Albanisch als Impulsgeber am Balkan

Wiener Forscher suchen nach albanischen Relikten in den anderen Sprachen Südosteuropas.

Im Balkanraum gab es in früheren Jahrhunderten – in der Antike, im byzantinischen sowie im osmanischen Reich – keine so geschlossenen Grenzen wie heute. „Bevor der Nationalismus so prominent wurde, war die Sprache nicht das wichtigste Erkennungsmerkmal“, berichtet der Wiener Sprachwissenschaftler Stefan Schumacher. Und weiter: „Bis 1945 war es sehr oft so, dass die Menschen im Alltag mehr als eine Sprache verwendeten“, so Schumacher.

In diesem grenzenlosen Raum entwickelte sich ein sogenannter „Sprachbund“. Darunter versteht man ein Gruppe von an sich nicht eng verwandten Sprachen, die dennoch auffällige strukturelle Gemeinsamkeiten haben. Am Balkan finden sich heute vier große Sprachgruppen: slawisch, romanisch, albanisch und griechisch. Und diese weisen frappierende Ähnlichkeiten auf. Etwa den einem Hauptwort nachgestellten bestimmten Artikel: Diesen gibt es unter den romanischen Sprachen nur im Rumänischen, in den slawischen Sprachen gibt es im Satzverbund überhaupt keinen bestimmten Artikel – mit Ausnahme eben des Bulgarischen und Mazedonischen. Wo diese Konstruktion aber normal ist, ist im Albanischen. Das führte Sprachforscher zu der Annahme, dass das Albanische einen bestimmenden Einfluss auf die anderen Sprachen ausübte.

Schumacher widmet sich in einem FWF-Projekt genau dieser These. Er untersucht gemeinsam mit Joachim Matzinger das alt-albanische Verbalsystem, das einen reichen Formenschatz an „modalen Abstufungen“ aufweist. Diese sagen etwas darüber aus, ob der Sprecher etwas wünscht, soll oder kann.

Religiöse Literatur war tabu

Im Deutschen gibt es dafür keine speziellen Verbformen, in vielen Balkansprachen sind sie aber nachweisbar – obwohl diese Sprachfamilien an sich solche Abstufungen nicht kennen. Die Sprachforscher stellen derzeit ein Wörterbuch zusammen, das alle altalbanischen Verben beinhaltet. In einem zweiten Schritt sollen Analogien in anderen Balkansprachen nachgewiesen werden. Als Untersuchungsmaterial dient altalbanische katholische Literatur aus dem 16. bis 18. Jahrhundert – in Summe 1500 Seiten –, die bisher nicht ausgewertet sind. Im kommunistischen Albanien waren diese Texte tabu.

Wann könnte die Wanderung der albanischen Konstruktionen in die anderen Sprachen stattgefunden haben? Bei Rumänisch und Griechisch verweist Schumacher bereits auf die Antike, bei den südslawischen Sprachen habe der Einfluss begonnen, sobald die Slawen eingewandert waren. Albanische Bevölkerungsgruppen – so ist sich die Forschung sicher – lebten bereits in der Antike auf dem Balkan. Im Mittelalter sind sie bis nach Bulgarien und ins südliche Griechenland nachweisbar. Ob sie tatsächlich von den mythenumwobenen Illyrern abstammen, ist in der Wissenschaft umstritten – Schumacher lehnt diese These ab.

Der albanische Einfluss auf andere Balkansprachen war freilich keine Einbahnstraße. „Alle Sprachen haben sich gegenseitig beeinflusst“, so Schumann. So stammt etwa das altalbanische Wort für Jänner vom rumänischen „Kalendarius“ und nicht vom lateinisch-italienischen „Januarius“ – obwohl es ansonsten viele lateinische und venezianische Lehnwörter im Albanischen gibt. ku

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2008)

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