Ukraine steuert auf den Kollaps zu

(c) EPA (Sergey Dolzhenko)
  • Drucken

Die Krise der Stahlindustrie und der Verfall der Landes-Währung bringen Banken in Bedrängnis.

Kiew/Wien. Einst waren die Stahlwerke im Südosten des Landes der Stolz der ukrainischen Wirtschaft. Noch im Vorjahr produzierten die alten Sowjet-Anlagen 43 Mio. Tonnen Stahl. 80 Prozent wurden exportiert – vornehmlich in die asiatischen Boomregionen. Doch mit dem weltweiten Konjunktureinbruch sind Nachfrage und Preise im Gleichschritt um gut zwei Drittel in den Keller gerasselt. Heute stehen 60 Prozent der Hochöfen beim drittgrößten Stahlexporteur der Welt still. In einem Bereich, der 15 Prozent der 46 Millionen Einwohner beschäftigt, und knapp ein Drittel der Wirtschaftsleistung in der Ukraine erbringt.

Allein im November verringerte sich die Produktion im Stahlsektor, dem Rückgrat der ukrainischen Wirtschaft, um knapp die Hälfte. Lagerbestände werden abgebaut, die Belegschaft in unbezahlten Urlaub geschickt.

Doch auch jene, die noch Lohn ausbezahlt bekommen, fangen damit in der Ukraine im Moment nur wenig an. Fast täglich verliert ihre Landeswährung Griwna rapide an Wert. Schwankungen um die zehn Prozent stehen auf der Tagesordnung, ausländisches Geld gibt es kaum noch. Die Schlangen vor den Wechselstuben werden immer länger, ab 1. Jänner sollen die meisten geschlossen bleiben.

Raiffeisen schießt Geld nach

Seit Mitte des Jahres hat die ukrainische Währung im Fahrwasser der Stahlkrise fast 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Für 2009 steht dem Land eine Rezession ins Haus. Diese düstere Ansicht teilt auch der Internationale Währungsfonds (IWF). Ende November vereinbarte der IWF ein Rettungspaket über 16,4 Mrd. Dollar. Voraussetzung dafür war, dass sich die Ukraine vom fixen Wechselkurs zum Dollar verabschiedet und seine Devisenreserven nicht weiter in die Stützung der Währung steckt. „Der IWF will nicht sehen, dass sein Geld verschwendet wird, um einen Wechselkurs zu verteidigen, der nicht nachhaltig ist“, sagt Nick Chamie von RBC Capital Markets. Seit Oktober hat die Notenbank 5,1 Mrd. Euro in Griwna-Zukäufe investiert – ohne Erfolg. Die Politik der Nationalbank sei „enttäuschend gewesen“, sagt Vladimir Dubrivski, Chefökonom beim Wirtschaftsforschungsinstitut „CASE Ukraine“ zur „Presse“. Ukrainische Medien beobachten den Umgang der Politik mit der Krise generell mit großer Skepsis. Im September zerbrach dieselbe Koalition, die sich Anfang Dezember neu formierte. Seitdem dominieren Bemühungen, den jeweiligen Koalitionspartner als korrupten Spekulationsgewinner des Währungsverfalls darzustellen.

Dabei steht der Ukraine das Schlimmste wohl noch bevor. Der IWF rechnet damit, dass man im März bis zu 15 Griwna für einen Dollar bekommen könnte. Vor wenigen Monaten waren es noch fünf. Trifft die Prognose ein, kämen Industrieunternehmen reihenweise in Bedrängnis, da sie ihre Fremdwährungskredite nicht mehr bedienen können. Allein im Dezember stehen 2,9 Mrd. Euro an Rückzahlungen aus. Anfang Oktober erreichten die Auslandsschulden im Land 73 Mrd. Euro.

Das trifft auch die internationalen Banken – allen voran die heimische Raiffeisenbank Aval. Anfang Dezember betrug das gesamte Kreditvolumen der Bank im Land 52 Mrd. Griwna (7,4 Mrd. Euro), sagt Gerhard Bösch, Chef der Raiffeisenbank Aval, zur „Presse“. Die Hälfte davon wurde als Fremdwährungskredit ausgegeben. Die Ratingagentur Standard & Poor's rechnet für 2009 mit einem Zahlungsverzug bei Kreditrückzahlungen von über 25 Prozent. Zahlen, die Bösch nicht bestätigen will. Sicher sei, dass die Krise die Finanzbranche voll treffe. Von den 180 Banken im Land würden nur wenige das nächste Jahr überstehen. Er könne sich bisher auf die nötige Unterstützung aus Wien verlassen. Allein im letzten Quartal schob die RZB 237 Mio. Euro zur ukrainischen Tochter.

auf einen blick

Jeder zweite Hochofen in der Ukraine, dem drittgrößten Stahlexporteur der Welt, steht still. Darunter leidet auch die Währung.

Die Griwna verlor heuer fast 80 Prozent an Wert. Banken – darunter auch die heimische Raiffeisenbank Aval – müssen um ihre Fremdwährungskredite fürchten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.