Letzter Fischzug im Jahr 2048?

Ökologie. Biodiversität in Ozeanen schwindet rapide, Trend ist aber noch reversibel.

Wenn man sich den Globus an schaut - fast drei Viertel Wasser und der Rest Land -, dann kann man sich schwer vorstellen, dass ein Landbewohner die Ozeane komplett ausräumen kann, nicht nur lokal und einzelne Arten, sondern global und alle, so tief die Netze eben reichen. Und doch sind wir auf bestem Wege: "Bei Fortsetzung des gegenwärtigen Trends werden alle derzeit befischten Arten bis zum Jahr 2048 zusammengebrochen sein." Das prognostiziert eine Gruppe um Boris Worm (Halifax, Canada), die alle erdenklichen Quellen ausgewertet hat, Archive und Experimente. Erstere sprechen eine klare Sprache: In den Küstengewässern sind seit Beginn der Industrialisierung 91 Prozent der befischten Arten geschwächt (über 50 Prozent Rückgang), 38 Prozent zusammengebrochen (über 90 Prozent Rückgang) und sieben Prozent ausgerottet. Auf den offenen Meeren sieht es nicht anders aus: Die Statistik der Uno-Welternährungsorganisation FAO zeigt derzeit 23 Prozent zusammengebrochene Arten (Science, 314, S. 788).

Das heißt aber nicht, dass immer mehr herausgeholt wird, die Fänge gehen, aller Verfeinerung der Methoden zum Trotz, zurück. Seit dem Höchststand 1994 sind sie um 13 Prozent gesunken. Nun ja, sollen eben die Fische aus der Zucht einspringen, Aquakultur! Die hat das Problem, dass auch diese Fische etwas fressen müssen und dass die meisten in Aquakultur gezüchteten Raubfische sind, Lachse etwa, sie brauchen drei Kilo Futter - Fisch -, um ein Kilo anzusetzen, bei anderen Arten ist das Verhältnis noch ungünstiger. Nun ja, es gibt ja genug Fische, die für den menschlichen Verzehr nicht geeignet sind und vermehrt für die Aquakultur gefischt werden könnten!

Auch dieser Ausweg ist verschlossen, das ist der Zentralpunkt der neuen Studie. "Ob wir auf kleine Regionen oder ganze Ozeane schauen, der Trend ist überall der gleiche", berichtet Worm: "Der Verlust jeder einzelnen Art schwächt das gesamte Ökosystem." Aber nicht einfach linear, mit jeder weiteren Art geht es beschleunigt bergab. Und zwar nicht nur mit Meeresgetier als Nahrung, sondern auch mit den vielfältigen anderen Diensten, die das Ökosystem Meer für uns leistet: Es rezykliert unseren Müll, es hält uns - solange es funktioniert - giftige Algenblüten vom Leib, es stabilisiert Küsten.

Etwa mit Kelp, ausgedehnten See-Algenwäldern, an denen sich die Komplexität des Ökosystems Meer zeigt: In den 90er-Jahren wandten sich die Orcas - Wale, die andere Wale und Fisch jagen - vor Alaska neuen Futterquellen zu, weil der Mensch die alten ausgedünnt hatte. Also jagten die Orcas Seeotter. Die hatten bis dahin die Seeigel kurzgehalten, die den Kelp beweiden. Als sie das nicht mehr konnten, fraßen die Seeigel riesige Schneisen in die Wälder - "Seeigelwüsten" -, die konnten ihrerseits die Küsten nicht mehr schützen, starke Erosion setzte ein (Science, 293, S. 629).

Sollen wir uns also resignierend zurücklehnen? "Wir können den Trend noch umkehren", kommt Worm zum guten Teil seiner Botschaft: Wo immer Meeresregionen vor Fischfang geschützt sind, erholt sich die Biodiversität rasch. "Es geht nicht in einem Jahr, aber oft in drei bis fünf. Allerdings ist bisher weniger als ein Prozent der Meere effektiv geschützt."

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