Gibt uns Google, was uns zusteht?

Fast mit jedem Klick im Netz verraten die Menschen den Internetkonzernen, wie sie denken, fühlen und handeln.
Fast mit jedem Klick im Netz verraten die Menschen den Internetkonzernen, wie sie denken, fühlen und handeln.(c) REUTERS (Radu Sigheti)
  • Drucken

Das Internet gebiert mächtige Monopole. Die Menschen mästen sie mit ihren Daten. Im Gegenzug beeinflussen die Konzerne, was wir kaufen – und vielleicht sogar, wen wir wählen.

Der Mensch ist ein fleißiges Geschöpf. Auch im heurigen Jahr wird er so viele neue Daten produzieren, wie in seiner gesamten bisherigen Geschichte. Vier Fünftel dieses Datenschatzes liegen in den Händen von Regierungen und Unternehmen, schätzt der deutsche Verband der Internetwirtschaft. Mit jeder Suchanfrage bei Google, jedem Like bei Facebook und jedem bestellten Buch bei Amazon verraten die Menschen den Konzernen, was sie denken und fühlen. So mästen wir die Internet-Monopolisten, über die wir uns sonst so gern beschweren.

Denn egal, wie bequem und praktisch die Giganten aus dem Silicon Valley unser Leben mit jährlichen „Gratisdiensten“ im Wert von 280 Milliarden US-Dollar gemacht haben, eine gewisse Distanz zu den Tech-Firmen gehört in vielen Kreisen mittlerweile zum guten Ton: AirBnB ist nicht mehr der hippe Zimmervermittler, sondern ein böses Vehikel, um Mieten in Metropolen ins Unerschwingliche zu katapultieren. Amazon ruiniert den netten Händler ums Eck, Uber und Co. beuten ihre Mitarbeiter aus. Und Google oder Facebook verwenden scheinbar schon fast so viel Zeit mit der Suche nach Steuerschlupflöchern wie mit dem Entwickeln neuer Dienste.


Netz-Monopolisten. Dieser Stimmungswandel kommt nicht von ungefähr. Viele Internetkonzerne leben davon, Profite von anderen Branchen abzusaugen und zahlen dafür tatsächlich erschreckend wenig Steuern. Zudem setzt sich die Erkenntnis durch, dass die schönen Gratis-Dienste doch ihren Preis haben: Die Kunden werden zum Produkt.

Na und? Schließlich werde niemand gezwungen, Google und Amazon zu nutzen, könnte man kontern. Die Konkurrenz sei im Netz ja immer nur einen Klick entfernt. Doch ganz so einfach ist es nicht. Google hält in der EU bei über 90 Prozent Marktanteil bei der Internetsuche. Auch die meisten anderen Internetmärkte steuern auf ein derartiges Quasi-Monopol zu.

Denn auch Amazon, Microsoft und Facebook haben das weitgehende Fehlen von Regeln im Netz genutzt, um stark zu wachsen und sich potenzielle Konkurrenten schon frühzeitig einzuverleiben. Mit der Geschwindigkeit, in der sich digitale Monopole bilden, kommen die Wettbewerbshüter nicht mehr mit. Zudem sind die Großen im Netz kaum noch zu verdrängen. Grund dafür ist der sogenannte Netzwerkeffekt: Je mehr Menschen Facebook nutzen, desto sinnloser ist es für sie, zu einem Konkurrenten zu wechseln. Zusätzliche Kosten für Neukunden gibt es – anders als etwa in der Autoindustrie, wo ja jeder Kunde sein eigenes Auto haben will – de facto nicht. Wer den Markt dominiert, kann daraus also so hohen Profit schlagen, dass sich etwaige Mitbewerber einfach auf Distanz halten lassen.

Wenig Wettbewerb erzeugt aber nicht nur immense Gewinne, sondern schadet auch meist den Kunden – und in diesem Fall vielleicht sogar der Gesellschaft. Hauptgrund für diese Sorge ist das Geschäftsmodell der Datensammler: Sie wollen lernen, was wir suchen, wo wir uns bewegen, was wir kaufen und wen wir treffen, um den bestmöglichen Moment zu erwischen, um uns zum Kauf eines Produkts ihrer Werbekunden zu verleiten. Das allein ist nicht verwerflich. Aber je treffender die individualisierten Angebote werden, desto unwahrscheinlicher werden komplett freie Willensentscheidungen.

Diese Entwicklung geht weit über den simplen Konsum und die Ökonomie hinaus. Im Jahr 2015 warnte der amerikanische Psychologie Rob Epstein, dass Google die Demokratie gefährde. Allein die Reihenfolge, in der die weltgrößte Suchmaschine bestimmte Politiker anzeigt, beeinflusse das Wählerverhalten massiv. Der Konzern wies den Vorwurf zurück, der Algorithmus sei neutral. Andere Tech-Konzerne gehen mit ihren Möglichkeiten, Menschen zu beeinflussen, offener um.


Facebook steuert Emotionen. So manipulierte Facebook etwa gezielt Emotionen von 700.000 Nutzern. Ein Teil der Versuchskaninchen erhielt vorwiegend positive und ein Teil negative Nachrichten aus ihrem Freundeskreis zugespielt. Überraschend ist weniger das Ergebnis (wer gute Nachrichten liest, berichtet selbst Positiveres) als die Tatsache, dass niemand Verdacht geschöpft hat, dass Facebook den Nachrichtenstrom und die eigenen Emotionen steuern könnte.

Diese Kunst ist für die digitalen Geschäftemacher aber essenziell. Um ihre Werbebotschaften subtil zum Nutzer zu liefern, müssen sie ihm Nachrichten und Vorschläge liefern, die möglichst kompatibel mit seiner Lebenswelt sind. Das führt im Extremfall dazu, dass man im Netz nur noch Dinge zu lesen bekommt, in denen die eigene Meinung bestätigt wird. Außerhalb der eigenen, digitalen Filterblase wird gesellschaftlicher Diskurs zusehends schwieriger.

Wie lässt sich das Dilemma lösen? Hilft es, den Tech-Giganten die Daumenschrauben anzusetzen? Hilft es, Facebook zu zerschlagen? Oder müssen doch die Nutzer Google und Co. den Datenstrom abdrehen oder ihre Informationen teurer verkaufen? Von den Konzernen ist wenig Bewegung zu erwarten. Das einstige Facebook-Motto „Move fast and break things“ passte Mark Zuckerberg schon vor drei Jahren an die neuen Verhältnisse als Alleinherrscher am Markt an. In dieser komfortablen Situation soll nun doch nichts mehr zu Bruch gehen. Dazu passt Facebooks neuer Leitspruch, der auch jeden jahrhundertealten, staatlichen Eisenbahnmonopolisten gut kleiden würde: „Move fast with stable infrastructure.“

Marktmacht

Google kommt in den meisten EU-Ländern auf einen Marktanteil von über 90 Prozent.

Facebook
kontrolliert weltweit 86 Prozent des Marktes für soziale Netzwerke.

Amazon
dominiert den globalen Onlinehandel. In Österreich landet etwa jeder vierte Euro, den die 250 größten Onlinehändler umsetzen, beim US-Konzern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.