Alte Knochen in Hülle und Fülle

(c) Die Presse (Erich Witzmann)
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Seit acht Jahren sucht Horst Seidler nach dem „Connecting Link“ der Menschheitsgeschichte. Vielleicht hat er es sogar schon gefunden.

Das Areal mit einem Ausmaß von 100 Quadratkilometer scheint auf dem ersten Blick etwas überdimensioniert. Es ist eine erdige, leicht gewellte Landschaft, kein Gras aber mit einigen Büschen. Dann wieder zehn, 20 Meter tief eingeschnittene Flussläufe, die gerade in der Regenzeit Wasser führen. Horst Seidler hebt ein Stück auf, heute ein Stein, vor vier Millionen Jahre der Oberarmteil eines mittelgroßen Säugetiers. Der Korpus mit allen Faserungen ist gut sichtbar.

Der Wiener Anthropologe stößt in diesem Gebiet im Westen Äthiopiens – die Somali-Region Galili – auf Schritt und Tritt auf derartige Funde. Die Fossilien lassen sich auf Grund früherer Ausgrabungen sofort den Tieren des Pliozän zuordnen: Elefanten, Krokodile, Wasserbüffel, Löwen. Affen. „Niedere Altweltprimaten“, sagt Seidler. Das Alter: bis zu vier Millionen Jahre.

Seidlers Arbeiten, die sich in Äthiopien auf die Ursprünge der Menschheit konzentrieren, sind ein – nicht ganz unumstrittenes – Aushängeschild der österreichischen Auslandsforschung. Umstritten deshalb, weil es in Äthiopien schwerwiegende Auseinandersetzungen mit den „Nachbarforschern“ gegeben hat. Die Universität Berkeley forscht in einem angrenzenden, noch größeren Areal. Die US-Wissenschaftler sind schon länger im Gebiet, haben dadurch einen Vorsprung an Funden wie Publikationen und sind um das Jahr 2000 offensiv gegen Seidler vorgegangen. Dieser wiederum hat sich der Freundschaft äthiopischer Behörden versichert, er konnte sich in Galili behaupten und – wie er sagt – mittlerweile den Streit beilegen. Eine wissenschaftliche Kooperation mit Berkeley gibt es aber nicht.

Jagd nach dem Sensationsfund

Seidler ist durch die Gletschermumie Ötzi 1991 auf die anthropologische Forschung gestoßen. Der Wiener Uni-Professor für Anthropologie war von Beginn an Mitarbeiter im Innsbrucker Team, das den Mann vom Similaungletscher untersuchte. Die nächste Station war Peru, wo Seidler wissenschaftliche Analysen an Eismumien der Chachapoya-Indianer anstellte. Seine Untersuchungen stützen sich auf die Computertomografie – und darauf basierend auf die Herstellung von Modellen. In den späten 1990er-Jahren stieß er nach Äthiopien, 2000 war das erste Ausgrabungsjahr.

Seidler jagt wie alle Anthropologen einem Sensationsfund nach, wie er Donald Johanson 1974 in Hadar, etwa 200 Kilometer von Seidlers Areal entfernt, mit der Auffindung von „Lucy“ gelang. Von Lucy konnten etwa 40 Prozent des Skeletts geborgen werden, das Alter wird mit 3,2 Millionen Jahre datiert. Stößt Horst Seidler auf ein interessantes Stück, dann wird dieses sofort per GPS vermessen. Ein mindestens vier Millionen Jahre alter Oberschenkelknochen ist derzeit die einzige hominide Ausbeute – aufgefunden von dem Wiener Studenten Bence Violo. Derzeit ist man noch beim Datieren, auch ein Alter von 4,2 Millionen Jahre ist möglich. Die anderen Fundstücke geben Aufschluss über Flora und Fauna jener Zeit, in der wohl das „Connecting Link“ (früher sagte man „Missing Link“) zum aufrechten Gang stattgefunden hat. Die Fossile liegen aber so gehäuft herum, dass die meisten (so sie nicht menschlichen Ursprungs sind) unbeachtet bleiben müssen.

Mit Kalaschnikows im Sand

Alle eineinhalb Monate ist Seidler in Äthiopien, einmal im Jahr schlägt er in Galili ein fünfwöchiges Camp auf. Da sind etwa zwölf Österreicher, auch einige junge Studierende, dabei und ein halbes Dutzend äthiopische Wissenschaftler, dazu kommt eine aus Ansässigen mit Kalaschnikows bewaffnete Security. Durch die Heranziehung der Äthiopier konnte Seidler Kritik abwehren und seine Stellung im Lande festigen. Die österreichische Crew wird übrigens nach der Halbzeit ausgetauscht. „Länger ist das in diesem Semi-Wüstengebiet bei 35 bis 40 Grad Hitze nicht zuzumuten“, sagt Seidler.

„Es geht um mehr Erkenntnisse über die Evolution des Homo sapiens“, so definiert Seidler sein Forschungsziel. Sollte die österreichische Mannschaft wirklich einen hominiden Fund auf ein Alter von 4,2 Millionen Jahren datieren können, wäre das schon eine Sensation. Das würde bedeuten, dass der aufrechte Gang schon früher erwiesen sei, als bisher angenommen – jedenfalls früher als Lucy. Das österreichische Forschungsteam durchkämmt Teile des Areals. Stößt man auf einen interessanten Fund, dann wird an dieser Stelle der etwa 20 Zentimeter starke Oberflächenschicht – fast reiner Sand – gesiebt und eventuell gegraben. Derzeit hat man knapp 30 Prozent des Gebiets begangen, in drei bis fünf Jahren wird das Seidler-Team das Zehn-mal-zehn-Kilometer-Areal durchkämmt haben.

ÄTHIOPIEN-FORSCHUNG

Das Wissenschaftsministerium fördert mehrere Forschungsinitiativen in Äthiopien, die größte ist das Projekt von Horst Seidler (63), Professor für Anthropologie an der Universität Wien. Die Dotierung beträgt 160.000 Euro pro Jahr.

Minister Johannes Hahn hat Anfang Jänner 2008 die Grabungsstätte besucht und zeigte sich begeistert: „Seidler ist ein Super-Typ, da muss man mittun.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2008)

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