Wissenschaft: Ein digitales Abbild Kakaniens

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Der franziszeische Kataster – die Gesamtdarstellung der K.u.k.-Monarchie aus dem 19. Jahrhundert – wird nun mit modernen Methoden erfasst.

Das braune, moderne Amtsgebäude am Wiener Donaukanal mag Passanten auffallen, weil auf dem Dach ein Globusmodell thront. Eingeweihte wissen, dass es sich um das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen handelt. Einen antiquarischen Schatz vermutet wohl kaum einer hinter der Behördenfassade.

Doch in der Dunkelzone der Depots im vierten Stock lagern, flankiert von Feuerlöschern, in einem umfangreichen Laden-Ablagesystem tausende Unikate. Genauer gesagt: 53.212 Originalmappenblätter, die einen Teil des sogenannten Franziszeischen Katasters ausmachen. Ein kolossales Plan-Werk, das durchaus auch ästhetischen Wert hat. Die manuell kolorierten Originalzeichenblätter aus handgeschöpftem Papier im Format 53 mal 66 Zentimeter, auf denen die Grundstücks- und Kulturgrenzen in entsprechender Farbschattierung im Maßstab 1:2880 dargestellt sind, sind heute Kulturgut im Sinne der Haager Konvention.

Doch Kaiser Franz I wollte mit seinem Grundsteuerpatent vom 23.12.1817 und der im Gefolge angeordneten Vermessung der Kronländer der Monarchie primär kein Kulturgut schaffen. Es ging um handfeste fiskale und wohl auch administrative und militärische Gründe, die die grafische Aufnahme von 300.000 Quadratkilometer veranlassten. Die Vereinigte Hofkanzlei bekam den Auftrag, ein allgemeines, gleichförmiges und stabiles Grundsteuerkatastersystem umzusetzen. Stabil bedeutete übrigens eine Art Flat Tax: gleiche Besteuerung, auch wenn der Eigentümer den Ertrag steigerte.

Unproduktive Flächen waren vom Kataster genauso umfasst wie bebautes Land – und wo produktiv gewirtschaftet wurde, staunen wir heute über Felder mit Safran, Reis oder auch Krapp, einem Färbemittel für Rot. Liest man über das Procedere der Vermessung nach, so drängen sich kafkaeske Assoziationen auf. Für die Festlegung der Gemeindegrenzen war der „Grenzbeschreibungsgeometer“ verantwortlich.

Das Originalmappenblatt entstand stets im Freien, vor Ort. Nach der „Reambulierung“ vergab der Geometer nach der Reihenfolge der Riede jedem Grundstück eine Nummer, anfangs waren Grund- und Bauparzellen getrennt: Grundparzellen wurden zinnoberrot, Bauparzellen schwarz beziffert. Auch eine Revision war vorgesehen, sie war „punktuell“ und prüfte bekannt fleißige Geometer seltener als unverlässliche. Im Winter wurden die Original-Urmappeblätter, die am Messtisch entstanden waren, anhand der Daten der Feld- und Indikationsskizze mit Tusche ausgezeichnet und koloriert. Viele Urmappenblätter zeigen auf der Rückseite Klebespuren: laut Instruktion von 1824 mussten sie mittels Eiklar blasenfrei an die Bretter geklebt sein.

44 Jahre für 164.357 Karten

Das damals vermessene Staatsgebiet war übrigens vier Mal so groß wie das des heutigen Österreich. 50 Millionen Grundstücke wurden aufgenommen und auf 164.357 Mappenblättern maßstabsgetreu dargestellt. Vermessung, Dokumentation und Grenzverhandlung jedes einzelnen Grundstückes erfolgte in nur 44 Jahren, eine erstaunlich kurze Zeit, wenn man bedenkt, mit welchem technischen Equipment gearbeitet wurde. Zentrales Messinstrument war der Messtisch, von dem aus durch möglichst senkrechtes Anvisieren von zwei Standpunkten (meist Kirchturmspitzen) ein Schnitt entstehen sollte. Die weitere Ausrüstung, die der Geometer aus eigener Tasche zu berappen hatte, umfasste unter anderem ein Perspektivdiopter, Stangenzirkel, Wasserwaage oder Klaftermaßstab (das Metermaß wurde erst 1871 eingeführt). Die so erreichten Genauigkeiten liegen zwischen einem Meter und 20 Zentimeter.

Heute werden Vermessungsarbeiten hochpräzis mittels elektronischer Tachymeter und GPS Systeme erledigt. Und auch in das Archiv am Donaukanal zieht nun moderne Technik ein: Durch Digitalisieren soll die Urmappe bald allgemein zugänglich sein. War es bisher zwar möglich, einzelne Urmappen-Kopien als Farbreproduktionen auf Fotopapier – im Format A 0 (60 Euro) bis A4 (zehn Euro) – anzufordern, so wird nun das gesamte Material des österreichischen Bundesgebietes digital erfasst. Die weißen Handschuhe, modellgleich denen der Tanzschule Elmayer, die Einsichtnehmer in die Originale noch heute überstreifen müssen, ehe sie an die Blätter Hand anlegen dürfen, werden dann nur mehr selten zum Einsatz kommen.

Susanne Fuhrmann, Leiterin der Abteilung Katasterarchive: „Zur Zeit sind zwei Drittel des Österreich-Materials der Urmappe digital gescannt. Wir arbeiten auch intensiv mit den Ländern der ehemaligen Monarchie zusammen, denn nach dem Ersten Weltkrieg hat Österreich dasjenige Urmappen-Material, das über das verbleibende Reststaatsgebiet hinausging, an die Länder wie Tschechien, Slowenien, Slowakei, Ungarn, Südtirol, Kroatien, Ukraine, Polen und Rumänien ausgehändigt.“

Hilfe bei Erbschafts-Streitigkeiten

In Slowenien ist der gesamte Urmappenbestand bereits heute via Internet abrufbar, auch das Land Vorarlberg hat den gesamten überschneidungsfreien Blattbestand bereits online gestellt. Interessant sind die Zugriffsgründe, warum sich Staatsbürger in den einzelnen Ländern Kopien von Urmappenblättern besorgen: Überwiegen in Österreich Anfragen historisch und geografisch Interessierter oder für Dekorzwecke – so betreffen die Anfragen beispielsweise in Rumänien Restitutionsgründe im Zuge von Erbrechts-Recherchen. Als Begleitdokumente waren Parzellenprotokolle, Grundbesitzbögen, Eigentümerverzeichnisse und Häuserverzeichnis erarbeitet worden.

Hinter dem Mammutwerk auf Papier lag jedenfalls das reale Mammutreich Kakanien. Wenn die digitale Urmappe heuer fertig gestellt sein wird, stehen im Hintergrund 13 Terabyte Speicherplatz.

AUF EINEN BLICK

Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen – eine Dienststelle des Wirtschaftsministeriums (BMWA) – digitalisiert derzeit die Originale des franziszeischen Katasters für das heutige österreichische Bundesgebiet. Die übrigen Teile gingen nach dem Ersten Weltkrieg an die Nachfolgestaaten der Donaumonarchie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2008)

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