Wie ein Marketing-Gag nach hinten losging

Apple und U2 rauben dem Rock'n'Roll seine Werte.

Medien degenerieren immer mehr zu Feedback-Schleifen. Wo früher noch der Wunsch auszumachen war, spannende, möglichst exklusive Geschichte zu orten, Themen zu setzen und durch Recherche zu glänzen, regiert heute das Abschreiben und In-den-Chor-Miteinstimmen. Die Impulsgeber für die Resonanzkörper Print, Radio und TV heißen Facebook und Twitter. Regen sich dort Stimmen und ballen sich zu deutlichen Meinungs-Clustern zusammen, kann man sicher sein, sie am nächsten oder übernächsten Tag als Gegenstand der professionellen Berichterstattung wiederzufinden. Hickhack galore! So lässt sich mancherlei wunderbar hochkochen. Und für das eigene Click-Counter-Business nutzen.

Dieser Durchlauferhitzer-Effekt war dieser Tage besonders schön sichtbar bei der Vorstellung der neuen, sechsten Generation des Apple iPhone. Plus einer Apple-Uhr. Plus – „one more thing“ – eines spektakulären Geschenks an die Fans des Konzerns aus Cupertino: das neue Album der legendären Rockband U2. Gratis. Und automatisch frei Haus geliefert: Ob man wollte oder nicht, hatte man „Songs of Innocence“ über Nacht als „gekauft“ markiert in seiner iTunes-Mediathek stehen.

Aber gar so unschuldig sind die neuen Lieder von Bono Vox & Co. nicht. Denn nach der ersten Welle der Überraschung über den Marketing-Schachzug brach ein Geheul der Kritik, Enttäuschung und Häme sondergleichen los: die Altherren-Partie hätte ihr – reichlich schwaches – neues Opus einfach an einen Computergiganten verkauft. „Das“, so die MP3-Plattform Tonspion, „nannte man früher Ausverkauf oder Corporate Rock und zog gesellschaftliche Ächtung nach sich.“ Der „Musikexpress“ setzte nach: „Geschenkt ist noch zu teuer. Kann man ungehört löschen.“

Ziemlich deutlich orientierte man sich bei der journalistischen Meinungsbildung am Stimmungsbarometer Social Media. Dort fanden sich auch die zynischsten Einträge: „Eine digitale Uhr und ein U2-Album: das ist wie Weihnachten 1984.“ Gleichzeitig erhoben sich Stimmen, die sich von der geballten Ladung Hohn und Spott genervt zeigten und damit den Pendel-Gegenschlag aktivierten. Egal, ob U2, Apple Watch, Ice Bucket Challenge oder Top-10-Bücherlisten: Spätestens übermorgen wird dann die Aufregung und die Aufregung über die Aufregung auch wieder aus den herkömmlichen Medien verschwunden sein.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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