Wien als Sprungbrett für Südosteuropa

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Viele Jungunternehmer aus dem Balkan träumen davon, in Wien für ein Start-up zu arbeiten oder gar eines zu gründen. Österreich bietet Rechtssicherheit und Raum für Experimente. Andere Start-ups haben das erkannt und bieten Hilfe an.

Da wäre ein IT-Ingenieur aus Serbien, der sich als Softwareentwickler selbstständig machen möchte. Oder ein Programmierer aus Cluj, Rumänien, der eine neue Geschäftsidee hat und nun einen verlässlichen Partner für sein Start-up sucht. Zwei Kandidaten, die sich unlängst auf der Gründer-Jobbörse Startus.cc registriert haben. Unter ihren Profilen, im Feld „Desired Location“ (erwünschter Arbeitsort) haben beide dieselbe Stadt eingetragen: Wien.

Für südosteuropäische Gründer gilt die österreichische Hauptstadt schon seit geraumer Zeit als besonders hip. In Wien gibt es eine üppige Förderlandschaft für innovative Ideen und eine funktionierende, wenn auch noch ausbaufähige Business-Angel-Szene. Vor allem aber bietet Österreich Jungunternehmern Rechtssicherheit: Die Behörden sind in der Regel kooperativ, Versprechen und Verträge werden eingehalten, man kann längerfristig planen. Das lockt junge Gründer aus dem Osten, die zu Hause mit ihren unkonventionellen Ideen auf Granit beißen.

Auf diesen Trend setzt David R. Prasser, der Gründer von Startus. Als der Jungunternehmer vor einem Jahr von Salzburg nach Wien übersiedelte, klapperte er auf der Suche nach Programmierern vergeblich Start-up-Stammtische ab. Gute Entwickler, die für ein Start-up arbeiten wollen, sind in Österreich nämlich Mangelware. Im Gegensatz zu gründungswilligen Wirtschaftern. Also machte sich Prasser im Ausland kundig. Und siehe da: Vor allem in Osteuropa gab es viele Programmierer, die sich für einen Job bei einem neu gegründeten Unternehmen begeistern ließen. So kam Prasser die Idee von Startus: ein Jobportal für Gründer aus dem Osten, die nach Österreich kommen möchten.

600 User in zwei Monaten. Der Bedarf scheint vorhanden zu sein. Obwohl das Start-up erst vor neun Wochen gegründet wurde, zählt das Portal schon jetzt 600 registrierte User. Neben potenziellen Gründern haben sich auch 150 Arbeitssuchende eingetragen. 120 von ihnen wollen nach Wien kommen.

Noch steckt die grenzüberschreitende Kooperation freilich in den Kinderschuhen: „Wenn in Wien ein paar WU-Studenten beschließen, den App-Markt zu revolutionieren, suchen sie oft vergeblich nach Entwicklern. In Bratislava hingegen ist die Situation genau umgekehrt. Dort würden Programmierer dringend Unterstützung benötigen“, sagt Prasser. Langfristig, davon ist der Jungunternehmer überzeugt, würden geografische Barrieren aber keine Rolle mehr spielen. „Unsere Generation wird die erste richtig mobile Workforce in Europa werden“, sagt er.

Neue Generation Gastarbeiter. Jobsuchende, die bereit sind, ihre Heimat zu verlassen? Ganz neu ist das Phänomen nicht. Schon in den Sechzigerjahren kamen, angelockt durch Anwerbeabkommen der österreichischen Wirtschaft, hunderttausende Gastarbeiter aus dem damaligen Jugoslawien nach Österreich. „Gastarbajteri“ wurden die Fortziehenden von ihren Landsleuten genannt. „Anders als in Österreich ist dieser Begriff am Balkan noch immer sehr positiv besetzt“, sagt Oliver Ibel. Der 42-jährige Grazer hat vor einem halben Jahr mit einer Handvoll Gleichgesinnter das Start-up „Gastarbajter 2.0“ gegründet, eine Vermittlungsagentur für kroatische Fachkräfte.

Anders als für die erste Generation der Gastarbeiter reicht es für Ibels Klienten freilich nicht aus, zwei gesunde Hände zum Arbeiten zu haben. Gefragt sind Spezialisten, die Leistungen erbringen, zu denen österreichische Unternehmen nicht imstande sind. Das, sagt Ibel, habe seinen Preis: „Mit Lohndumping haben wir nichts zu tun.“

Noch einen Unterschied gibt es: Die 25 bei Gastarbajter registrierten Handwerker und IT-Fachleute denken gar nicht daran, nach Österreich zu ziehen. Im Rahmen der – noch – beschränkten Dienstleistungsfreizügigkeit bieten sie österreichischen Auftraggebern ihre Dienste an, ausgeführt werden diese zu Hause. „Etwa ein Lackierbetrieb, der alte Fenster saniert. Sie werden abgeholt, in Zagreb bearbeitet und dann wieder nach Österreich gebracht“, sagt Ibel. Das Start-up wurde erst in Zagreb angemeldet, demnächst sollen Niederlassungen in Wien und Graz entstehen. Die Firmenadresse in Kroatien habe für seine einheimischen Partnerunternehmen einen symbolischen Wert, betont Ibel. „Wenn sie bei einem kroatischen Unternehmen registriert sind, ist die Hemmschwelle geringer.“ Was er nicht verschweigt: Auch die „unterschiedlichen Mentalitäten“ würden mitunter für Probleme sorgen, manches laufe eben am Balkan lockerer. „Bisher haben wir es aber immer geschafft, das konsensual zu lösen.“

Sprachbarriere fällt weg. Anders als vor 50 Jahren fällt heutzutage in den meisten Fällen eine große Barriere weg: die Sprache. Vor allem im internationalen Start-up-Bereich ist Englisch oft die Geschäftssprache, das erleichtert Kommunikation auf Augenhöhe. „English is better for me”, sagt Ondrej Gandel mit einem Lachen. Der Slowake ist seit 2013 Geschäftsführer von Inventures, einem Medienunternehmen, das von Wien aus eine gesamte Start-up-Region vertritt. Seit zwei Jahren setzt Inventures Gründer aus Zentral- und Osteuropa mit News, Porträts und Corporate Publishing international in Szene. Gandel war so überzeugt von dieser Idee, dass er seinen Job bei Sony London aufgab, um mit Frau und Kind nach Wien zu ziehen.

Vier Österreicher und ein Slowake arbeiten in der Wiener Inventures-Niederlassung. Insgesamt hat das Unternehmen Redakteure in zwölf Ländern. „Die aufkommende Szene in Südosteuropa bekommt nicht die Aufmerksamkeit, die sie braucht“, bedauert Gandel. Seine Strategie: Er gibt Gründern in seinen Medien Raum für ihre Erzählungen. So bekommen deren Firmengeschichten Lokalkolorit.

Auch Alen Velagic bittet Menschen mit ihren Geschichten vor den Vorhang. Der 29-jährige Politikwissenschaftler hat vor einem Jahr seinen Lebensmittelpunkt von Wien nach Sarajevo verlegt. Dort will er gemeinnützigen Organisationen auf die Beine helfen. Bosnien ist eines der ärmsten Länder Europas, die Zivilgesellschaft ist vergleichsweise schwach. Velagic berät junge Menschen mit innovativen Projekten dabei, wie sie sich in Österreich an Geldgeber wenden können. „Ich helfe ihnen bei ihren Businessplänen und Marketingstrategien“, sagt er. In den kommenden Wochen soll seine Website „Balkan Crowdfunding“ online gehen. Die Adressaten: Auswanderer. „Wir wenden uns gezielt an die bosnische Diaspora in Österreich, die nachhaltige Projekte in ihrer Heimat unterstützen will“, sagt Velagic. Balkan Crowdfunding wurde vorerst als gemeinnütziger Verein in Wien gegründet, trotzdem fühlt sich Velagic wie ein Start-up-Manager: „Es ist wahnsinnig spannend, wenn man mit den eigenhändig etwas aufbauen kann.“

Wien ist nicht Silicon Valley. Vor allem am Balkan nimmt Österreich durch seine Geschichte eine Sonderposition ein. Konkurrenzlos sind die Wiener aber schon lange nicht mehr. Inventures-Chef Gandel beobachtet seit Längerem, dass auch nichteuropäische Firmen in Südosteuropa gezielt nach jungen Talenten suchen. Denn diese würden für einen Bruchteil der in Silicon Valley üblichen Gehälter gute Arbeit leisten. Für Start-ups in der Anfangsphase hingegen sei Österreich der ideale Markt, um Innovationen zu testen. „Statt zu versuchen, das nächste Silicon Valley zu werden, kann Wien der Ort werden, an dem Prototypen und Software entwickelt werden“.

von Osten nach Westen

Startus.cc
Startus ist eine Job-Plattform für Start-ups, auf der Gründer nach potenziellen Mitarbeitern und umgekehrt suchen können.

Inventures.eu
Die Start-up-Plattform setzt Start-ups aus Südosteuropa in Szene.
„Gastarbajter 2.0“

Das Start-up vermittelt kroatische Fachkräfte an Österreicher.

Balkan Crowdfunding
Die Plattform – die in Kürze online gehen soll – richtet sich an die bosnische Diaspora in Österreich, die so Start-ups in ihrer alten Heimat unterstützen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.