Phillip Blond: "Sozialstaat ist eine Art Sklaverei"

Phillip Blond Sozialstaat eine
Phillip Blond Sozialstaat eine(c) Res Publica
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Phillip Blond, Vordenker der britischen Tories, spricht mit im Interview mit der "Presse am Sonntag" über die Knechtschaft des Sozialstaates und den Marxismus der Rechten.

Sie gelten als das Gehirn hinter David Cameron. 2010 sagten Sie, die britischen Konservativen brauchten ein „radikales Programm für den Wandel“. Haben sie es gefunden?

Die konservativen Parteien weltweit sind von ihrem Weg abgekommen. Ihr ökonomisches Angebot ist überholt. Das Versprechen der Rechten war, Massenwohlstand zu schaffen. Das ist ihr, mit ein paar Ausnahmen, nicht gelungen. Sie hat keine politische Philosophie mehr, die konservativ ist, im Sinne von konservierend. In Großbritannien wird die Labour Party bei der nächsten Wahl eine komfortable Mehrheit gewinnen.

Also sind die konservativen Parteien die Verlierer der Krise? Zu Beginn sah es aus, als falle die Verliererrolle der Linken zu.

Es verlieren alle. Die Linke verspricht, die Armen mit Sozialleistungen zu retten. Die Rechte verspricht, dass die Wirtschaft Wohlstand für alle schafft. Beides ist gescheitert. Niemand hat eine hegemoniale Position, weil niemand die Debatte gewonnen hat. Keine Partei beschreibt eine Zukunft, in der die Menschen leben wollen, und bietet eine Politik, die sie dahinbringt. Ich sehe keine gute Linke in Europa. Aber die Möglichkeit des Revivals einer guten Rechten.

Was müsste die Rechte anbieten, um an die Macht zu kommen oder dort zu bleiben?

Die Rechte in den meisten europäischen Ländern bietet eine neue Form von Marxismus. Sie verbündet sich mit Kräften, die die Proletarisierung fördern. Im Namen des freien Marktes hat sich eine pro-monopolistische Ideologie breitgemacht. Der Ursprung des Wohlstands sind Gewerbe, Eigentum und Handel. Aber die kleinen Firmen schaffen den Markteintritt nicht. Wir haben eine Wirtschaftspolitik für die wenigen, nicht für die vielen. Man denke an Friedrich Hayeks Buch „Der Weg zur Knechtschaft“. Moderne rechtsgerichtete Politik schafft Knechtschaft. Sie sagt, der einzige Weg, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen können, ist, die Löhne zu drücken. So wird die Mittelschicht zur Arbeiterschicht, sie wird proletarisiert. Die konventionelle Rechte macht die Menschen abhängig vom Sozialstaat.

Aber doch wohl auch die Linke.

Links und rechts liefern den gleichen Output: Menschen, die nicht genug verdienen, um ihren Lebensstandard zu sichern, sodass sie sich an den Staat wenden. Das treibt die Steuerquote. So entsteht ein Teufelskreis, die Gesellschaft kann aus eigener Kraft keinen Wohlstand mehr schaffen. Wenn die Mittelschicht Sozialhilfe braucht, um über die Runden zu kommen, hat man eine Situation, in der ein Land nicht reformiert werden kann. In den 1960er-Jahren brauchte weniger als ein Viertel der US-Haushalte Sozialleistungen, heute sind es mehr als die Hälfte. Diese Dynamik ist sehr gefährlich. Sozialstaatlichkeit ist eine Art von Sklaverei. Es wird dir genommen, was du zum Leben brauchst, und über den Staat wieder ausgeteilt.

Also ist es eine Frage der Steuern, dass Arbeit zu hoch besteuert wird, als dass man sich etwas aufbauen könnte.

Steuern allein sind nicht das Problem. Wenn die Steuerquote hoch ist, aber das Geld produktiv investiert wird, in die richtige Art von Infrastruktur und Bildung, ist es gut verwendet. Aber unsere Steuern werden nur dazu benützt, Sozialleistungen zu finanzieren. Das ist völlig unproduktiv. Ich wünsche mir, dass Österreich und Deutschland zu ihrem ursprünglichen Denken, der Tradition des Ordoliberalismus, zurückkehren. Einer echten christlichen Demokratie. In dieser Philosophie ging es genau darum, wie man eine Marktwirtschaft schafft, die nicht monopolisiert.

Wie wird sich diese Monopolisierung, die Sie anprangern, langfristig auswirken?

Wenn die deutschen Arbeiter ihre Löhne drücken müssen, um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, dann haben wir ein echtes Problem. So schaffen wir eine Welt, in der du aus eigener Kraft nicht vorwärtskommen kannst. Wenn deine Eltern dir kein großes Erbe hinterlassen, wirst du immer Probleme haben.

Der Kapitalismus hat vielen die Möglichkeit zum Aufstieg gegeben. Wann hat die Entwicklung, die Sie kritisieren, begonnen?

Das Goldene Zeitalter Europas war zwischen 1945 und der Ölkrise der frühen 1970er. Der öffentliche Sektor investierte in die Universitäten, der private gründete die Firmen für die Absolventen. Seither haben wir diesen Weg verlassen. Es gab weniger Innovation und zum Ausgleich steigende Sozialleistungen. Und Schulden vergiften die ganze sozioökonomische Ordnung. Wir brauchen eine neue Form von Kapitalismus, eine partizipative Form der sozialen Marktwirtschaft. Im Moment sind die meisten Menschen nicht Eigentümer und Händler, das Einzige, was sie verkaufen, ist ihre Arbeitskraft. Wenn du nur deine Arbeitskraft verkaufst, bist du in einer marxistischen Situation.

Es wird immer nötig sein, dass viele Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen.

Schwierig ist, wenn du nichts anderes zu verkaufen hast. Der Langzeittrend ist ein Sinken der Preise für Arbeit. Mittelstandsjobs, die einst ein gutes Einkommen und eine gute Pension gesichert haben, werden durch neue Technologien ersetzt. In dieser Welt wirst du es nur hinaufschaffen, wenn es deine Vorgänger geschafft haben. Wenn deine Familie Geld hat, wird sie dir Geld geben, um ein Haus zu kaufen. Wenn nicht, wirst du vermutlich nie ein Haus kaufen.

Viele Politiker verlangen, dass die EU dieses Mehr an Wohlstand schaffen soll.

Eine sehr schlechte Idee. Der Wohlstand, den sie meinen, ist die Stützung von Einkommen. Man gibt den Menschen hunderte Euro im Monat, damit sie bleiben, wie sie sind. Man sollte ihnen Geld geben, damit sie ihre Fähigkeiten ausbauen und so ihr Leben verbessern können. Der Staat muss in Bildung investieren, aber wenn er mit so einem Wohlfahrtslevel belastet ist, kann er das nicht mehr. Dann verknöchert die Gesellschaft, sie fällt immer weiter zurück.

Sie waren Gast beim Forum Alpbach, heuer wurde viel über die europäischen Werte diskutiert. Was ist Ihre Definition?

Die meisten Europäer können die europäischen Werte nicht benennen, sie haben Angst davor. Sie sagen Demokratie, Rechte, Freiheit. Aber das sind keine Werte. Es sind nur Methoden, um Werte zu realisieren.

Freiheit ist kein Wert?

Nein, weil Freiheit alles bedeuten kann. Es kann auch die Freiheit sein, Menschen ein totalitäres Regime aufzuzwingen. Ein Wert ist eine Definition, wie man sein sollte. Wir sollten darüber diskutierten, was das Richtige ist.

Was ist das Richtige?

Meines Erachtens ein System, das den Menschen die größtmögliche Selbstentfaltung erlaubt.

Ein liberales System also.

Das liberalste System haben die USA, aber erlauben sie den meisten Menschen, sich zu entfalten? Keinesfalls. In den meisten Gesellschaften auf der Welt gilt: Wer kein Geld hat, ist nichts wert. Nur in Westeuropa bedeuten alle Menschen etwas. Bei allem, was in den europäischen Wohlfahrtsstaaten falsch läuft, ist das etwas sehr Besonderes.

Steckbrief

2010
veröffentlichte der Brite Phillip Blond (47) sein Buch „Red Tory“, in dem er eine radikale Abkehr von Liberalismus und Sozialismus fordert – und eine starke Gesellschaft statt eines starken Staates. Etwa zeitgleich gründete er die Denkfabrik „Res Publica“. Bei der Eröffnung erschien David Cameron, Chef der Tories und mittlerweile britischer Premierminister. Spätestens seither gilt Blond als einflussreicher Berater Camerons.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2013)

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