Wenn Doktor Watson diagnostiziert

AP
  • Drucken

James Watson hat mit Thesen zur Intelligenz provoziert. In seinem neuen Buch attestiert er einem ähnlich provokanten Kollegen ein genetisches Leiden.

Wenn Sie ein intelligentes Kind wollen, dann sollten Sie eine intelligente Frau heiraten.“ So dreist antwortete James Watson auf die naive Frage eines Reporters, ob seine Arbeit denn zu „genetisch verbesserten Menschen“ führen könnte. Das war 1962, Watson hatte gerade den Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung der Struktur der DNA bekommen, des „Moleküls, das Stil hat“, wie sein Co-Preisträger Francis Crick sagte. Stil hatten die beiden damals auch, der britische Dandy und der amerikanische Schlurf, „souveräne Arroganz“ bestätigte ihnen Institutschef Max Perutz, sie konnten es sich leisten. Der Coolness Watsons konnten nicht einmal peinliche Sprüche à la „Ich entdeckte die DNA-Struktur, weil ich eine Freundin haben wollte“ etwas anhaben.

Damals. 45 Jahre später kostete ihn seine schnelle Zunge nicht nur ein Ehrenamt am Cold Spring Harbor Laboratory, sondern auch Vortragseinladungen an renommierte Institute. Er habe die Grenze akzeptabler Debatte überschritten, beschied ihm das London Science Museum.

Er fühle sich trübsinnig, wenn er an die Zukunftsaussichten Afrikas denke, hatte Watson laut „Sunday Times Magazine“ gesagt: Denn „all unsere Sozialpolitik basiert auf der Tatsache, dass ihre Intelligenz die gleiche ist wie unsere – während alle Tests ,nicht wirklich‘ sagen“. Er hoffe zwar, dass alle gleich seien, aber „Menschen, die mit schwarzen Angestellten zu tun haben, finden, dass das nicht wahr ist“.

Zyniker werden vermuten, dass das Aufsehen über diese Bemerkungen wenigstens das Interesse an Watsons neuem Buch gesteigert habe. Zumindest in Österreich nicht: Auch die English Bookshops importierten „Avoid Boring People“ (der Titel ist schön doppeldeutig!) nicht.

Tatsächlich reicht die mit amüsanten Ratschlägen (siehe unten) garnierte Erzählung nicht an Watsons „The Double Helix“ heran, enthält aber witzige Einblicke in die Karriere eines Wissenschaftlers, der sich stets gern ein wenig trotzig gab und viel von der Schärfe seines (sprachlichen) Ausdrucks hielt, bei sich selbst etwa „attempted Oscar-Wilde-like epigrams“ liest.

„Alle Mädchen hübsch machen“

Bedenkliche Passagen finden sich kaum, der inkriminierte – und von Watson in Interviews unglücklich verstärkte – Satz steht unmotiviert und ziemlich isoliert im Schlusskapitel: „A priori gibt es keinen festen Grund anzunehmen, dass die intellektuellen Fähigkeiten von geografisch separierten Völkern sich als identisch evolviert erweisen sollten.“ Gibt es vielleicht nicht, aber es gibt schon gar keinen Anlass, das Gegenteil anzunehmen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Watson wieder einmal keck die „political correctness“ provozieren wollte (die in diesem Bereich in den USA besonders streng ist, verständlich, wenn man die lange Unterdrückung der Afroamerikaner bedenkt).

Es ist nicht das erste Mal, Watsons lockere Sprüche sind Legion. Oft beziehen sie sich auf Intelligenz (die ihm über alles geht) und auf zukünftige Möglichkeiten seines Standes, der Genetiker. Wenn es „uns“ gelingen sollte, „alle Mädchen hübsch zu machen“, wäre das großartig, sagte er oder zeigte Verständnis für Frauen, die nach der In-utero-Diagnose eines (fiktiven!) Homosexuellengens ihr Kind abtreiben wollen, da „sich ja die meisten Frauen Enkelkinder wünschen“.

Auch für Abtreibung von voraussichtlich behinderten Kindern zeigte er Verständnis: „Die meisten Frauen wollen diese Last nicht.“ Hinter den Flirts mit Eugenik stand persönliche Tragik: Watson hat einen schizophrenen Sohn, der in einer Zeit aufwuchs, als die Medizin noch nicht an genetische Faktoren für Schizophrenie dachte.

„Typisch für Asperger-Syndrom“

Eine genetische Erklärung sucht Watson für den Charakter eines Kollegen, der sich ebenfalls mit einem Sager ins Abseits manövriert hat: Larry Summers, Ex-Präsident der Harvard University. Er vermutete 2005 bei einer Konferenz über Frauen in der Wissenschaft – explizit „off the records“! –, der geringe Anteil von Frauen in Toppositionen in Physik und Mathematik könnte teilweise durch geringeres angeborenes Potenzial zu erklären sein. Summers trat kurz nach der folgenden Aufregung vom Amt zurück.

Watson zeigt Verständnis: Summers' „soziale Unfähigkeit“, sein Unvermögen, die Gefühle von Mitmenschen zu verstehen, sei typisch für das Asperger-Syndrom, eine milde Form des Autismus, wie sie bei Mathematikern häufig sei. „Wenn Summers' Taktlosigkeit tatsächlich eine genetische Basis hat, sollte der Zorn, der ihm entgegengebracht wird, dem Mitleid weichen.“

Ob sich Kollegen mit ähnlich einfühlsamen Worten für James Watson finden?

ZUR PERSON: James Watson

Geboren 1928 in Chicago, mit zwölf Gast bei der TV-Show „Quiz Kids“, mit 15 schon an der Uni: Studium der Biologie. 1953 „Nature“-Publikation mit Francis Crick über „A structure for Desoxyribose Nucleic Acid“.

Nobelpreis 1962, mit Crick und Maurice Wilkins. Bücher (Auswahl): „The Double Helix“ (1968), „Avoid Boring People“ (2007).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.