Ex-Orange-Chef: "iPhone 5 zieht keine neuen Kunden an"

Ex-Orange-Chef warnt vor
Ex-Orange-Chef warnt vor "Telekommunikationswüste Europa"(c) Presse Digital (Daniel Breuss)
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Michael Krammer spricht im DiePresse.com-Interview über Apples Schikanen, Nokias Comeback und warnt vor der "Telekommunikationswüste Europa". Betreiber sollten mehr auf die "always online" Kunden achten.

Mit der Übernahme von Orange durch 3 hat sich auch das Management des Unternehmens geändert. Der bisherige Geschäftsführer Michael Krammer lässt die Zeit im Gespräch mit DiePresse.com Revue passieren - und spart nicht mit Kritik.

DiePresse.com: Mit der Übernahme von Orange durch 3 haben Sie Ihren bisherigen Job als CEO verloren. Wie enttäuscht sind Sie darüber, dass Ihre Arbeit jetzt andere fortsetzen?

Michael Krammer: One beziehungsweise dann Orange war mit fünfeinhalb Jahren meine bisher längste Station im Mobilfunk. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass die Freude überwiegt. Der ursprüngliche Plan bei der Akquisition [von One, Anm.] war ja, dass die France Telecom alles übernimmt. Das Ziel habe ich nicht erreicht. Deswegen ist schon ein gewisses Maß an Enttäuschung im Spiel, keine Frage.

War France Telecom nicht mehr bereit, im hart umkämpften österreichischen Mobilfunkmarkt zu investieren?

Nachdem sich die regulatorischen Rahmenbedingungen in Europa und in Österreich nicht unbedingt zum Positiven entwickelt haben und der Wettbewerb ein sehr sehr intensiver war, hat mit dem CEO-Wechsel bei der France Telecom das Umdenken begonnen und ein Schwenk von Europa nach Afrika stattgefunden. Dem sind wir zum Opfer gefallen.

Sie haben vor ein paar Jahren einmal 3 kaufen wollen. Ist es bitter für Sie, dass es anders herum gekommen ist?

Ich schalte jetzt die Emotionen aus und lass nur das Hirn sprechen: Wenn man eine Akquisition tätigen will und der Kaufpreis zu hoch ist, dann ist es besser, man kauft nicht. Und das war so. Dann ist es besser, man verkauft.

Und war der Preis für Orange auch zu hoch?

Nein, niemals!

Sie hatten ja Probleme, Gelder für Netzausbau und neue Technologien zu erhalten. Von Orange-Seite habe ich gehört, das, was die Techniker mit dem bisschen, was von den Investoren kam, geschafft haben, grenze an ein Wunder.

Das war kein Wunder, das ist Können. Das ist höchste Leistungsfähigkeit der Techniktruppe. Wir haben sicher im österreichischen Markt am wenigsten investiert von den Mobilfunkunternehmen. Aber wir waren ganz sicher am effizientesten und effektivsten. Wenn man sich den Connect-Test des letzten Jahres anschaut, haben diejenigen, die am meisten investiert haben, 3 und A1, Punkte verloren, während wir Punkte dazugewonnen haben. Das ist ein Ausdruck dafür, dass Innovationskraft und Höchstleistungen von Mitarbeitern dann erbracht werden, wenn die Ressourcen knapp sind. Sie dürfen nicht zu knapp sein, aber es muss eine Herausforderung sein

Derzeit sind 3 und A1 wohl weniger unter Zugzwang. Heißt das, dass bei denen weniger passieren wird?

Es wird sich keiner zurückhalten können. Der Aufbruch in die nächste Generation steht vor der Tür. Es wird die Versteigerung der LTE-Frequenzen und die Refarming-Erlaubnis geben. Dann muss man sich von der Netzstrategie her genau überlegen, was man tut. Aber auf jeden Fall muss man investieren.

»Wenn ich das Geld zum Ersteigern nicht habe, ist es gescheiter, ich sperre die Bude zu.«

Michael Krammer

Könnte da T-Mobile das Nachsehen haben? Man hört, dass die Konzernmutter aus Deutschland derzeit nicht so investitionswillig ist.

Das ist eine Situation, die ich nicht einschätzen kann. Von der Frequenzausstattung her gibt es derzeit keine Nachteile und die Frequenzversteigerung, die vor der Tür steht, eröffnet ein neues Spiel.

Dafür müssten sie aber Geld haben.

Wenn ich das Geld zum Ersteigern nicht habe, ist es gescheiter, ich sperre die Bude zu.

Hintergrund: Warum Frequenzen wichtig sind >>>

Österreich hat jetzt statt vier nur noch drei große Anbieter. Glauben Sie, dass diese Konsolidierung noch weitergeht und bald nur noch zwei Mobilfunker am Markt sind?

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass auf der Infrastrukturebene eine weitere Konsolidierung stattfindet. Ich glaube schon, dass es weiterhin drei große Betreiber geben wird. Ich glaube aber auch, dass es in Teilbereichen eine Zusammenlegung von Netzen geben wird, vielleicht schon beim Rollout von LTE.

3 will landesweit in zwei Jahren alleine ein LTE-Netz ausbauen. Genaue Kosten sind nicht bekannt. Wie schätzen Sie die ein?

Das kann man schwer einschätzen. Das Aufwändigste sind die Basisstationen, die hat man ja schon. Wenn man LTE implementieren will, muss man im schlimmsten Fall die Antennen, die Verkabelung und das Rack unten tauschen. Wenn man aber die richtigen Frequenzen ersteigert und bekommt, muss man möglicherweise nur das Rack austauschen und softwaremäßig etwas machen. Das kann sehr effizient sein, mit überschaubarem Aufwand. Überschaubar heißt aber auch mit deutlichem zweistelligen Millionen-Eurobetrag. Es weiß aber auch niemand genau, weil die Lieferantenverhandlungen noch ausstehen.

LTE

"Long Term Evolution" ist ein neuer Standard für mobiles Breitband-Internet. LTE verspricht Download-Geschwindigkeiten von bis zu 300 Megabit pro Sekunde statt derzeit gängiger HSDPA-Raten von 7,2 Megabit pro Sekunde. In Österreich gab es bereits erste Testläufe. Der noch schnellere Nachfolger "LTE Advanced" wurde auch bereits in Ausicht gestellt.

Wie sehen Sie das eigentlich, dass die Chinesen, etwa ZTE und Huawei, beim Netzausrüsten immer stärker in Europa auf den Markt drängen?

Den Chinesen kann man da keinen Vorwurf machen. Wenn in Europa die Regulierungs- und Wettbewerbshörden die Industrie in solche Wettbewerbsnachteile drängen, dass außereuropäische Investoren bessere Chancen haben, dann ist das nicht die Schuld der Chinesen. GSM wurde in Europa erfunden und die europäischen Konzerne waren diejenigen, die die größten Expansionen in den Neunzigern und Anfang der Zweitausender-Jahre gemacht haben. Die Regulierung hat dazu geführt, dass die europäischen Telekommunikationskonzerne immer kleiner und schwächer wurden, dass die Ausrüsterindustrie de facto aus Europa Richtung Osten verschwunden ist und dass die Content-Industrie nach Westen gewandert ist. Was ist übrig geblieben? Die Telekommunikationswüste Europa. Welche Rolle spielen europäische Unternehmen noch? Was ist mit NSN, was ist mit Alcatel? Die letzten, die die Fahne hochhalten, sind Ericsson. Aber Handset-Hersteller gibt es keinen mehr in Europa außer Nokia. Und die verlegen die Produktion nach China.

Sie haben ja immer gesagt, Sie glauben an das Comeback von Nokia. Ist das jetzt da oder lässt es noch auf sich warten?

Zumindest sind Ansätze davon da. Das Lumia 920 ist wirklich ein tolles Gerät, ich nutze es als Hauptgerät. Windows Phone 8 ist ein hervorragendes Betriebssystem. Die Chancen für ein Comeback stehen gut. Auch das, was sie aus meiner Sicht im Maps-Bereich gemacht haben, nämlich sich zu verbreitern und das als eigenes Business aufzubauen, finde ich gescheit und deutet darauf hin, dass das eine positive Entwicklung nimmt. Vom Tiefststand her hat sich die Aktie ja schon mehr als verdoppelt.

Marktforscher sagen im Gegenzug, Apple sei nicht mehr cool. Was sagen Sie?

Zum Launch des iPhone 5 habe ich gesagt, damit zieht Apple keine neuen Kunden mehr an. Im besten Fall schaffen sie es, ihre bestehenden Kunden zu behalten und die Vorgängermodelle zu ersetzen. Der Wettbewerb der anderen ist gegen Apple wesentlich stärker geworden als Apple mit dem iPhone 5 im Wettbewerb gegen die anderen antritt. Es kann nur nach unten gehen von den Marktanteilen. Sie können ihre Kundenbasis noch relativ gut verteidigen, weil ihr gesamtes Ökosystem sehr schwierig zu ersetzen ist. Aber als Produkt ist das Ding nicht außergewöhnlich.

»Apple behandelt seine Partner wie mit dem nassen Fetzen.«

Michael Krammer

Ist Samsung das neue Apple?

Kann man überhaupt nicht vergleichen. Samsung ist sehr breit aufgestell. Sie haben Android, Windows Phone und eigene Betriebssysteme. Sie sind sehr erfolgreich und bieten eine hohe Qualität der Produkte. Und auch in der Zusammenarbeit. Apple behandelt seine Partner ja wie mit dem nassen Fetzen. Das fällt einem, wenn man kein außergewöhnliches Produkt hat, irgendwann auf den Kopf. Da gibt es mit Unternehmen wie Nokia und Samsung ganz andere Kooperationen, wo man auf Augenhöhe zusammenarbeitet. Und agiert nicht gnadenhalber auf "bestell einmal und du wirst schon schauen, was wir dir liefern". Man bestellt bei Apple etwa 5000 weiße iPhones und sie liefern 2500 schwarze.

Ist das bei Orange so passiert?

Das ist so.

Sind Sie insofern froh, dass sie nicht mehr direkt mit Apple zu tun haben?

Ich habe ja zum Glück nicht so viel mit Apple zu tun gehabt. Das Team für den Handsetbereich hat es schon schwierig gehabt. Vor allem, wenn man schon eine große Kundenbasis hat und die ihren Vertrag mit einem iPhone verlängern will. Man kann überhaupt keine Vorhersagen machen, wann man welche kriegt. Das ist mühsam. Wenn das Ross sehr hoch ist, wird der Fall sehr tief.

Was ist denn so das "next big thing" am Handymarkt - sowohl bei Geräten als auch Diensten?

Der Dienst, der aus Sicht des Netzbetreiber das Entscheidende ist, ist die Implementierung von LTE mit der größtmöglichen Flächendeckung. Die Gesellschaft entwickelt sich - und das haben manche, ich schließe mich da nicht aus, einige Zeit unterschätzt - total in eine "always and everywhere online" Gesellschaft. Die größte Herausforderung für die Netzbetreiber ist es, wirklich flächendeckende Services anzubieten, in einer top-Qualität. Man verwendet diese Dinger zum Orientieren beim Laufen, beim Mountainbiken - immer und überall. Die Bevölkerungsabdeckung, in der wir seit Beginn des Mobilfunks gedacht haben, ist nicht mehr das entscheidende. Wir müssen jene Gebiete abdecken, wo sich Leute theoretisch hinbewegen können.

Das wird aufwendig.

Ja, aber da hilft die Digitale Dividende mit 800 MHz. Um die verschiedenen Dienste braucht der Mobilfunkbetreiber gar nicht kümmern. Es gibt App-Entwickler, die entwickeln mit einer Geschwindigkeit und Innovationsbereitschaft, die nicht in der DNA von Mobilfunkunternehmen liegt. Aufgabe der Betreiber ist es, das Netz möglichst flächendeckend zur Verfügung zu stellen.

»Wir müssen jene Gebiete abdecken, wo sich Leute theoretisch hinbewegen können.«

Michael Krammer

Märkte wie Deutschland nutzen LTE schon seit Längerem. Österreich galt lange Zeit als Mobilfunk-Vorzeigeland. Sind wir inzwischen schon hinter ander Länder zurückgefallen?

Nicht zuletzt wegen diesem einjährigen Prüfungsprozess für die Fusion Orange und 3 gibt es einiges aufzuholen - definitiv. Das zeigt auch, wie absurd diese Genehmigungsverfahren sind, wo sechs Behörden involviert sind. Von der EU-Kommission über die nationale Regulierungsbehörde - jeder denkt möglichst klein und nur in sich und dann überlegt sich einer noch ganz am Schluss, ob er Rekurs einlegen will.

Sind Sie da von den Behörden enttäuscht?

Wie die Struktur dieser Verfahren geschaffen ist und wie viel Verwaltungsaufwand damit verbunden ist, stärkt meinen Eindruck, dass es für die europäische Industrie sehr hart ist, wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn man im "riesigen" Österreich mit acht Millionen Einwohnern ein Jahr prüfen muss, ob die Nummer drei und die Nummer vier fusionieren dürfen, wo es in China drei Betreiber und in Amerika fünf Lizenzen gibt, da fragt man sich wirklich: Wohin gehen unsere Steuergelder?

Ich nehme an, auch die Juristen von 3 und Orange waren gut beschäftigt. Kann man diese Kosten abschätzen?

Der Standortnachteil durch ein einjähriges Prüfverfahren, nämlich keine Versteigerung, keine Infrastrukturinvestitionen, der ist wesentlich größer als dieser doch sehr große Betrag an Kosten im jeweiligen Unternehmen. Obwohl, wenn man sich allein die Rechtsanwalts- und Beraterkosten beider Unternehmen zusammenzählt, ist das sicher ein zweistelliger Millionenbetrag.

Jetzt ist der Merger abgeschlossen. 3 beteuert, dass alles getan wird, um den Wettbewerb voranzutreiben. Können Sie diese Einschätzung teilen?

Ich bin überzeugt, dass es mit dem Wettbewerb intensiv weitergehen wird, dass die österreichischen Kunden weiterhin supergünstige Tarife mit sehr hoher Qualität bekommen werden. Ich bin aber auch überzeugt davon, dass die Unternehmen die Chance nutzen werden, bei der Einführung von LTE Qualität und preismäßig stärker zu differenzieren. Die Qualität, die man heute bekommt, da glaube ich nicht, dass es Preiserhöhungen geben wird. Aber wenn man LTE mit 50 bis 100 Mbit/s zur Verfügung stellt, dann kann das nicht zum selben Preis verfügbar sein wie die angebote, die es heute gibt. Ich zahle auch für einen Ferrari mehr als für einen VW Golf.

Das heißt, es könnte Pakete gebe, die je nach maximaler Download-Geschwindigkeit anders gepreist sind.

Genau.

Sie haben gesagt, sie hätten Orange gerne 100% zu France Telecom gebracht. Gibt es noch etwas, wo sie bedauern, dass sie das bei Orange nicht betreuen konnten?

Ich bin überzeugt, dass Orange hervorragend aufgestellt gewesen wäre für den LTE-Rollout. Mit ganz sicher der besten Technikmannschaft und mit einer vorhandenen Infrastruktur, die, wenn man die richtigen Frequenzen bei der Auktion ersteigert, sehr rasch und effizient den LTE-Rollout macht. Das hätte ich schon noch gern gemacht. Ich habe schon Restrukturierungen, Markenwechsel, zwei Unternehmensverkäufe hinter mir. Ein Merger auf der Integratorenseite würde mir noch fehlen.

Hätten Sie Interesse daran, wieder in die Chefetage der Branche zurückzukehren?

Wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Nämlich richtige Eigentümerstruktur, Gestaltungsspielraum und all diese Dinge, dann ja.

Aufgrund Ihrer deutlich erkennbaren Abneigung von staatlichen Einflüssen heißt das, dass das A1 derzeit ausschließen würde.

Die A1 Telekom ist ein tolles Unternehmen mit riesigem Potenzial. Aber, und das habe ich schon mehrmals gesagt und ich bleibe dieser Linie treu, der Staat ist verantwortlich für die Regulierung dieser Branche und besitzt die Rohstoffe, die er nur auf 20 Jahre lizensiert. Diese Doppelrolle einerseits als Regulator und Lizensierer und dann Unternehmenseigner zu sein in dieser Branche, die funktioniert nicht, das kann nicht funktionieren. Und man sieht ja auch, was in den letzten Jahren in diesem leidgeprüften Unternehmen stattgefunden hat an Intervention und sonstigen Dingen. Es kommt immer dieses Argument, dass das für einen Staat eine wichtige Infrastruktur sei. Ja, aber der Staat kontrolliert sie ohnehin. Und viele Staaten in der europäischen Union haben sich von den Anteilen an den Telekommunikationsunternehmen getrennt, haben bessere Infrastrukturen als wir sie heute in Österreich haben - Holland zum Beispiel.

Sie sind inzwischen gewissermaßen der externe Beobachter...

An diese Rolle muss ich mich erst gewöhnen.

Was wäre denn ihr Rat an die noch verbliebenen Teilnehmer, auf was sie in nächster Zeit aufpassen müssen.

Ganz ehrlich: Wenn ich weiterhin in einer operativen Rolle wäre und irgendwer richtet mir dann über die Medien aus, was ich tun soll, würde ich mir auch meinen Teil denken. Ratschläge sind ja auch Schläge und daher gibt es die von mir nicht. Die wissen alle ganz genau, was sie zu tun haben.

(db)

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