Vorsicht bei Staatsanleihen

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Das einst sichere Investment werde die Anleger in den kommenden Monaten viel Geld kosten, warnen Experten. Hohe Staatsschulden der Industrieländer sowie Inflationsängste gelten als Risiko.

Für konservative Anleger galten Anleihen von Industrieländern seit jeher als sicheres Investment. Die Renditen sind nicht hoch, aber besser, als wenn man das Geld am Sparbuch schmoren lässt. Dafür ist das Risiko im Vergleich zu Aktien gering. Gerade in der Krise solle man in den „sicheren Hafen“ Staatsanleihen investieren, hört man immer wieder.

Genau diese Weisheit könnte sich als Trugschluss erweisen. Die Agentur Bloomberg hat vergangene Woche eine Studie veröffentlicht, wonach das Vertrauen der Experten in Staatsanleihen so gering ist wie seit Jahrzehnten nicht. In der Umfrage wurden mehr als 2400 Analysten weltweit befragt. Deren Einschätzung: Staatsanleihen werden in den nächsten sechs Monaten an Wert verlieren, Aktien aus Deutschland, Brasilien und Japan hingegen zulegen.

„Die Investoren haben wieder Appetit auf risikoreichere Investments“, sagt Christopher Low vom New Yorker Finanzberater FTN. Er erwartet eine baldige Erholung der Wirtschaft. Dies werde Anleger bewegen, in Aktien zu investieren und Anleihen zu verkaufen.


Verschuldung als Gefahr. Ein weiteres Problem sind die wachsenden Staatsschulden vieler Industriestaaten. Die USA werden heuer mit 1,8 Billionen Dollar (1,3 Billionen Euro) das größte Budgetdefizit ihrer Geschichte verbuchen. Die Ratingagenturen Moody's und Standard& Poor's warnten kürzlich, dass die höchste Bonitätsstufe „Triple A“ auch für die USA nicht für immer garantiert sei.

Zwar ist die tatsächliche Zahlungsunfähigkeit der USA laut Experten nach wie vor fast ausgeschlossen. Doch müssen die Vereinigten Staaten vermehrt Anleihen begeben, um das Defizit zu finanzieren. Das senkt deren Preis. Konkret sorgt die vom Finanzministerium getroffene Entscheidung, mehr als 150 Mrd. Dollar an Staatsanleihen an die Zentralbank Federal Reserve zu verkaufen, für Beunruhigung unter Experten.

Suvrat Prakash, Aktienhändler bei BNP Paribas, rät deshalb ab, US-Staatsanleihen zu kaufen. Nicht nur deren Preis werde fallen. Zusätzlich werde auch „die inflationäre Wirtschaftspolitik“ der USA die zuletzt gestiegenen Renditen auffressen. Mittlerweile versprechen US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit eine jährliche Rendite von 3,54 Prozent. Gegen Ende des Vorjahres lag dieser Prozentsatz bei zwei Prozent. „Die Inflation wird diese Gewinne auffressen“, glaubt Prakash.

Tatsächlich warnen Analysten vor der Möglichkeit einer Inflationsrate jenseits von fünf Prozent für die nächsten Jahre. Grund sind die Rettungspakete der US-Regierung. Der Sonderstatus des Dollar als Weltwährung erlaubt es den USA, einen Teil der steigenden Staatsschuld durch das Anwerfen der Druckpresse zu finanzieren. Das erhöht die Geldmenge und führe zu Preissteigerungen, sagen Experten.


Prekäre Lage in Europa. Auch für viele europäische Staatsanleihen stehen die Zeichen auf Sturm. Großbritannien hat angekündigt, heuer Anleihen im Wert von 220 Mrd. Pfund (255 Mrd. Euro) auszugeben, um das Defizit zu finanzieren. Die Staatsverschuldung des Königreichs werde bald 100 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen, warnt Standard & Poor's und senkte den Ausblick von „stabil“ auf „negativ“.

Das höhere Risiko für Investoren spiegelt sich auch hier in den steigenden Zinssätzen wider. Der Prozentsatz für zehnjährige Staatsanleihen Großbritanniens beträgt knapp 3,8 Prozent, zu Jahresbeginn waren es 3,41. Auch Deutschland muss inzwischen deutlich höhere Risikoaufschläge bezahlen, um Anleihen an den Anleger zu bringen. Zum Jahreswechsel lag der Satz bei 2,93 Prozent, nun sind es 3,57 Prozent.

Noch prekärer ist die Situation in Österreich. Für die vergangene Woche erfolgte Aufstockung einer zehnjährigen Bundesanleihe muss das Finanzministerium 4,43 Prozent Zinsen bezahlen, zehn Prozent mehr als im Mai. Experten warnen nicht nur vor der steigenden Staatsschuld, sondern sehen auch die Verflechtung der heimischen Banken in Osteuropa als Risiko.

„Ich würde aktuell keine Anleihe eines europäischen Staates kaufen“, sagt Michael Kamperman vom US-Investmenthaus Prometheus Wealth Management. Im Gegensatz zu anderen erwartet er eine „weitere dramatische Verschlechterung“ der Konjunktur. Das werde mehrere Volkswirtschaften in Europa „an den Rande des Abgrunds“ bringen. „Die Kreditvergabe steht nach wie vor still, den Zentralbanken ist es nicht gelungen, Investitionen anzukurbeln“, sagt er. Auch ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht der Fed deutet dieses Problem an: „Es ist noch sehr schwierig für Konsumenten, Kredite zu bekommen“, steht darin.


Deflation als „Chance“.Kamperman warnt nicht vor Preissteigerungen, sondern vor weltweiter Deflation. Er glaubt, dass es wegen des stockenden Kreditmarktes und trotz der Rettungspakete der Zentralbanken zu einer Reduktion der Geldmenge kommen wird. Tritt dieses Szenario ein (wovon die meisten führenden Ökonomen nicht ausgehen), werde die aktuelle Krise das Ausmaß der großen Depression der 1930er-Jahre erreichen, sagt der Experte. Und was sollte der Anleger in so einem Fall tun? „US-Staatsanleihen kaufen“, erklärt Kamperman. „Wenn die Weltwirtschaft am Rande des Chaos steht, wird mit einem Investment in amerikanische Staatsschulden Geld zu verdienen sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2009)

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