Medizin: iP-Stammzellen: Erste Anwendung in der Forschung

Die verjüngten Zellen sollen die Nervenkrankheit ALS erhellen.

Eine der gespenstischsten Krankheiten heißt Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder, nach einem der Opfer, „Lou Gehrig's Disease“: Dabei fallen nach und nach die Nervenzellen aus, die Muskeln den Befehl zur Bewegung geben – die Motorneuronen –, der Körper wird gelähmt, irgendwann versagen auch die Muskeln, die das Herz oder die Lunge treiben. Alleine in den USA leiden 30.000 Menschen daran, eine Therapie gibt es nicht, auch die Ursachen sind unklar, man weiß nur, dass Gene mitspielen bzw. dass bei einer Variante von ALS ein einziges Gen mitspielt.

Deshalb hat eine Gruppe um Kevin Eggar (Harvard) zwei Patienten mit dieser Variante Hautzellen entnommen und sie verjüngt, zu induzierten pluripotenten Stammzellen, iPS. Die sind den embryonalen Stammzellen (ES) sehr ähnlich, aber zu deren Herstellung muss man Embryos erzeugen und zerstören. Bei iPS handelt es sich hingegen um genetisch reprogrammierte Körperzellen – etwa von der Haut –, erreicht wird die Reprogrammierung durch eingebrachte Fremdgene: iPS sind dann undifferenzierte Zellen wie ES. Und man kann aus ihnen, wie aus ES, wieder differenzierte Zellen machen und sie theoretisch als Transplantate verwenden, bei ALS-Patienten bräuchte man Motorneuronen.

iPS: Kein Mangel, aber Tumorgefahr

Aber nur theoretisch: Das IPS-Verfahren wurde vor zwei Jahren vom Japaner Shinya Yamanaka entwickelt, er brauchte vier Fremdgene, darunter c-MYK, es ist ein Onkogen, löst Tumore aus. Deshalb verbietet sich in der Praxis jeder Einsatz als Transplantat. Aber die Zellen können helfen, die ALS-Entstehung zu klären und Abhilfe zu suchen.

Deshalb hat Eggar aus den iPS der ALS-Patienten Motorneuronen gezogen, an ihnen kann er in der Petrischale den Krankheitsverlauf verfolgen, er braucht zum Vergleich nur noch iPS bzw. Motorneuronen von gesunden Menschen. Warum nimmt er nicht einfach Motorneuronen von ALS-Patienten und lässt die im Labor wachsen? „Es ist niemandem je gelungen, sie von Patienten zu isolieren und wachsen zu lassen“, erklärt der Forscher: „Nun haben wir grenzenlosen Zugang zu den Zellen und können an ihnen auch Medikamente testen“ (Science, 31.7.).

ES: Keine Tumorgefahr, aber Mangel

Allerdings hätte Eggar lieber mit ES gearbeitet und aus ihnen Motorneuronen gezogen. Aber die Forschung mit ES ist nicht nur ethisch umstritten, sie hat auch praktische Probleme: Für ES braucht man Eizellen, die müssen gespendet werden, und für die Spenden darf – nach den Gesetzen des Bundesstaates Massachusetts, in dem Eggan arbeitet – nichts bezahlt werden. Anders ist es bei Eispenden an Fruchtbarkeitskliniken, da darf Geld fließen. Eggan erhielt trotz zweijähriger Mühen keine Eispenden, deshalb wandte er sich iPS zu.

Deren Herstellung wurde inzwischen vereinfacht – man braucht nur noch zwei Gene oder vielleicht auch gar keines mehr, die Lage ist unübersichtlich, es geht um viel, Geld und Ruhm –, vielleicht kann die nächste iPS-Generation bei der Krankheit helfen, die mit der jetzigen Generation erkundet wird. jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2008)

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