Das Duett der Zaunkönige: Wer rufet, der findet

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Duett-Gesänge im Vogelreich sind rar. Das komplexe akustische Zusammenspiel dient der Partnerbindung und Revierverteidigung.

Das Kinderspiel heißt „Marco Polo“. In Österreich ist es nicht sehr bekannt, aber in der Schweiz, in England und vor allem in den USA wird es in Planschbecken und Schwimmbädern regelmäßig beobachtet – auch Lisa und Bart Simpson spielen es in ihrem überfluteten Haus. Sogar der Neurosen geplagte Mister Monk spielt diese Version des „Blinde Kuh“-Spiels in der TV-Serie: Ein Mitspieler im Schwimmbecken bekommt die Augen verbunden und muss die anderen fangen, indem er den Planschgeräuschen folgt, und wenn der Blinde „Marco“ ruft, müssen die Kollegen mit „Polo“ antworten. Mit Hilfe der akustischen Signale wird die Position der Mitspieler geortet.

Tropische Vögel sind Duett-Sänger

In der Wissenschaft heißt dieselbe Herangehensweise „akustischer Kontakt“. Wer sich beispielsweise im dichten Urwald nicht sehen kann, fängt zu rufen an, um die Position der Artgenossen auszumachen. Die Akustische-Kontakt-Hypothese wird von Ornithologen als eine mögliche Erklärung angeführt, warum sich im Vogelreich die spezielle Gesangsform der Duette entwickelt hat. Während uns der Sologesang tausender Vogelarten geläufig ist, sind Vogel-Duette etwas Rares und kommen vor allem in tropischen Gegenden vor. Bisher wurde der aufeinander abgestimmte Gesang erst bei zirka drei Prozent aller Arten beobachtet. Zaunkönige sind besonders gute Duett-Sänger. Vor allem jene Arten, die im Dickicht des tropischen Urwalds vorkommen, beeindrucken mit hoch komplexen Duetten. Für das menschliche Ohr klingt solch ein Duett meist wie ein schillerndes Solo. Erst technische Gerätschaften ermöglichten die Beweisführung, dass hier zwei Vögel abwechselnd trällern. David Mennill und Sarah Vehrencamp von der Universität Windsor (Kanada) setzten nun eine neue Generation der Sound-Technik ein und installierten acht Rundum-Mikrofone mit „akustischer Ortung“ im Tropenwald von Costa Rica (Current Biology, 4.9.).

Aggressive akustische Kriegsführung

Das Innovative daran ist, dass die Sound-Analyse den Aufenthaltsort jedes einzelnen trällernden Zaunkönigs anzeigt. Im dichten Urwald ist das ein Segen, da die visuelle Ortung der winzigen Vögel fast unmöglich ist. So konnten die Wissenschaftler erstmals den Beweis erbringen, dass der Duett-Gesang wie das „MarcoPolo“-Spiel funktioniert. Findet das Zaunkönig-Männchen sein Weibchen nicht, schickt es erste Silben des Gesangs in den Wald. Das Weibchen steigt ein, und im Duett der Rufe nähern sich die beiden, bis sie am gleichen Ast sitzen. Wenn aber ein fremdes Zaunkönig-Paar ins Revier kommt, dann wird das Duett zur Waffe. Gemeinsam singen die Revierverteidiger die Eindringlinge nieder. Mennill hat es technisch getestet, indem er Lautsprecher mit Gesangsproben ins Territorium der Vögel stellte. Daraufhin konnte die „aggressive akustische Kriegsführung“ beobachtet werden, bei der sich die Duette in Lautstärke und Komplexität steigerten.

Die Duett-Gesänge sind also multifunktional: Je nach Kontext setzen die Zaunkönige die Lieder ein, um den Aufenthaltsort des Partners zu überwachen, um sich zu finden oder um das Territorium zu verteidigen.

DUETTE IM TIERREICH

Der Gesang im Duett ist selten unter Tieren. Sogar bei den für das Singen berühmten Vögeln stimmen nur drei Prozent ihr Lied als Zusammenspiel zweier Individuen an – die meisten davon in den Tropen.

Duett- oder Chorgesang wurde zudem bei Affen beobachtet: Gibbons stimmen gemeinsam komplexe Pfeifkonzerte an. Auch Wale koordinieren ihre Klänge im Ozean.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2008)

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