Migranten leiden am Verlust der eigenen Sprache

(c) AP (Burhan Ozbilici)
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„Bildungserfolg bei Sprachtod?“ Linguistin Katharina Brizic untersucht auch die Situation in den Herkunftsländern wie der Türkei.

„Sprachtod“, erklärt die Linguistin Katharina Brizic, „heißt, dass eine Sprachgemeinschaft ihre Sprache aufgibt und zu einer neuen wechselt. Das kann sehr langsam gehen: Eine Sprache verliert zunächst an Prestige, wird daher von manchen Eltern nicht mehr an die Kinder weitergegeben. Dieser ,Schutzmaßnahme‘ schließen sich nach und nach immer mehr Eltern an, um ihren Kindern einen besseren Start in die Gesellschaft zu ermöglichen oder sogar um sie vor Diskriminierung zu schützen – bis schließlich die aufgegebene Sprache von niemandem mehr wirklich beherrscht wird.“

Dieses Phänomen untersucht Brizic im vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Projekt „Bildungserfolg bei Sprachtod?“ – vor allem an einem gesellschaftlich brisanten Fall: Wie wirkt sich Sprachtod auf den Bildungserfolg von Migrantenkindern aus Ex-Jugoslawien und der Türkei aus? Ein verblüffendes Ergebnis ihrer bisherigen Arbeit: „Ausgerechnet jene Kinder sind in Deutsch am besten, deren Eltern zu Hause ihre eigenen Sprachen sprechen, also auch an ihre Kinder weitergeben.“ Es dürfte unerheblich sein, wie mit den Kindern gesprochen wird, Hauptsache, es wird gesprochen, erzählt, gelesen, vorgelesen. Wichtig sei vor allem, dass das „Sprachmaterial“, das von den Eltern an die Kinder übergeht, reichhaltig ist. Üblicherweise ist das eben in der Sprache der Fall, die die Eltern am besten können. Kinder können dann mit Sprache insgesamt besser umgehen – also auch mit Deutsch.

Warum aber geben Migranten ihre Muttersprachen auf? Und in welcher Sprache wird in den Familien wirklich gesprochen? Das wird nicht nur durch die Situation im Aufnahmeland bestimmt (z.B. durch mangelnde Anerkennung und Förderung von Zweisprachigkeit) sondern auch durch die Bildungs- und Sprachpolitik des Herkunftslandes. Das konnte Brizic in ihrem Buch „Das geheime Leben der Sprachen“ zeigen.

So wurden etwa im ehemaligen Jugoslawien den Roma lange sprachliche und bildungspolitische Rechte vorenthalten. Ihre Sprache wurde und wird bis heute deshalb weniger an die Kinder weitergegeben.

Um die Sprachsituation der türkischen Einwanderer zu verstehen, muss man bedenken, dass in der Türkei im 20.Jahrhundert eine große Sprachreform stattgefunden hat – mit dem Hauptanliegen, eine Staatssprache zu entwickeln, die das Osmanische der Oberschicht mit den türkischen Dialekten der Landbevölkerung verbindet: Daraus ist das moderne „Neutürkische“ entstanden. Für die Landbevölkerung, die weitgehend nicht lesen und schreiben konnte, war es schwierig, an der Reform teilzunehmen – nach wie vor unterscheidet sich daher die türkische „Volkssprache“ von der Sprache der Bildungsschicht erheblich, und ihr Prestige ist gering. Dazu kommt der Reichtum der Türkei an Sprachen: Die Forschung nennt bis zu 40, darunter Turksprachen (z.B. Turkmenisch, Azeri, Kirgisisch, Kasachisch, Uigurisch, Usbekisch), indoeuropäische Sprachen (z.B. Bulgarisch, Pomakisch, Albanisch, Romani, Kurdisch, Zaza, Armenisch), kaukasische Sprachen (z.B. Awarisch, Tschetschenisch, Abchasisch), semitische Sprachen (Arabisch, Assyrisch). Großteils waren diese Sprachen aber offiziell nicht anerkannt.

Wie vor diesem Hintergrund die Sprachweitergabe von einer Generation an die nächste in der Migration vor sich geht, das will Brizic empirisch untersuchen – und auch Familien in den Herkunftsländern selber einbeziehen, die dort vom Land in die Stadt gezogen sind. Konkret: Binnenmigranten, die aus der östlichen und zentralen Türkei nach Istanbul abgewandert sind. Genau die Gruppe, aus der die meisten unserer türkischen Einwanderer kommen: Menschen, die aus wirtschaftlichen Zwängen die eigene Region verlassen und dabei oft ihre eigene Sprache zurückgelassen haben.

TAGUNG: Sprachförderung

An der Uni Wien findet am 28. und 29.2. eine Fachtagung über „Nachhaltige Sprachförderung“ statt (www.sprachenrechte.at). Öffentliche Podiumsdiskussion (mit Ministerin Schmied): Fr., 15.30 Uhr, Uni-Campus, Wien 9, Spitalgasse 2, Hof 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2008)

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