Test: Lumia 950 und Lumia 950 XL überzeugen nur Fans

Lumia 950 XL Smartphone vor weißem Hintergrund
Lumia 950 XL Smartphone vor weißem Hintergrund(c) Daniel Breuss
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Microsoft liefert zwei redlich bemüht entwickelte Geräte ab. Doch um den Markt aufzurütteln reicht es nicht - leider. Die Achillesferse ist immer noch das dürre App-Angebot.

Hier ist er nun also. Microsofts aktuellster Versuch, die Smartphone-Welt zu erobern. Mit dem Lumia 950 und Lumia 950 XL und dem darauf installierten Windows 10 Mobile (vormals Windows Phone) will der Technologie-Gigant ein neues Kapitel in der bisher ambivalenten Geschichte seiner mobilen Bemühungen aufschlagen. Seit Ende 2010 versucht Microsoft, eine mobile Software-Plattform zu etablieren. Nachdem kaum noch ein Hersteller auf diese produziert, vertreibt der Windows-Konzern nach der Übernahme von Nokia nun selbst die Geräte.

Große Touchscreens

Auf den ersten Blick machen das Lumia 950 und Lumia 950 XL einen feschen, wenn auch leicht faden Eindruck - allen Unkenrufen aufgrund des Kunststoffgehäuses zum Trotz. Mit 5,2 Zoll bzw. 5,7 Zoll Touchscreen-Diagonale und 150 bzw. 165 Gramm Eigengewicht liegen die beiden Geräte noch vergleichsweise angenehm in der Hand. Zumindest wenn diese wie die des Testers eine Spanne von fast 25 Zentimetern aufweist.

Wer mit einer Hand nicht alles erreicht, kann durch längeres Drücken auf das Windows-Icon die Anzeige nach unten schieben, was man unter anderem auch vom iPhone 6 Plus kennt. Ebenfalls flexibel ist die Bildschirm-Tastatur. Diese lässt sich ebenfalls loslösen und auf beliebiger Höhe auf der Anzeige platzieren. Im Test war das zwar ein nettes Gimmick, mehr allerdings auch nicht.

Eine kurze Anmerkung noch zu den Displays: knackige Farben, eine hohe Auflösung (1440 x 2560 Pixel), AMOLED-Technologie, flotte Reaktionszeiten - hier gibt es bei beiden nichts zu Meckern. Damit wären wir aber gleich bei einem Punkt, der beim kleineren Lumia 950 weniger optimal ist.

Stromfresser

Der Akku bietet mit 3000 mAh zwar eine hohe Kapazität, nur die nützt wenig, wenn eine U-Bahnfahrt mit Dauernutzung (Bluetooth-Audio, Musik-Streaming, Browser aktiv) dazu führt, dass nach 25 Minuten mehr als 10 Prozent der Ladung weg sind und das Gerät schon fast unangenehm warm wird.

Laut interner Akku-Informations-App von Microsoft ist das Display der größte Stromfresser. Naturgemäß stellt sich die Situation im Standby wieder anders dar. Hier erwies sich das Lumia 950 im Test recht ausdauernd.

Dennoch verhält sich das Lumia 950 XL in all diesen Aspekten besser. Die Wärmeentwicklung ist geringer und die Ausdauer unter Belastung höher - was aufgrund der höheren Akkukapazität von 3340 mAh kaum verwundert. Manchmal kommt es eben doch auf die Größe an.

Solide Foto-Leistung

Die Lumia-Geräte wurden schon unter Nokias Ägide mit dem Argument einer guten eingebauten Kamera beworben. Die eigens dafür kreierte Marke "PureView" wird auch beim Lumia 950 und dessen großem Bruder Lumia 950 XL genutzt. In der Tat macht Microsofts aktueller Smartphone-Wurf sehr gute Bilder, selbst unter schwierigen Lichtbedingungen. Der dedizierte Kamera-Button, der seit Anbeginn ein Grundbestandteil eines Windows-Smartphones ist, ist ebenfalls eine willkommene Eigenschaft der beiden Geräte.

Offline-Navigtion an Bord

Im Rahmen der Nokia-Einverleibung hat Microsoft auch die Maps-Fähigkeiten von Windows Phone bzw. nun Windows 10 Mobile adaptiert. Die früher eigenständige App "Here Maps" gibt es nicht, dafür sind viele Elemente von Here in der neuen "Karten"-App integriert. Dazu gehören eine Navigationsfunktion und die Möglichkeit, Offline-Karten von ganzen Ländern direkt am Gerät abzuspeichern.

Dank der Möglichkeit, die beiden Lumias über eine MicroSD-Karte auf (theoretisch) bis zu 2 Terabyte Speicher aufzurüsten, steht einer umfassenden Tour durch mehrere Länder ohne Datenroaming-Gebühren (zumindest für die Navigation) kaum etwas im Weg.

Triste App-Aussichten

Was jedoch der Freude an der Nutzung des Lumia 950 und Lumia 950 XL sehr wohl im Weg steht, ist das Betriebssystem. Genauer gesagt, die fehlenden qualitativ wertvollen Apps für das Betriebssystem. Fühlen sich manche Android-Apps schon wie laue Abklatsche ihrer iOS-Pendants an (wobei sich dieser Umstand schon stark gebessert hat), geht es bei Apps für Windows-Mobilgeräte noch eine Stufe abwärts. Insbesondere für alle, die von Android kommen und privat oder beruflich Google-Dienste wie AdSense, YouTube Creator Studio oder Gmail nutzen, werden mit den Lumias nicht glücklich werden.

Für Dienstleister ohne eigenes mobiles Betriebssystem, wie zB dem Carsharing-Anbieter car2go, gibt es zwar Apps. Allerdings wundert man sich dann, wie die App durch die Begutachtung kam, wenn beim Eintippen des PIN-Codes keine Schaltflächen sichtbar sind.

Continuum: Das Handy als PC-Ersatz

Eine Neuerung für alle Windows-Fans ist die Funktion Continuum. Über das separat erhältliche Display Dock und ein USB-C-Kabel oder per drahtloser Miracast-Funktion (kompatible Geräte vorausgesetzt) lassen sich das Lumia 950 und Lumia 950 XL mit großen Monitoren nutzen. Die Anzeige mutiert dann zu einem abgespeckten Windows-Desktop und manche Apps können dessen Fläche sogar voll nutzen.

Hier spürt man ein bisschen die potenzielle Zukunft: Ein kleines, leistungsstarkes Gerät in der Hosentasche, das alle Computer, die man je brauchen könnte, ersetzt, je nach angeschlossenem Zubehör. Leider ist das aber in der Ausprägung noch Zukunftsmusik. Apps über Continuum lassen sich nur im Vollbild-Modus betreiben (was irgendwie komplett dem "Windows"-Aspekt von Windows widerspricht) und auch dann nur, wenn sie als universale App entwickelt wurden - was bisher nur wenige abseits Microsofts eigener Software (Office etc.) sind.

Um aber zum Beispiel eine Powerpoint-Präsentation auf einem großen TV-Schirm vorzuführen (sofern er eben Miracast beherrscht), ohne dafür einen Laptop mitschleppen zu müssen, dafür eignet sich Continuum hervorragend. Die Frage ist aber, wie oft das außerhalb mancher Berufsgruppen notwendig ist.

Fazit: Auf verlorenem Posten

Alles in allem muss man Microsoft für das Lumia 950 und Lumia 950 XL die Note "bemüht" ausstellen. Solide Hardware inklusive guter Kamera und nette Software-Ideen stehen einem unterdurchschnittlichen App-Angebot und Leistungseinschränkungen (siehe Akkulaufzeit) gegenüber. Microsoft hat hier zwar die besten Windows-Smartphones, aber nicht die besten Smartphones der Welt vorgelegt - allerdings auch nicht die schlechtesten. Die Lumias sind im guten Mittelfeld. Auch das Design ist zu zurückhaltend, um in die eine oder andere Richtung wirklich zu polarisieren. Dennoch, Fans der Plattform werden zufrieden sein. Aufgrund der Akkulaufzeit und des flotteren Prozessors wäre diesen empfohlen, dem Lumia 950 XL den Vorzug gegenüber dem Lumia 950 zu geben.

Wer aber schon in anderen Plattformen beheimatet ist, für den ist kein Feature dermaßen einzigartig, dass es ihn nun unweigerlich zu Windows 10 Mobile locken wird. Das ist durchaus schade, denn Windows Phone galt vor ein paar Jahren als potenzielle Hoffnung, um das Duopol von Apple und Google aufzubrechen. Der bisher marginale Marktanteil hat diese Hoffnung inzwischen eher zunichte gemacht. Viele langjährige Windows-Phone-Fans (der Autor dieser Zeilen inklusive) haben sich inzwischen Alternativen zugewandt. Ein bisschen fühlt man sich an Blackberry erinnert, dessen Blackberry 10 ein letztes Aufgebot war, um verlorene Fans zurückzuholen. Doch auch dieses schlug letztlich fehl.

Die Frage ist, ob das Microsoft überhaupt kümmert. Die Lumias wirken ohnehin fast mehr wie Technologie-Demos, um zu zeigen, was mit Windows auf mobilen Geräten so alles möglich ist. Gerüchte um ein potenzielles "Surface Phone", das stärker auf der Design-Ebene punkten könnte, halten sich allerdings. Und sollte es Microsoft mit Continuum und dessen Implikationen ernst sein, könnten zukünftige Versionen deutlich mehr Alleinstellungsmerkmal für Windows 10 Mobile bieten. Insofern bleibt es doch ein bisschen spannend um Microsofts Bemühungen in der mobilen Welt. Denn würde deren Zukunft nur am Lumia 950 und Lumia 950 XL hängen, ließe sich diese rasch voraus sagen. Leider.

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