Nestorianer: Stutenmilch statt Messwein

(c) Li Tang
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Es gab nicht nur Rom: Das Christentum spielte unter mongolischen Stämmen und auch im China des 13. Jahrhunderts eine wichtige Rolle.

Bei ihren Feldforschungen in der Inneren Mongolei, einer Provinz des heutigen China, stolperte Li Tang über jede Menge Grabsteine. Und zwar über christliche – Überbleibsel des ostsyrischen Christentums, zu dem turksprachige Völker in der Steppe konvertierten und das im China unter der Monogolenherrschaft im 13. und 14. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte. Li Tang widmet sich im FWF-Projekt „Nestorianisches Christentum in China in der Mongolenzeit“ dieser Epoche, über die es derzeit noch keine umfassende Darstellung gibt – unter anderem, weil viele chinesische Schriftquellen noch nicht ausgewertet sind. „Die Erforschung des ostsyrischen Christentums in Asien stellt eine besondere interdisziplinäre Herausforderung dar“, sagt Dietmar Winkler, Projektleiter und Kirchenhistoriker an der Universität Salzburg. Seine in Peking geborene Mitarbeiterin Li Tang bringt da wichtige (Sprach-)Kompetenzen mit. Die Vermischung von Sprachen und Kulturen wird auch an den Grabsteinen deutlich. Diese sind mit syrischen Schriftzeichen beschrieben, die Worte entstammen jedoch Turk-Sprachen.

Auch Europäer, die im Mittelalter in den Fernen Osten reisten, berichteten von ihren Begegnungen mit „nestorianischen“ Christen. Diese Bezeichung war zwar damals üblich, ist allerdings ein theologisch nicht ganz korrekter Name für das „Ostsyrische Christentum“. Die Bezeichnung geht auf Nestorius zurück, einen christlichen Würdenträger, der 431 als Häretiker verurteilt wurde. Seine Anhänger, die Nestorianer, fanden außerhalb des Imperium Romanum Aufnahme: im Sassanidenreich, bei der – bereits zuvor bestehenden – Ostsyrischen Kirche. „Bis Ende des 19. Jahrhunderts war diese Kirche praktisch in Vergessenheit geraten, existierte vor allem bei kleinen Bergstämmen im Grenzgebiet von Iran, Irak und der Türkei“, sagt Winkler. „Dabei war sie zwischen dem 7. und dem 14. Jahrhundert von der Fläche her die weltweit größte Kirche, erreichte China lange vor den Franziskanern und Jesuiten.“ Mittlerweile wurde sie zwar von Orientalisten wiederentdeckt, sehr viele Fragen sind dennoch nach wie vor offen, etwa wie stark die Religion tatsächlich verbreitet war oder welche Bevölkerungsgruppen ihr angehörten.

Missionare und Händler

Außerhalb des Römischen Reichs, das klingt nach Isolation. Aber es war eine „splendid isolation“. Denn diese Lage bot die Möglichkeit, den restlichen asiatischen Kontinent zu entdecken. In Gestalt von Missionaren, vor allem aber Händlern zogen die „Nestorianer“ die Seidenstraße entlang Richtung Osten. „In der ersten Phase war es eine Fremdreligion. Unsere Forschungen zeigen aber, dass indigene Stämme mehrheitlich christlich wurden, dass das Christentum also auch in der lokalen Bevölkerung verwurzelt war“, so Winkler.

Wie die Konvertierung genau vor sich gegangen ist, liegt großteils im Dunkel. Hochzeiten hätten jedenfalls eine Rolle gespielt, meint Li Tang, dadurch bekamen Nestorianer Einfluss in mongolischen Familien. Zu Gute kam ihnen auch, dass die Mongolen in religiöser Hinsicht recht tolerant waren. „Oft besuchten die Khans christliche Messen, aber auch muslimische und buddhistische Zeremonien“, so Li Tang. Da die Mongolen überwiegend Nomaden waren und keine eigene Schrift hatten, übernahmen sie auch das syrische Alphabet.

Wie „christlich“ war dieses Christentum in der Steppe? Ähnlich wie im germanischen Raum hätten auch die Mongolen der christlichen Religion Elemente alten Stammesglaubens hinzugefügt, so Winkler. Auf die Lebensumstände der nomadischen Bevölkerung musste ebenfalls Rücksicht genommen werden. „Als Messwein wurde Stutenmilch verwendet, als Kirche ein Zelt, für den Altar nahm man zuweilen einen Sattel oder eine geweihte Pferdedecke.“

Nach China kamen die nestorianischen Christen zwei Mal. Den ersten Rückzug mussten sie im 9. Jahrhundert antreten, gemeinsam mit anderen ausländischen Religionen. Die Rückkehr hatten sie den Mongolen zu verdanken: Kublai Khan eroberte 1279 das chinesische Reich und begründete die Yüan-Dynastie. Nestorianer spielten im nun mongolisch regierten Reich der Mitte oft ein Schlüsselrolle. „Die Mongolen besetzten Schlüsselpositionen lieber mit Ausländern als mit Han-Chinesen“, sagt Li Tang. Genaue Zahlen über den christlichen Anteil an der Bevölkerung gibt es nicht, bloß von einer chinesischen Stadt sind Daten erhalten. Sonst bleiben nur die Informationen aus Reiseberichten. Fest steht: Die Christen waren eine Minderheit, aber eine „wichtige“ Minderheit. Li Tang: „Sonst hätten die europäischen Reisenden sie nicht erwähnt.“ Unter den Christen waren wiederum die Nestorianer am stärksten vertreten. „Die Katholiken begannen erst zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert durch Missionen in China Fuß zu fassen.“

Die Blütezeit des Ostsyrischen Christentums war aber bald zu Ende. Ein Schlüsselereignis war der Machtverlust der Mongolen, die 1368 durch die (chinesische) Ming-Dynastie abgelöst wurden. Li Tang: „Dass die Nestorianer damit an Bedeutung verloren haben zeigt, dass es wenige chinesische Konvertiten gab.“ Im Laufe der nächsten hundert Jahre dürften die Christen durch die Feldzüge von Timur Lenkh (1360-1405) dezimiert worden sein. Bis sie nur mehr auf einigen Bergen zu finden waren.

AUF EINEN BLICK

Die christlichen Nestorianer waren im 13. Jahrhundert im mongolisch regierten China eine einflussreiche Minderheit, sie stellten viele Provinzgouverneure oder hohe Offiziere. Heute gibt es nach Schätzungen weltweit noch 300.000 bis 400.000 Angehörige der „Kirche des Ostens“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2008)

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