Aus für Schimpansen-Resozialisierung?

Verhaltensforschung. In Gänserndorf wurde die betreuende Forschung an ehemaligen Laboraffen eingestellt.

Bis zu 26 Jahre Einzelhaltung, teils ab dem frühesten Säuglingsalter: Die 44 Schimpansen, die heute im ehemaligen Tierpark Gänserndorf leben, haben einiges hinter sich. Sie sind Veteranen der medizinischen Forschung, waren erst Versuchstiere bei Immuno, nach der Übernahme wurden sie Eigentum der Firma Baxter. Nun sind sie im Ruhestand, im Rahmen eines „Pensionierungsprojekts“ – wie es der US-amerikanische National Research Council 1997 empfohlen hat, unter Berufung auf die „profunden psychologischen und sozialen Ähnlichkeiten zwischen Schimpansen und Menschen“.

Kann man Schimpansen, die so lange isoliert waren, „resozialisieren“? Die Zoologin Signe Preuschoft, die u.a. beim berühmten Primatologen Frans de Waal gearbeitet hat, hat Ende 2001 unter Finanzierung der Firma Baxter – bis maximal 2012, 15 Euro pro Affe und Tag – die Leitung des einschlägigen Projekts übernommen: Die Schimpansen wurden/werden behutsam wieder in Gruppen zusammengeführt; sie stehen dabei unter Geburtenkontrolle, die Weibchen durch ein Hormonimplantat à la Pille, die Männchen durch Vasektomie. Das bringt allerdings neue Spannungen mit sich, da die Tiere dadurch sexuell viel aktiver sind.

„Erlernte Hilflosigkeit“

„Meine zentrale Idee war, dass die Tiere unter erlernter Hilflosigkeit leiden“, erklärt Preuschoft: „Sie hatten nie das Gefühl, dass sie Herr dessen waren, was mit ihnen geschah. Wir mussten ihnen klar machen, dass sie von nun an ihr Leben bestimmen würden. Wir mussten Situationen schaffen, in denen sie aus ihren Schneckenhäuschen herauskommen können. Doch das mussten die Schimpansen miteinander verwirklichen. Wir waren nur die Regisseure, die bestimmten, wie viele Kontaktmöglichkeiten sie mit ihresgleichen hatten.“

Wie äußert sich die „erlernte Hilflosigkeit“? Durch Inaktivität und Ängstlichkeit, physiologisch messbar durch chronisch erhöhte Werte des Stresshormons Cortisol, erfassbar auch durch Verhaltensexperimente: „Wir haben ihnen etwa Plüschtiere gegeben und gewartet, wie lange es dauert, bis sie diese anfassen“, erzählt Preuschoft. Dabei hängt der Grad der Störungen stark davon ab, wie alt die Schimpansen waren, als sie als „Wildfänge“ von der Mutter getrennt und ins Labor gebracht wurden. Die Affen, die schon mit einem Jahr ins Labor gekommen waren, wagten sich nach der Übersiedlung in den Tierpark nur sehr langsam ins Gehege. „Sie trauten sich zuerst nur an die Gitterstäbe, die für sie vertrautes Material waren“, so Preuschoft, „die Holzschnitzel auf dem Boden und die Bäume fanden sie offenbar unheimlich. Sie sind auch nie höher geklettert.“

Dass der Zeitpunkt der „Deprivation“ (also der Trennung von der Mutter) wesentlich für das Ausmaß der Störungen ist, entspricht der Theorie des britischen Arztes und Psychoanalytikers John Bowlbys, die dieser freilich für Menschen entwickelte. Doch Forscher aus Graz und Wien fanden an den Schimpansen von Gänserndorf, dass es auch bei ihnen eine sensible Phase in der frühen Kindheit gibt, die fürs ganze Leben die Fähigkeit zu Bindungen bestimmt.

So zeigten sich auch in den ersten Kontaktaufnahmen zu Artgenossen deutliche Unterschiede zwischen den Tieren: „Die früh isolierten waren anfangs ganz kontaktunfähig. Wenn ein anderer Schimpanse mit ihnen Kontakt aufnehmen wollte, schauten sie weg. Die weniger Schüchternen, weil später Isolierten waren dagegen manchmal zu stürmisch, zu aufgeregt, als ob sie alle Emotionen auf einmal hätten: begeistert und freundlich, aggressiv und sexuell erregt zugleich. Am gefährlichsten ist es immer, wenn sie die Nerven wegwerfen: Dann kreischen sie verzweifelt, kommen ans Gitter, um uns Menschen zur Hilfe zu rufen, statt die Artgenossen um Frieden zu bitten.“

Sie trösten sich gegenseitig

Schimpansen seien „leicht emotional anzustecken“, meint Preuschoft, „das hat uns oft an das Verhalten von Menschen im Fußballstadion erinnert.“ Und sie schildert rührende Szenen: „Wenn zwei einander noch fremde Schimpansen fürchten, dass der Tierarzt hereinkommt, dann fallen sie einander in die Arme und trösten sich gegenseitig.“

Aus der Zusammenarbeit mit meist jungen Wissenschaftlern etlicher Institutionen – Uni Graz, Uni Wien, Veterinärmedizinische Uni Wien, Uni Zürich (Anthropologie), Konrad-Lorenz-Institut Wien – sind einige Publikationen entstanden, zuletzt etwa ein Artikel in Hormones and Behaviour (51, S.428), mit dem Resümee: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass sich Schimpansen von schwerer sozialer Deprivation erholen können, und dass sie die Resozialisierung als weniger stressig erleben als die Einzelhaltung.“

Oktober 2006: Stopp der Forschung

Alle 44 einst nach Gänserndorf übersiedelten Schimpansen leben noch; es tragen zwar einige HIV- oder Hepatitis-C-Viren in sich, die Krankheiten brechen bei Affen aber nicht aus. Die Zusammenführungen sind bis heute nicht abgeschlossen – und sie wurden jäh abgebrochen, wie das ganze Projekt: „Im Oktober 2006 hat der Masseverwalter des Tierpark-Konkurses die Wissenschaftler ausquartiert und ihnen mitgeteilt, dass die Studien beendet seien“, berichtet Karl von Schaik (Uni Zürich). Als Grund wurde das Sicherheitsrisiko angegeben, unter Berufung auf das Arbeitsinspektorat. Die Tierpfleger, deren Sicherheit wohl mehr gefährdet ist als die der Forscher, arbeiten freilich noch dort.

Der Abbruch des Projekts sei für die Forschung höchst schade, meint Preuschoft: „Diese Affen sind eine einzigartige Ressource für nicht-invasive Forschung über Sozialverhalten, Kognition und klinische Psychologie.“ Aber auch das Wohlbefinden der Schimpansen sei in Gefahr: „Sie brauchen wissenschaftlich fundierte Betreuung, um ihre psychischen und sozialen Störungen zu überwinden.“ Und das sei man ihnen schuldig: „Die Affen haben Jahrzehnte ihres Lebens im Dienste der biomedizinischen Forschung verbracht, jetzt ist es an uns, uns erkenntlich zu zeigen.“

Inline Flex[Faktbox] CHRONOLOGIE("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.