Swaps: Nasa-Technik an der Wall Street

Swaps NasaTechnik Wall Street
Swaps NasaTechnik Wall Street(c) AP (Mary Altaffer)
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Viele Finanzmathematiker arbeiteten zuvor für die US-Weltraumbehörde. Statt Risiko-Korrelationen im Weltall zu berechnen, widmen sie sich dem Risikomanagement in den unendlichen Weiten der Finanzmärkte.

Es war eine Katastrophe und an den Folgen leidet die Welt noch immer. Am 1. Februar 2003 zerbrach die Raumfähre Columbia beim Eintritt in die Erdatmosphäre. Sieben Astronauten starben und die US-Weltraumbehörde Nasa zog daraus Konsequenzen: Sie stoppte die bemannte Raumfahrt, strich Budgets und entließ hunderte Weltraumforscher.

Die besten Ingenieure der Welt standen nicht lange auf der Straße. Sie bekamen rasch neue Jobs. Doch statt Risiko-Korrelationen im Weltall zu berechnen, widmeten sie sich dem Risikomanagement in den unendlichen Weiten der Finanzmärkte. Goldman Sachs, Merrill Lynch und Lehman Brothers bedienten sich der klügsten Mathematiker dieses Planeten. Und viele ihrer Formeln und komplexen Rechenmodelle finden sich mittlerweile in den Verträgen, die biedere Bürgermeister und ahnungslose Stadträte mit Banken abgeschlossen haben, um „Zinsen zu optimieren“, wie sie glaubten.

Auch Neel Kashkari suchte für die Nasa neue Lebensformen, bevor er sich für Goldman Sachs auf die Suche nach neuen Finanzprodukten machte. Der 39-jährige Sohn indischer Einwanderer entwickelte bis 2000 für die Nasa neue Weltraummissionen. Er ging also schon vor dem Columbia-Crash zu einer Investmentbank. Dort fiel der kluge Kopf relativ schnell dem Generaldirektor auf. Dieser hieß Henry Paulson. Als er später unter Georg W. Bush zum Finanzminister avancierte, nahm Paulson seinen Jungstar mit. Neel Kashkari wurde Staatssekretär und sollte plötzlich die Finanzkrise managen.

Die Formel. Die Krise machte eine Formel weltweit bekannt, die zuvor nur eingefleischten Finanzmathematikern ein Begriff war: die sogenannte Black-Scholes-Formel. Mithilfe dieses Berechnungsmodells lässt sich der Marktwert von komplexen Optionen und Derivaten berechnen. Die Formel entscheidet seit 2008 also vielfach über die finanzielle Zukunft von Gemeinden oder Unternehmen.

Black und Scholes veröffentlichten das Modell im Jahr 1973 und legten somit den Grundstein für moderne Finanzderivate (1997 erhielten sie dafür auch den Wirtschaftsnobelpreis). Diese Entwicklung wurde unter anderem vom Finanzmanagement des US-Konzerns IBM dankbar aufgenommen, das im August 1981 den ersten bekannten Cross-Currency-Swap der Welt durchführte. So tauschten die Amerikaner damals Wechselkursrisken zwischen Schweizer Franken und US-Dollar mit der Weltbank.

Obwohl die Black-Scholes-Formel bereits fast 40 Jahre alt ist, gilt sie aufgrund ihrer Komplexität als Blackbox, die auch vielen Studierenden, Praktikern und Lehrenden verschlossen bleibt. Grund dafür sind die auch für Mathematiker anspruchsvollen Querverweise in andere Wissenschaften. So wird etwa mittels „Formelsprache“ auf die Wärmeaustauschgleichung der Physik Bezug genommen.

Daten

1973. Die US-Finanzmathematiker Black und Scholes stellen ihre Formel vor, mit der sich der Wert von komplexen Optionen und Derivaten berechnen lässt.

1981. IBM führt den ersten Swap der Geschichte durch und tauscht Währungsrisken zwischen Franken und Dollar mit der Weltbank.

2003. Die Columbia stürzt ab, die Nasa stellt das Shuttle-Programm ein und setzt hunderte Mathematiker auf die Straße. Viele davon gehen an die Wall Street.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2012)

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