Börse-Chef Boschan: „Wir haben das beste Gesamtpaket“

Christoph Boschan
Christoph Boschan(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Trotz internationaler Börsenfusionen seien kleinere Handelsplätze notwendig, sagt der neue Börse-Chef Boschan. Die Anhebung der Dividenden-KESt war „fatales Signal“.

Die Presse: Sie sind seit sieben Wochen Chef der Wiener Börse. Wie gefällt Ihnen, was Sie hier vorgefunden haben?

Christoph Boschan: Was mich sehr gefreut hat, war, dass ich hier richtige Börsianer vorgefunden habe. Das ist nicht bei allen Börsen so. Fast alle Mitarbeiter der Börse sind schon seit Langem im Geschäft. Man wird also in Österreich kein größeres Börsen-Know-how finden als hier. Und das macht Mut.

Manches kann aber auch entmutigend sein. So kündigte das ATX-Mitglied RHI an, Wien verlassen zu wollen und nach London zu gehen. Braucht es noch Handelsplätze, die im europäischen Kontext nur Regionalbörsen sind?

Erstens: RHI hat die Börse noch nicht verlassen, und wir sind in intensiven Gesprächen, welche Dienstleistungen der Börse es geben könnte, um die Verbindung zu den heimischen Investoren zu erhalten. Zweitens: Mit Verlaub, aber die Wiener Börse ist keine Regionalbörse, sondern die nationale und einzige Börse Österreichs . . .

International gibt es aber eine starke Zentralisierung.

Ja, Sie haben recht. Es gibt Megafusionen im Börsenbereich. Glückwunsch, wenn es klappt, London und Frankfurt zusammenzuschließen. Das ergibt strategisch Sinn – für große Konzerne. Anders sieht das aber bei kleineren und mittelgroßen Börsenwerten aus. Denn für diese ist die Anknüpfung an einen lokalen Kapitalmarkt sinnvoll. Diese Firmen sind sehr skeptisch, wie sie auf einem großen Börsenplatz wahrgenommen werden. RHI ist in Wien Teil des nationalen Index – alle Augen sind auf sie gerichtet. In London sind sie Teil eines riesigen Mittelfeldes.

Aber ist diese Nische in Österreich groß genug? Mittelständler bei uns sind in Deutschland größere Gewerbebetriebe.

Wir als Börse sind ein Infrastrukturdienstleister und müssen danach trachten, die Bedürfnisse unserer Kunden bestmöglich zu erfüllen. Für den Emittenten sind das hohe Visibilität, gute Liquidität und geringe Kosten. Für den Anleger sind es die beste Informationsversorgung und niedrige Ausführungspreise. Und das finden beide Gruppen in Wien. Wir haben mit Abstand das beste Gesamtpaket.

Bei Privatanlegern kommen Sie aber durch außerbörsliche Plattformen unter Druck.

Ja, das sind die relevanten Konkurrenten. Untersuchungen zeigen allerdings, dass wir 75Prozent Marktanteil beim Handel mit den Aktien von ATX-Unternehmen haben. Das ist ein in Europa einzigartig hoher Anteil. In anderen Ländern ist der Handel viel stärker aufgesplittet. In Summe gibt es in Europa ja 150 Handelsplattformen, von denen nur die wenigsten Börsen sind. Gleichzeitig muss man aber natürlich auch selbstkritisch sein: Warum müssen heimische Anleger ins Ausland gehen, wenn sie etwa US-Titel kaufen wollen?

Wollen Sie Zweitlistings nach Wien holen? Sollen Apple oder Google hierzulande notieren?

Ja genau. Darüber müssen wir unbedingt nachdenken. Zurzeit befinden wir uns noch in einem internen Strategieprozess.

Diese Werte kann ich bereits in Frankfurt kaufen. Warum soll ich sie in Wien kaufen?

Was will der Anleger? Gute Informationen und günstige Preise. Wenn man das nicht bietet, braucht man mit einem Me-too-Produkt gar nicht antreten.

Sie wollen also in direkte Konkurrenz zu Frankfurt gehen?

Ich sehe das nicht als Konkurrenz. Die Welt ist wesentlich größer als Deutschland und Österreich. Und auf anderen Märkten – etwa London – haben heimische Anleger zwei- bis dreimal so hohe Kosten wie in Wien.

Sind Privatanleger für Sie überhaupt ein relevantes Segment?

Wenn man so danach fragt, könnte man nach der Bedeutung der heimischen Anleger insgesamt fragen. Denn 80 Prozent unserer Order erreichen uns aus dem Ausland. Wir sind allerdings die österreichische Nationalbörse, und deshalb spielen die österreichischen Anleger natürlich eine wichtige Rolle.

Zurück zur Bedeutung der Börse. Im Vergleich zu 2006 sank die Marktkapitalisierung auf die Hälfte, die Monatsumsätze sanken von 18 auf fünf Mrd. Zeigt das nicht ein substanzielles Problem?

Das ist kein redlicher Vergleich, weil Sie hier eine absolute Höchstzahl aus dem Jahr 2006 nehmen. Mit diesen Vergleichsjahren kann man das jeder beliebigen Börse auf der Welt vorhalten. Aber natürlich muss man offen sagen: Es gab eine Ostfantasie, die sich so nicht materialisiert hat. Und diese einstige Überspekulation ist eine Bürde, die nach wie vor abgetragen wird. Ich bin mir aber sicher, dass die Talsohle durchschritten ist. Wir haben seit 2013 ein Umsatzwachstum von 43 Prozent erzielt und bei der Zahl der ausgeführten Geschäfte sogar das Vorkrisenniveau erreicht. Rechnet man aus dem ATX die Banken heraus, hinkt er auch nicht mehr anderen Indizes hinterher.

Warum gibt es dann so gut wie keine Börsengänge mehr?

Unsere Analysen zeigen, dass wenn man die Größenverhältnisse der Märkte richtig beachtet, wir absolut in-line mit dem Rest Europas sind. Dass es allgemein so wenige Börsengänge gibt, hängt mit den Nullzinsen zusammen. Wenn man sich für fast null Prozent Kredite aufnehmen kann, warum soll man dann Eigenkapital ausweiten?

Wichtig für den Kapitalmarkt ist ja auch die politische Stimmung. Wie sehen Sie sie in Österreich?

Ich habe bereits viele Gespräche geführt und dabei informierte Funktionsträger erlebt und Unterstützung signalisiert bekommen.

Stimmen die Worte der Politik mit den Handlungen überein? Erst zu Jahresanfang wurde etwa die Steuer auf Dividenden auf 27,5 Prozent erhöht, während sie bei Zinsen auf 25 Prozent blieb.

Das war ein fatales politisches Signal, da stimme ich zu. Es sagte aus, dass man das Sparbuch fördern will und daher nur andere Anlageformen belastet. Das ist sehr schade, da wir beim Kapitalmarkt dem europäischen Durchschnitt hinterherhinken. Bei uns beträgt die Marktkapitalisierung nur 25 bis 30 Prozent des BIPs. Im Schnitt liegt dieser Wert bei rund 60 Prozent.

Für einen funktionierenden Kapitalmarkt braucht es auch starke inländische institutionelle Anleger. Sind sie auf dem Rückzug?

Ohne ein starkes Commitment der nationalen institutionellen Akteure wird es nicht funktionieren.

Könnten die heimischen Banken und Versicherungen also ruhig etwas stärker zulegen?

Ohne Commitment wird es nicht funktionieren.

ZUR PERSON

Christoph Boschan ist seit Sommer Chef der Wiener Börse. Der 38-Jährige studierte in Berlin Jus und promovierte in Chemnitz im Fach Börsenwesen. Seine berufliche Karriere startete er an der Börse Berlin. 2010 wechselte er nach Stuttgart, wo er an der dortigen Börse in verschiedenen Funktionen, zuletzt als Geschäftsführer, tätig war. Die Wiener Börse ist im Eigentum verschiedenster heimischer Aktiengesellschaften.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

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