»Gemma kino? Cul8r, hdl«: Schnelle Sprache, gute Sprache

Seit im großen Stil gesimst wird, wird auch der Niedergang des Schriftdeutschen vorausgesagt. Wissenschaftler sind sich allerdings uneinig, ob bzw. wie weit die angewandte Grammatik bereits in Mitleidenschaft gezogen ist. Die Kinder lernen in der Zwischenzeit Englisch und Dialekt.

Ich schrieb mein erstes SMS 1998 aus einem indischen Restaurant in Straßburg. Der Schweiß auf meiner Stirn hatte weniger mit dem Chicken Tikka Masala zu tun als mit meinem damaligen Siemens-Handy in Knirps-Dimension. Ich schaffte so etwas wie „trax??“, ehe ich irrtümlich den „Senden“-Knopf drückte. Der Empfänger antwortete trocken mit „?“.

„?“ reichte allerdings nicht mehr, als sich Jahre später die jugendliche SMS-Welt öffnete. „Gg“ (grins grins) und „hdl“ (hab dich lieb) konnte man sich noch irgendwie zusammenreimen, den Rest der Nachrichten mit ihrer Mischung aus Dialekt, Englisch und selbstlautlosen Abkürzungen – „vlcht“ für „vielleicht“ – verstand man allerdings des Öfteren nur, wenn man den Absender anrief und nachfragte.

Da Eltern Dinge, die sie bei ihren Kindern nicht verstehen, grundsätzlich für gefährlich halten und gleichzeitig Pisa dem Lesevermögen der österreichischen Schüler immer schlechtere Noten ausstellte, wurde die verknappte, verkürzte und willkürlich falsch oder richtig orthografierte SMS-Sprache sehr schnell für schuldig befunden. In Deutschland etwa sind 65 Prozent der Bürger der Meinung, dass die deutsche Sprache verkommt.

160 Zeichen für einen Gedanken. Einige Milliarden SMS später herrscht allerdings noch immer keine Einigkeit, ob beziehungsweise in welchem Ausmaß das Simsen die deutsche Grammatik in Mitleidenschaft gezogen hat. Während die einen Sprachforscher der Meinung sind, dass Jugendliche keinen geraden Satz mehr zustande bringen, nur noch in verknappten und verkürzten Formulierungen denken und den letzten Rest an Geduld fürs Lesen einbüßen, sehen andere das gelassener. Jugendliche hätten noch nie mehr Zeit als jetzt mit dem Verfassen und Lesen von Texten verbracht, meinen sie. Selbst wenn diese auf 160 Zeichen beschränkt sind. Dieser Umstand sei in Zeiten rückgängigen Leseverhaltens nicht gering zu schätzen.

Immer mehr Sprachforscher erkennen die SMS-Sprache ebenso wie die von Twitter und Chat als eigenes kulturelles Konstrukt an, das parallel zum herkömmlichen Gebrauch von Schreib- und Schriftsprache existiert. Nicht umsonst wird der SMS-Stil bereits in der Werbung für Produkte mit einer Zielgruppe unter 20 Jahren eingesetzt.

Man darf SMS nicht als „geschriebene“ Form der Kommunikation begreifen. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Art geschriebenes Gespräch, und bei dem gilt: schnelle Sprache, gute Sprache. So sieht das auch der deutsche Linguist Peter Schlobinski. Im Vordergrund stehe das Experiment, der spielerische Umgang mit der Sprache. Schlobinski hat auch ein Buch zu dem Thema geschrieben: „Von HDL bis DUBIDODO: (K)ein Wörterbuch zur SMS“. Erschienen bei Duden. Gg!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2012)

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