Quantenphysik: Mindestens 10.000 Mal so schnell wie das Licht

Physiker maßen, wie schnell die „spukhafte Fernwirkung“ zwischen verschränkten Teilchen sein muss.

Eine Abschätzung der spukhaften Fernwirkung“ („Testing the speed of ,spooky action at a distance‘“): Der Titel der in Nature (454, S.861) publizierten Arbeit von Physikern der Uni Genf klingt für den Laien ziemlich wild. In Physiker-Ohren klingt er vertrauter: „Spukhafte Fernwirkung“, das war die Formulierung, die Albert Einstein wählte, um sein tiefes Missbehagen mit der Quantentheorie auszudrücken. Diese sei nicht „der wahre Jakob“, sagte er einmal. Ihn störte die Rolle des Zufalls, er setzte auf verborgene Variablen, die man erst entdecken müsse, um einzusehen, dass alle Abläufe im atomarem Bereich „in Wirklichkeit“ doch kausal sei.

Um zu zeigen, dass die Quantentheorie unvollständig sei, ersann Einstein mit zwei jungen Kollegen (Boris Podolsky, Nathan Rosen) ein Gedankenexperiment, dessen Pointe etwas verkürzt lautet: Wenn die Quantentheorie die physikalische Realität vollständig beschreibt, dann muss es eine „spukhafte Fernwirkung“ geben, d.h., dass räumlich getrennte Teilchen einander instantan (sofort, ohne Verzögerung) beeinflussen. Und das, so Einstein, könne doch nicht sein: Schließlich könne doch kein Signal schneller sein als das Licht.

Offenbar doch. Alle Experimente, die unternommen wurden, um das „Einstein-Rosen-Podolsky-Paradoxon“ zu entschärfen, ergaben: Die Quantentheorie hat recht, es gibt die „spukhafte Fernwirkung“. Teilchen, die auf diese Weise – ohne Überträgerteilchen – miteinander verbunden sind, nennt man „verschränkt“.

Aber ist die Fernwirkung wirklich instantan, also unendlich schnell? Kann man wenigstens sagen, wie schnell sie mindestens sein muss? Das tun die Genfer Physiker mit ihrem Experiment. Sie erzeugten in einem Labor in Genf verschränkte Photonen-Paare. Von diesen wurde je ein Photon nach Jussy und eines nach Satigny geschickt: Die beiden Messstationen sind beide genau neun Kilometer vom Erzeugungsort entfernt. Dann wurde festgestellt, dass sie noch immer verschränkt sind, sprich: Die Messung an einem Photon korreliert so mit der Messung an dem anderen Photon, dass man das nur dadurch erklären kann, dass die eine Messung die andere beeinflusst.

Unter Berücksichtigung der Erddrehung errechnen die Physiker nun, dass die Geschwindigkeit dieser Beeinflussung mindestens 10.000 Mal so groß wie die Lichtgeschwindigkeit sein muss – wenn man nicht gleich annimmt, dass sie unendlich groß ist. Oder anders gesagt – und so sagen es die Physiker: dass die Wechselwirkung „indeed truly nonlocal“ ist.

Beides ist ganz und gar nicht im Sinn der Relativitätstheorie. Die lässt sich eben einfach nicht mit der Quantentheorie versöhnen. Ein Kommentar in Nature formuliert noch strenger: „Jede Theorie, die versucht, die Quanten-Verschränkung durch einen Übertragungsmechanismus zu erklären, muss sehr spukhaft sein – spukhafter vielleicht als die Quantenmechanik selbst.“

FERNWIRKUNG: ABSURD?

Schon Isaac Newton hielt die Idee einer Fernwirkung (die seine Gravitationstheorie freilich nahe legt) für „eine große Absurdität“. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie erklärt die Gravitation im Grunde als lokale „Nahwirkung“, die durch den Raum selbst über-tragen wird; sie breitet sich nicht unendlich schnell aus, sondern mit Lichtgeschwindigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2008)

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