße Edward Joseph Snowden und war früher vertraglich bzw. über eine Direktanstellung als technischer Experte bei der National Security Agency (NSA), der Central Intelligence Agency (CIA) und der Defense Intelligence Agency (DIA) der Vereinigten Staaten beschäftigt.

Im Zuge meiner Beschäftigung in diesen Einrichtungen wurde ich Zeuge systematischer Gesetzesverstöße meiner Regierung, die mich aus moralischer Pflicht zum Handeln veranlassten. Als Ergebnis der Veröffentlichung dieser Bedenken sah ich mich ich einer schwerwiegenden und anhaltenden Hetze ausgesetzt, die mich zwang, meine Familie und meine Heimat zu verlassen. Ich lebe derzeit im Exil und genieße befristetes Asyl, das mir die Russische Föderation gemäß internationalem Recht gewährt.

Ich bin ermutigt von der Resonanz auf mein politisches Handeln, sowohl in den USA als auch anderswo. Bürger auf der ganzen Welt und auch hohe Amtsträger – einschließlich der Vereinigten Staaten – haben die Enthüllungen zu einem System der allumfassenden Überwachung, das niemandem Rechenschaft schuldig ist, als einen Dienst an der Öffentlichkeit beurteilt. Diese Spionage-Enthüllungen zogen viele Vorschläge zu neuen Gesetzen und Richtlinien nach sich, die auf den vormals verdeckten Missbrauch des öffentlichen Vertrauens abzielten. Der Nutzen für die Gesellschaft aus diesen gewonnenen Erkenntnissen wird zunehmend klarer; gleichzeitig wurden die in Kauf genommenen Risiken sichtlich vermindert.

Obwohl das Ergebnis meiner Bemühungen nachweislich positiv war, behandelt meine Regierung Dissens nach wie vor als Treuebruch und strebt danach, politische Meinungsäußerung zu kriminalisieren und unter Anklage stellen. Dennoch: Die Wahrheit auszusprechen ist kein Verbrechen. Ich bin zuversichtlich, dass die Regierung der Vereinigten Staaten mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft diese abträgliche Haltung ablegen wird. Ich hoffe, dass ich, wenn die Schwierigkeiten dieser humanitären Lage beigelegt sind, in der Lage sein werde, mich an der verantwortungsvollen Aufklärung der Sachverhalte bezüglich der in den Medien getätigten Aussagen, insbesondere im Hinblick auf Wahrheit und Authentizität der Berichte, angemessen und gesetzesgemäß zu beteiligen.

Ich freue mich auf ein Gespräch mit Ihnen in Ihrem Land, sobald die Situation geklärt ist und danke Ihnen für ihre Bemühungen, das internationale Recht zu wahren, das uns alle beschützt. Mit besten Grüßen

gez. Edward Snowden
bezeugt durch Hans-Christian Ströbele

Quelle: NTV

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Kerry: „Zu weit gegangen“

In den USA wird Snowden weiter wegen Landesverrats gesucht. US-Außenminister John Kerry zeigte sich am Donnerstag aber wegen der von Snowden enthüllten Sammelwut der US-Geheimdienste reumütig. Die Überwachungsaktivitäten seien „in einigen Fällen zu weit gegangen“, gestand Kerry. Das Vertrauen müsse nun wiederhergestellt werden, meinte der US-Chefdiplomat. Ein politisches Schuldeingeständnis gab Kerry aber nicht ab. „Der Präsident und ich haben von einigen Dingen erfahren, die in vielerlei Hinsicht per Autopilot geschehen sind, weil die Technologie und die Fähigkeiten da sind.“ Nun werde eine „gründliche Überprüfung“ vorgenommen.

IWF, Weltbank ausspioniert

Obama soll aus dieser Überprüfung auch bereits erste Konsequenzen gezogen haben: Der US-Präsident  wies die NSA an, die Hauptquartiere von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) nicht mehr auszuspähen. Das berichtete ein mit der Angelegenheit vertrauter US-Regierungsmitarbeiter am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.  Der Mitarbeiter enthüllte damit zugleich, dass die beiden in Washington angesiedelten Institutionen bisher ausspioniert wurden. Das war so nicht bekannt gewesen. (strei/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2013)

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