Pioneers Festival 2014: »Es ist hart, hart, hart«

An employeer of German startup Panono displays a 360 degrees camera during the Pioneers festival in Vienna
An employeer of German startup Panono displays a 360 degrees camera during the Pioneers festival in Vienna(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Sie ließen ein Auto fliegen, Roboter mit künstlicher Intelligenz über die Bühne flitzen und versuchten, ihre Start-ups so gut wie möglich zu verkaufen. Doch das war nicht immer leicht.

Mittwochvormittag im Festsaal der Wiener Hofburg: Das Auto hebt nicht ab. Gespannt recken die Besucher – der Saal ist brechend voll – ihre Köpfe nach dem spacigen Gefährt, das wie ein überdimensionierter futuristischer Sportwagen aussieht. Unter den Ohs und Ahs der Schaulustigen und den Blitzlichtern der Fotografenmeute fährt es schließlich seine Flügel aus – nur fliegen kann es in der Hofburg freilich nicht.

Mittwochvormittag wurde der Welt erstmals der Protoyp des Aeromobils 3.0 vorgestellt: ein fliegendes Auto. Dass es tatsächlich fliegen kann, zeigt ein Video, das eingepeitscht von wummerten Bässen vorgeführt wird. Irgendwo in den Feldern der Slowakei, wo die beiden Gründer, Juraj Vaculík und Stefan Klein, diesen Jungentraum wahr gemacht haben. „Dass wir es geschafft haben, ist ein Ruf zu euch hinaus: Bleibt neugierig, seid hartnäckig, schafft etwas Neues!“, ruft Vaculík in die Menge. Und Neues haben die meisten der 2500 Besucher auch vor: Mittwoch und Donnerstag hat wieder das Pioneers Festival stattgefunden, Österreichs auch im Ausland hoch gelobte Start-up-Konferenz. 2500 Teilnehmer (Gründer, Vortragende, Unternehmer, Investoren) aus der ganzen Welt trafen sich dafür in der Hofburg, um Geschäfte zu machen.

10.00 Uhr, vor dem Festsaal: So wie Vladlena Taraskina und Mathias Kubicki vom Start-up Key to Office. Die beiden stehen vor dem großen Festsaal. Aufgeräumt wirken sie, seriös und ernsthaft. Ein starker Gegensatz zur wildschnatternden Menge, die sich um sie drängt. Die beiden Gründer von Key to Office wollen ihr Produkt – „das Airbnb für Meetingräume“ – Investoren schmackhaft machen. Dafür haben sie bereits im Vorfeld einige Termine vereinbart. Denn Investoren erkennt man auf dem Festival daran, dass sie auf ihren Eintrittsbadges Geldsäcke haben (bei den Start-ups sind es Glühbirnen), aber: „Man kann ja nicht einfach auf jemanden zugehen und sagen, hallo, du bist also ein Investor, wir bräuchten Geld“, sagt Taraskina.

10.15 Uhr. Die Stimmung am Festival steigt. Für viele ist schon zu Beginn der wichtigste Moment. Sie stellen ihr Start-up dem Publikum vor. Auf den Gewinner der Pioneers Challenge warten immerhin 50.000 US-Dollar Seed Investment vom Speedinvest (siehe Infokasten) Austrian-Start-ups-Gründer Can Ertugrul peitscht die Masse mit Pharell Williams und einigen lockeren Tanzschritten auf die Auftritte der Start-ups ein. Diese haben 90 Sekunden, um ihr Geschäftsmodell zu zeigen. Danach feuert das Publikum mittels App Fragen an das Start-up ab, die auf einem Bildschirm auf der Bühne erscheinen. Cortical.io ist ein Programm, das es Computern ermöglicht, Sprache in einen „semantischen Fingerabdruck“ zu übersetzen, Amicomed ist eine App, die hilft, den Blutdruck zu reduzieren. Maksim hat sich auf Online-Marktsimulationen spezialisiert und gibt sogar Prognosen für Produkte ab, die noch in der Entwicklungsphase sind. Pryv ist ein französisches Start-up, das eine Art Gesundheitsmonitoring für Patienten anbietet, die frisch aus dem Spital kommen. Health care ist definitiv eine der größten Spielwiesen derzeit für Gründer. Acht Start-ups sind nach dem Pitch im Finale.

11.40 Uhr, in den Gängen: Männer. Wo man hinblickt, sind es vor allem junge Männer, die sich durch die Hofburg drängen. Sie tragen Jeans und Pulli, Jeans und Sakko, und wenn schon einer einen Anzug anhat, dann natürlich nur mit den obligatorischen Sneakers. Gefühlter Altersdurchschnitt: 32. Gefühlter Frauenanteil: ein Prozent. Die Damentoiletten in der Hofburg sind so verlassen, dass man Walzer darin tanzen könnte.

12.00 Uhr, Stiegenaufgang: Auf dem Weg zum Festsaal ist ein kleiner Roboter direkt vor der Büste von Kaiser Franz Joseph stationiert. Der Roboter imitiert die Bewegungen der Menschen, die vor ihm stehen bleiben. Und irgendwie scheint es, als würde er sich über das versteinerte Gesicht von Österreichs letztem großen Kaiser lustig machen.

13.30 Uhr, auf der Stiege: In einer Ecke steht Stefan Ponsold, Gründer von Sunnybag, einer Tasche mit Sonnenkollektoren, die Energie für mobile Geräte wie Smartphones oder Tablets liefert. Eben hat Außenminister Sebastian Kurz beim seinem Stand Halt gemacht – stolz zeigt Ponsold das Beweisfoto auf seinem Handy. Den Platz auf der Stiege findet er super: „Da kommt jeder vorbei.“ Er will hier vor allem neue Kunden anwerben, und Kooperationspartner finden – schließlich sind namhafte und finanzkräftige Konzerne wie Red Bull hier vertreten.


14.00 Uhr. Warum sollen etablierte Unternehmen mit Start-ups zusammenarbeiten?“ lautet das Thema einer Diskussion im Spotlight-Saal. Schon in der Pressekonferenz räumt Cisco-Manager Tom Yoritaka ein: „Wir wissen einiges, aber nicht alles“. Viele disruptive, also bahnbrechend neue Ideen kämen eben von Start-ups. Auch Telekom Austria-Vorstand Hannes Ametsreiter sagt: „Unternehmen brauchen eine offene Plattform, man kann nicht angstvoll auf bestimmte Entwicklungen starren, man muss Teil der Garagenfirmen werden“.


Nach 14 Uhr: Wer jetzt kann, der trifft sich sich in der Meeting Area mit Investoren und zukünftigen Partern. Dafür verwenden man so wie das Start-up Key to Office die Pioneers-App. Die Besucher können via App, bei Firmen und anderen Teilnehmern um ein Meeting anfragen. Wird es bestätigt, trifft man sich. Der Saal ist rund um die Uhr besetzt. An den kleinen Tischen sitzen Grüppchen zusammen und diskutieren: Was willst du mit deinem Start-up, was willst du von uns? Die meisten sind schnell per Du, gesprochen wird sowieso meistens Englisch, selbst wenn klar ist, dass es sich zum zwei Österreicher handelt.


Donnerstag, 10 Uhr: So geht es auch am am Donnerstag weiter. Der Tag beginnt mit Yoga. Im großen Festsaal steht Ciara Byrne barfuß auf der Bühne und versucht mit eindringlicher Stimme ihr Publikum zum Mitmachen zu Animieren. Und zu beruhigen: „Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen“, tönt ihre Stimme durchs Publikum. Und das halb gefüllte Auditorium macht zum Großteil sogar mit. Soweit es die Zeit freilich zulässt. Manche tippen zwischen den Übungen am Smartphone, andere in den vor ihnen aufgeklappten Laptops. „Strecken, Hände die Höhe“, ruft Byrne. Einer jungen Frau geht es nicht schnell genug, sie turnt ihr eigenes Yogaprogramm im Gang. Zum Abschluss reißt Ciara Byrne Augen und Mund auf und atmet laut aus. „Wie ein Tiger“ ruft sie. Die Teilnehmer sehen sie etwas ratlos an – und anstatt mitzumachen, fotografieren sie sie.

Eröffnung, 10.25 Uhr: Es sind definitiv weniger Menschen als am Vortag um die Uhrzeit in der Hofburg. Was wohl mit der Afterparty zum Vorabend zu tun haben könnte, überlegen Pioneers-Chef Andreas Tschas und die zwei Moderatoren auf der Bühne.


Festsaal, 11 Uhr: Auf diese Präsentation haben die Besucher gewartet. Das Start-up Anki Drive betritt die Bühne. Es hat Spielzeugrennen-Autos mit künstlicher Intelligenz entwickelt. Während des Fahrens lernen die Autos ständig dazu – und werden schneller. Man kann sie manuell bedienen, oder als Roboter fahren lassen.

2013 war Anki das erste Start-up, das auf Appless WWDC launchen durften. Im Pioneers Programm steht es als „Silicon Valley Success Story“. Das Spielfeld sieht aus wie eine Art Carrera-Bahn auf einem auf dem Boden liegenden Flatscreen. Gründer Hanns Tappeiner erzählt die Entstehungsgeschichte und versucht, mit Witzchen über die doch längere Programmierung des Spiels zu retten. In Rot, Gelb, Blau und Grau flitzen die Autos dann über die Bühne. Weil sie selbst wissen, wie die Bahn läuft, können sie diese nicht verlassen. Wird ein Auto verkehrt hineingesetzt, dreht es sich richtig. Ziel ist es, die anderen Autos aus der Bahn zu schießen. Am Ende gibt es höflichen Applaus. Vielleicht, weil die Idee spektakulärer klingt, als sie aussieht.

12.30 Uhr, Meeting Area: Alexander Karakas steht unter Strom. Er hat die Nacht kaum geschlafen, weil er am Tag davor acht Energy Drinks getrunken hat. Bis um drei Uhr früh ist er im Büro gesessen und hat den Festival-Vortag aufgearbeitet. Karakas ist Mitgründer des Start-ups Feels like Home und für Networking und Sales zuständig. Feels like Home ist eine kostenlose „Relocation“-Plattform, auf der Auslandsstudenten geholfen wird, sich besser in Wien zurechtzufinden. Vom Finden einer Wohnung bis zum Eröffnen eines Bankkontos etc. Das Angebot ist für die Studenten gratis. Karakas und seine zwei Gründungskollegen verdienen durch Partnerschaften. Wenn sie etwa einer Bank einen Studenten für ein Konto vermitteln. „Close more deals“, sagt Karakas und wiederholt sein Mantra an diesem Tag. Er hat überlegt, es sich auf die Hand zu tätowieren. Seine Stimme überschlägt sich fast, wenn er spricht. So wie die meisten hier versucht er, in möglichst kurzer Zeit sein Start-up vorzustellen. Seine Sätze untermalt er mit Broschüren, Screenshots und Gesten. Er hat dunkle Haare, eine randlose Brille und trägt ein T-Shirt mit dem Namen seiner Firma (wie so viele hier). Ein Headset baumelt von seinem Ohr. Karakas ist euphorisch. Eben hat ihm ein potenzieller Partner eine halbe Zusage für eine neue Kooperation gegeben. So etwas hebt die Stimmung. Er Nein akzeptiert er nicht immer gleich. „Was können wir tun, damit die Kooperation klappt?“, fragt er dann. Karakas hat gelernt, hartnäckig zu sein. Auch heute hat er noch viel vor. Er will Mitarbeiter von Almdudler, Red Bull und Jollydays treffen.


14.45 Uhr: Auszug aus dem Gespräch über Agrar-Start-ups: Ja, Insekten seien eine Lösung für Ernährung in der Zukunft, sagt Nitza Kardish von Trendines Agtech, einer Firma, die in Agrar-Startups und Food-Technologie investiert.


15 Uhr, Academy: Der Unternehmenscoach Jerry Colonna war schon dort, wo Alexander Karakas einmal sein möchte. Mit 38 war er einer der erfolgreichsten Risikogeldinvestoren in den USA, stand in den „100 einflussreichsten Menschen“-Listen und war trotzdem so depressiv, dass er immer wieder an Selbstmord dachte. Jetzt steht er vor dem Publikum und spricht über ein Tabuthema in der Branche: die Angst vorm Scheitern. „Wer von euch hat das Geld seiner Familie investiert?“, fragt Colonna, ein schmaler Mann, der entspannt auf der Bühne herumgeht. Ein paar Hände gehen in die Höhe. „Es gibt also Menschen, die an uns glauben.“ Das mache das Scheitern hart. Vor allem, wenn man wisse, dass 95 Prozent aller Start-ups es tatsächlich nicht schaffen. Ein Start-up-Unternehmer zu sein sei „hart, hart, hart“. Colonna wiederholt es immer wieder. Und niemand spreche darüber. Er empfiehlt daher drei Strategien: Erstens, radikal ehrlich mit sich zu sein (manchmal arbeitet man aus Angst vor dem Scheitern so viel), zweitens, immer wieder zur hinterfragen, warum man sich das antut, und drittens, sich regelmäßig Auszeiten zu nehmen. Hat sich am Anfang die Hälfte des Saals noch mit den Smartphones beschäftigt, ist es nun still. Alle lauschen Colonna. Und manche schauen nachdenklich. So, als fühlten sie sich ertappt.

15.30 Uhr: Das Finale des Start-up-Wettbewerbs Pioneers-Challenge beginnt. Acht Finalisten kämpfen um den Sieg. Übrige geblieben sind unter anderem das Hardware-Startup Brck, das Start-up Tag & Find zum Finden von verlegten Dingen und das Finanz-Sortware-Start-up Oradian, das Microfinance-Institutionen helfen will. „Wie schwierig ist es, euch zu kopieren, wo wollt ihr in zehn Jahren stehen?“, will die Jury immer wieder wissen.


16 Uhr: Alexander Karakas Nachmittag war nur mäßig erfolgreich. Von den Personen, die er treffen wollte, hat er niemanden erreicht. Enttäuscht ist er deswegen nicht. „Show up, follow up, close the deal“, sagt er. „Es wird schon zu irgendeinem Treffen kommen.“

19 Uhr: Das Festival geht zu Ende. Der Sieger der Pioneers Challenge wird gegen 19 Uhr verkündet. Das Finanz-Start-up Oradian gewinnt. Alexander Karakas wird die Hofburg erst gegen 20 Uhr verlassen und noch auf die Afterparty schauen. Aber nicht mehr lange. Am nächsten Tag fliegt er nach Berlin. Um dort in der Szene neue Kontakte zu knüpfen. Auch Matthias Kubicki von Key to Office wird die Aftershowparty kurz nach Mitternacht verlassen. Die meisten haben bis zum Morgen weitergefeiert. „Witzig war's“, sagt er. Der zweite Festivalltag ist für das Team von Key to Office ziemlich gut gelaufen. Wegen einer Zufallsbekanntschaft. Dadurch wurde sie zu einem Investorenessen eingeladen.

Gewinner

Pioneers Challenge: Am Pioneers Festival wurden auch die Finalisten einzelner Startup-Programme präsentiert: So gewann das Finanz-Startup-up Oradian, die mit 50.000 Euro dotierte „Pioneers Festival Challenge“ und tritt nun zu einer Investorenreise an.

EiR: Die Firma Cisco startet den ersten Europa-Ableger seines Entrepreneurs in Residence-Programms in Wien. Mit dabei: Die Big Data and Analytics-Startups Dataiku, MommothDB, Metat Innovations, die Smart City-Startups Graphmasters und CE Gateway sowie das IoT/Cloud-Startup Flatout.

Wikitude: Das Salzburger Startup konnte sich mehr als eine Million Euro Investition von Konica Minolta sichern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)


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