Nokia erfindet sich dank Alcatel neu

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Durch den Kauf des französischen Konkurrenten sind die Finnen nun als weltgrößter Netzwerkausrüster zurück auf der großen Bühne. Dennoch: ein sehr riskanter Deal.

Wien/Paris. Nokia ist immer für kühne Wendungen gut. Um 15,6 Mrd. Euro hat die finnische Firma am Mittwoch den französischen Konkurrenten Alcatel-Lucent gekauft. Bis Mitte 2016 soll die Übernahme abgeschlossen sein. Damit wird aus den beiden kleineren europäischen Netzwerkausrüstern der neue globale Marktführer in dieser Hightech-Zukunftsbranche, mit 26Mrd. Euro Umsatz noch knapp vor Ericsson aus Schweden und Huawei aus China.

Drei Mal schon hat sich das Unternehmen neu erfunden: Anfangs stellte es Papier her, später Gummistiefel und Fahrradreifen. Um die Jahrtausendwende staunte die Öffentlichkeit über seinen Aufstieg zum weltgrößten Handyhersteller, kaum zehn Jahre später über den tiefen Fall. Der Technologiekonzern hatte den Siegeszug der Smartphones verschlafen, verlor rasant Marktanteile und musste sein Kerngeschäft 2013 an Microsoft verkaufen. Seitdem versucht der indische Manager Rajeev Suri an der Spitze, die Trümmer zum neuen Ganzen zu fügen: mit dem kräftigen Ausbau der Sparte Netzwerktechnik für die Anbieter von Mobilfunk- und Internet.

Paris beugte sich schnell

Ein zukunftsträchtiger, aber auch hart umkämpfter Markt. Im Wettlauf um die schnellste Datenübertragung können Kleinere nur hinten bleiben. Um Nokia wurde es still. Einzig mit ihrem Vermögen beeindruckten die Finnen noch. Der Verkauf der Handysparte hatte 5,4 Mrd. in ihre Kassa gespült. Vor allem aber stärken zahlreiche Patente ihnen weiterhin den Rücken. Nun haben sie diese Kapitalkraft zum großen Sprung genutzt. Auf den ersten Blick ein vernünftiger Schulterschluss. Wer groß ist, kann Geräte und Komponenten viel günstiger einkaufen. Die teuren Investitionen in die Entwicklung von 5G, dem Mobilfunkstandard der Zukunft, lassen sich teilen. Schon entwickelte Software findet leichter Zugang zu Märkten, auf denen der Partner präsent ist. Nokia ist in Europa und Asien stark, Alcatel-Lucent in den USA. Die Finnen sind auf den Mobilfunk spezialisiert, die Franzosen auf Internetrouter und Kabelnetze. Und die Telekomanbieter als Kunden wollen alles aus einer Hand. Sie bieten immer mehr Pakete aus Glasfaserinternet und Mobilfunk an, um den Datentransport zum Handy zu Hause zu beschleunigen.

Selbst die französische Regierung, die zuletzt viel kleinere Verkäufe an das Ausland in „Schlüsselindustrien“ hintertrieben hat, zeigt sich von der Geburt eines „europäischen Champions“ charmiert. Und das, obwohl Alcatel praktisch zu existieren aufhört: Die neue Firma soll Nokia Corporation heißen, ihr Hauptquartier ist Helsinki, die Spitzen von Vorstand und Aufsichtsrat bleiben die Nokia-Manger. Auch die Bell Labs, die legendäre Forschungsstätte in den USA, kommen somit in finnische Hand.

Nur Pech mit Fusionen

Aber die Investoren zeigen sich verstört. Beide Aktien legten seit Dienstag eine Berg-und-Talfahrt hin. Warum? Nokia musste bei der Transaktion zwar kein Geld in die Hand nehmen: Bei dem All-Share-Deal erhalten die Alcatel-Anteilseigner für jede Aktie 0,55 Prozent einer neuen Nokia-Aktie. Am Ende halten sie ein Drittel aller Anteile, die Nokia-Aktionäre zwei Drittel. Aber aus der Formel ergibt sich auch, dass Nokia einen Aufschlag von 28 Prozent auf den mittleren Kurs der Alcatel-Aktie in den vergangenen drei Monaten ansetzt. Dazu kommt der politische Tribut: Damit Präsident Hollande sein Gesicht wahren kann, muss Nokia den Erhalt der Arbeitsplätze in Frankreich und eines Forschungszentrums bei Paris versprechen.

Ein hoher Preis für ein Unternehmen, das noch vor drei Jahren kurz vor dem Bankrott stand und seine Patente verpfänden musste. Nur durch ein hartes Sparpaket kam Alcatel wieder einigermaßen auf die Beine. Seit 2006 hat der Konzern keinen positiven Cashflow mehr erzielt – seit der fatalen Fusion mit dem US-Konkurrenten Lucent. Die Integration ist wegen ganz unterschiedlicher Firmenkulturen nie gelungen – eine klare Warnung für Nokia. Freilich haben die Finnen in dieser Hinsicht auch eigene schlechte Erfahrungen gemacht, und zwar just in der Sparte, um die es nun geht: Auch das Joint Venture mit Siemens von 2007 zum gemeinsamen Aufbau des Netzwerkgeschäfts war ein klarer Misserfolg, auch hier lag es an der Kultur. 2013 übernahm Nokia den 50-Prozent-Anteil der Münchner – und von da an ging es bergauf.

So sind auch die Kassandrarufe früherer Nokia-Manager verständlich. Ein Ex-Strategiedirektor twitterte, der Deal sei „verrückt“ und „reine Wertvernichtung“ für die Nokia-Aktionäre. Und ein Kollege meinte zur „Financial Times“, nun müsste man „nicht zwei, sondern vier“ Unternehmen und Kulturen verschmelzen. Und das erscheine ihm als „Rezept für ein Desaster“.

AUF EINEN BLICK

Nokia kauft Alcatel-Lucent um 15,6Mrd. Euro. Die Transaktion erfolgt über die Ausgabe neuer Aktien an die Alcatel-Anteilseigner. Durch die Übernahme dürfte Nokia den Marktführer Ericsson aus Schweden und Huawei aus China im Umsatz überflügeln. Doch Franzosen wie Finnen haben mit Fusionen schlechte Erfahrungen gemacht: Alcatel ist seit dem Zusammenschluss mit Lucent in den roten Zahlen. Auch das Joint Venture von Nokia mit Siemens zum Aufbau der Netzwerksparte war kein Erfolg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2015)

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